Der nächste Tag wird dann kulinarisch etwas – nicht viel, aber etwas – besser. Nach einen paar Kaffees und Rühreiern mit Roggen-Wabbel-Toast im Hotel gehen wir Richtung Osten durch das morgendliche, fast schon ruhige Murray Hill zum East River runter, schauen das Hauptquartier der Vereinten Nationen an, überlegen uns, warum in Dreiteufelsnamen wir das Hauptquartier der Vereinten Nationen anschauen, dieser architektonisch minderwertige, überholte Bau einer überholten Organisation, gehen weiter auf der Zweiten Avenue nach Norden, stöbern in ein paar Boutiquen und Plattenläden, blinzeln in die Morgensonne, bis wir zu einem Lokal Ecke 56te kommen, wo sie gerade die Tische auf dem Gehweg aufsperren und eindecken. Das Lokal heißt The Shadmoor und sieht nett aus, nicht zu groß, echter Holzfußboden, große, helle Fensterfronten, blanke Bistro-Tische und –Stühle um eine große u-förmige Bar, Lampen hängen an dicken Schiffstauen von der Decke, sonst kaum Deko-Tinnef, insgesamt mutet das Ambiente ein wenig an wie eine Mischung von Segelschiff-Messe und Pariser Bistro, dazu kleine Tische vor dem Haus auf dem Trottoire, hier war kein Systemgastronomie-Innenausstatter am Werke, das sieht nach Eigenleistung und Herzblut und Individualität aus. Die Speisekarte verspricht, Montauk nach Manhattan zu bringen, das gibt unvermittelt einen intellektuellen Adrenalinstoß, Montauk, Montauk, was war das doch gleich, ach ja, Max Frisch, Impotenz und Abtreibung, jene unerhörte Erzählung über das Wochenende mit Lynn im Dorf Montauk auf Long Island und zugleich unverblümte und unverbrämte Lebensbeichte mit Details, die so manchen Weg- und Bettgefährten/-tinnen höchstnotpeinlich waren. Ob die hier im Shadmoor davon wissen? Wir sitzen auf dem Bürgersteig, blinzeln in die Mittagssonne, blicken auf das Leben auf der Straße, gönnen uns unser erstes Bier, nun gut, kein Bier, sondern ein Montauk Wave Chaser Indian Pale Ale, was immer das auch sein mag, ich tippe auf eine Art Grapefruit-Bier-Limo, studieren dazu die halbwegs kleine Speisekarte, es gibt Atlantik-Fische und sonstiges frisches Meeresgetier, Nudeln, Burger, Steaks, dazu Dips, Salate, Austern, Muscheln, alles zu Preisen, die für Manhattan fair sind, Hauptgerichte von US$ 15 bis 35, ein Austräger von Amazon kann sich das wahrscheinlich nicht leisten, ein Uno-Spesenritter hingegen leicht. Eine eindeutige Richtung, einen Länder- oder Küchen-Stil können wir hier nicht feststellen, es ist diese New Yorker Beliebigkeit, man macht halt irgendwas, was man verkaufen zu können glaubt, dieser Tage garniert mit viel local, homemade, organic und was es halt sonst noch so an verkaufsfördernden Mode-Schlagworten gerade gibt, wobei sich mir nicht erschließt, was der support von local farmers mit australischem Schaf und schottischem Lachs zu tun haben mag, aber die Schafe in den USA sind wohl alle in Washington und lassen sich partout nicht schlachten. Das Essen ist dann ganz ok. Der Lachsbagel zum selberbauen nett angerichtet, guter Lachs, guter, nicht industrieller, frisch getoasteter Bagel, frisches, gut geputztes, nach was schmeckendes Grünzeugs, komischer Fettaufstrich, alles in allem aber OK, doch US$ 16 für einen Lachsbagel ist dann schon recht happig. Die gegrillten Jakobsmuscheln top-frisch, das Humus dazu ok, die drei gegrillten bunten Rüben geschmacklich zwar auch ok, ober optisch eher ein Beleg dafür, dass hier in der Küche bodenständige Grobmotoriker am Werke sind. Aber alles in allem, zusammen mit den äußerst freundlichen und flotten Bedienungen, ist das Shadmoor eine sehr ordentliche New Yorker Eckkneipe, wo man auch die Familie oder nicht ganz so wichtigen Geschäftspartner problemlos mit hinnehmen, oder auch mit ein paar Kumpels lässig an der Bar bei ein paar Drinks abhängen kann.
The Shadmoor
1066 2nd Ave (Ecke 56th St.)
New York, NY 10022
USA
Tel.: +1 (2 12) 3 85 91 95
Fax: +1 (9 17) 2 61 71 09
Online: www.shadmoornyc.com
Hauptgerichte (Dinner) von US$ 20 (Burger ohne Alles) bis US$ 43 (Seezunge mit Beilage), Drei-Gänge-Menue US$ 41 bis US$ 77