In Bars gibt es Standardgetränke, Modedrinks und schließlich Klassiker.
Mit einem Standardgetränk wie einem Dom Pérignon (oder einem landesüblichen Pils) wird man in den seltensten Fällen etwas wirklich falsch machen können, wenn er nicht gerade in einer Achterbahn gelagert wurde (wenngleich zwischenzeitlich für die meisten – zumindest jüngeren – Jahrgänge ein ordentlicher Tattinger vorzuziehen ist, aber das ist letztendlich eine Geschmacks-, Image- und Geldfrage).
Modedrinks unterliegen – der Namen sagt es – Moden; es kann nett sein, sie einmal kennen gelernt zu haben, aber wirklich brauchen tut sie so recht wirklich niemand. Sollte mir vor meiner Hinrichtung nur ein Wunsch gewährt werden, so wählte ich wahrscheinlich einen Planter’s Punch, ganz einfach weil dieser Drink so sinnlos, rasch und dröhnend trunken macht, dass sich damit wohl auch eine Hinrichtung halbwegs überstehen lässt — mit gepflegtem Genuss und leicht stimulierender Wirkung hat diese Form von alkoholischer Zubereitung allerdings wenig bis nichts zu tun.
Schließlich gibt es die Klassiker, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie eben klassisch sind. Durch unbedachte Neuerungen macht man bei dieser Art von Speisen bzw. Drinks in der Regel mehr kaputt, als man wirklich an Wert neu hinzufügen kann.
Einer der klassischsten Drinks unter den klassischen Drinks (Sie sehen, ich bin nicht dogmatisch: ich habe nicht geschrieben „der klassischste Drink“, sondern lediglich „einer der klassischsten Drinks“) ist der Martini Cocktail. Wenn man weiß, wie er geht, ist er extrem einfach und simpel in der Herstellung – „straight“ eben. Heute allerdings weiß kaum jemand mehr, wie man einen „echten“ Martini herstellt, eben weil Standard- und Modegetränke die Bars dieser Welt beherrschen. Wenn Sie nun schon einen Martini Cocktail in einer Bar trinken – man sollte ihn nie allein trinken, denn der Martini ist alles andere als ungefährlich und alleine kann man ihm leicht verfallen – werden Sie sich in der Regel mit dem Barkeeper auseinandersetzen müssen bzw. dürfen – je nach dem. Dabei gibt es prinzipiell nur drei Arten von Barkeepern:
- Der Hilflose: Irgendein Mensch – vielleicht ein Zuhälter, ein Mitglied eines Mafiaclans, ein entflohener Fremdenlegionär, ein gestrandeter Weltenbummler oder ein abgehalfterter Politiker – hat aus irgendeinem unerfindlichen Grund eine Lizenz für eine Bar bekommen und aus einem noch weniger erfindlichen Grund tatsächlich ein solches Etablissement auch eröffnet. Der Stil ist pseudo-chic irgendwo zwischen Highway-Restaurant, Puff und Versandhaus, die Preise sind phantastisch, das Essen ist Körperverletzung und – irgendwo muss man ja sparen – hinter der Theke steht ein verschüchterter Student, ein noch verschüchterter Gastarbeiter ohne Aufenthaltsgenehmigung oder eine abgehalfterte Liebesdame, alle vom Tuten keine Ahnung (das mit dem Blasen lassen wir mal dahingestellt), das erste mal in einer Bar hinter der Theke und die sollen jetzt Drinks mischen. Die Modedrinks – B52, Swimmingpool, Caiphirinha und ähnliches sowie ihre modernen Derivate – kriegen sie gerade mal so hin, obwohl es eh’ niemanden wirklich interessiert, wie sie gemacht werden oder was darin ist, solange es nur ordentlich süß ist, die Birne zudröhnt und die Mädels nett und die Jungs erträglich macht. Wenn Sie hier einen Martini extra dry ohne Kommentar bestellen, bekommen sie ebenso kommentarlos einen Wermut auf Eis mit Zitronenscheibe. Bestellen Sie hingegen einen Martini Cocktail, so wird man Ihnen bestenfalls 4 cl Beefeater Gin mit 2 cl Cinzano auf Eis mit Olive servieren. Seien Sie nicht böse, der Mensch hinter der Theke weiß und kann es nicht besser. Er kann es auch nicht besser können – woher auch, vielleicht von seinem Chef? Das bar-genannte Etablissement der bundesdeutschen Urquasselstrippe, die schon quasselte, als bei RTL noch ausschließlich die Möpse hüpften –zwischen Dom, Pisse und Dealern, mag hier ein zutreffendes, abschreckendes Beispiel sein. Also – wenn Sie schon Ihren Martini in einem solchen Etablissement trinken müssen – setzten Sie sich an die Theke (niemals an einen Tisch), denn nur hier können Sie alles genau beobachten und die schlimmsten Grausamkeiten vielleicht verhindern. Warten Sie einen ruhigen Moment ab, fragen Sie, ob Sie einen Drink nach Ihren speziellen Wünschen haben könnten, erklären Sie dann der armen Sau hinter dem Tresen genau und Schritt für Schritt, was Sie haben möchten und überwachen Sie jede Bewegung mit Argusaugen, immer bereit, sofort korrigierend einzuschreiten. Beenden Sie Ihre Lehrstunde mit einem kleinen Erfolgserlebnis für den Möchtegern-Keeper, z.B. ein kleines Lob; Sie haben jetzt vielleicht sogar einen halbwegs trinkbaren Martini vor sich und der hilflose Keeper ist ihnen wahrscheinlich sogar dankbar für die kostenlose Lehrstunde.
- Der Arrogante: Es gibt Bars, die laufen einfach. Und laufen, und laufen, und laufen. Mittelmäßige Hotelbars zum Beispiel, In-Nachtclubs, Bars in Nobeldiscos, Monopolbars in Kleinstädten: sie alle sind nichts Besonderes (halten sich aber dafür). Sie sind nicht etwa erfolgreich, weil sie so gut wären, sondern vielmehr, weil sie richtig platziert sind. Die Barkeeper machen ihren Job schon lange, hatten meistens sogar irgendwann einmal so etwas wie eine Ausbildung und sind jetzt in einer Tretmühle mit sicherem Gehalt, ständigen Nachtschichten und gewohnt großzügigem Trinkgeld-Extrasalär. Den Eigentümer interessieren vor allem die Profite, und die werden vorwiegend an der Bar gemacht, denn nirgends ist die Gewinnspanne so hoch wie bei Cocktails. Wenn Sie hier die Nummer abziehen wollen, dem Keeper Schritt für Schritt Ihre Wünsche zu erklären, so fangen Sie sich höchstens eine saftige Abfuhr ein: “Ich kenne meinen Job.”, “Ich hab’ das gelernt!”, “Wollen Sie mir etwa sagen, wie ich meine Arbeit zu machen habe?” sind die Sprüche, die sie zu hören bekommen (wenn Sie nicht gleich ganz rausfliegen). Merke: Sie sind nicht in diesem Etablissement, um sich wohlzufühlen; der Keeper ist auch nicht dazu da, Ihre Wünsche zu erfüllen. Sie sind dazu da, möglichst hohen Umsatz bei möglichst geringen Kosten zu generieren; und die Aufgabe des Keepers ist es, diesen Umsatz einzufahren. Und hohen Umsatz bei geringen Kosten macht man nicht mit Extrawünschen, sondern mit Standardprodukten. Die Produkte dieses Hauses haben den Standard von Tütensuppen: preiswert in der Herstellung, leicht im Handling, immer gleich im Geschmack. Also trinken Sie die Standardgetränke in der Standardweise und halten Sie vor allem ‘s Maul.
- Der wahre Keeper: Und dann gibt es da natürlich noch die wahre, die echte, die traditionelle Bar: Harrys Bar in Venedig (natürlich), die die Bristolbar im Kempinski in Berlin (auch das Marlene im Interconty hält sich wacker, während Harrys Bar im Grand Hyatt noch immer mehr einem Puff gleicht als einer Bar), das Simon in London, aber hier nicht mehr die schöne Kellerbar im guten, alten Bristol, die hat die Le Merédien-Gruppe mit der Übernahme gründlich verhundst), in New York weniger der legendäre Rainbow Room, (dann schon lieber die Dachbar des Hilton in Shanghai), eher das Bulls and Bears im Waldorf Astoria oder die Bar des Warwick. Und natürlich all die kleinen, weniger bekannten, sauber geführten, professionellen Bars in aller Welt. Last but not least, meine persönliche Kinderstube, das Pusser’s in München. Die Keeper in diesen Häusern sind nicht nur Meister ihres Faches, sie haben auch Takt und Stil, mit denen sie 9/10 ihres Publikums haushoch überlegen sind. Diese Keeper kennen nicht nur einige tausend Cocktail-Rezepte auswendig aus dem f.f. und können sie perfekt mixen, sie zeichnen sich zusätzlich aus durch ein gepflegtes Äußeres, durch Höflichkeit, durch ein Elephantengedächtnis (“Das Selbe wie beim letzten mal, Sir?”) und schließlich durch unendliches Understatement. Dass das Ambiente in diesen Häusern perfekt, die Barausstattung vollständigst und die Preise höher, aber angemessen (und in der Regel noch deutlich niedriger als in mittelmäßigen Modeschuppen) sind, ist selbstverständlich. Hier können Sie Ihren Martini problemlos mit wenigen Fachumschreibungen bestellen, ohne dass Ihnen jemand sagt, Sie bräuchten ihm nicht zu erklären, wie sein Job ginge und ohne dass Sie Angst haben müssen, irgend etwas Schreckliches serviert zu bekommen. “Einen Martini Cocktail, extra, extra, extra trocken, Tanqueray #10 und Nolly Prat, gerührt, sehr kalt, Lemon Twist, keine Olive.” Dies reicht in der Regel für die Bestellung, um einen perfekten Martini zu bekommen. Und Sie brauchen keine Angst haben, dass Sie der Keeper missversteht oder dass er sich gar beschwert. Dieser Keeper weiß um die Problematik des Martini und um die unterschiedlichsten individuellen Wünsche. Er weiß, dass fast jeder professionelle Martini-Trinker seine kleinen Macken hat, die er pflegt. Und wenn Sie einen Spritzer Katzenpisse in den Martini bestellen sollten, der Keeper wird keine Miene verziehen, er wird Sie nicht belehren wollen, er wird auch nichts von “unüblich” oder “unmöglich” sagen; er wird wortlos losgehen und eine Katze mit Stuhlgang suchen (und natürlich auch finden), und er wird Ihr Glas danach vielleicht etwas intensiver reinigen als sonst – und er wird sich seinen Teil denken.
Nun aber zu dem „einzig wahren“ Rezept für einen Martini Cocktail extra dry:
Zutaten:
- Viel Eis direkt aus dem Tiefkühlgerät („Bareis“ mit mind. -25° oder kälter)
- 8 cl ordentlicher Gin (vor 15, 20 Jahren gab es nicht viel mehr außerhalb des Vereinigten Königreiches als Gordons, Beefeater, Bombay Saphire, Tanqueray und vielleicht noch den guten alten Plymouth, heutzutage sind gute Gins Legion)
- 2 cl Extra trockener Wermut (Nolly Prat muss nicht unbedingt sein, Cinzano macht zwischenzeitlich auch guten Wermut)
- 1 ungespritzte Zitrone
- Rührglas, Barlöffel, Barsieb, Cocktailglas, Messer
Zubereitung:
- Ein Martini Cocktail muss eiskalt sein; daher weder Eis aus dem Tiefkühlfach noch Eis aus dem automatischen Eiswürfelbereiter noch Eis aus der Thermobox verwenden. Das Eis muss direkt aus der Tiefkühltruhe kommen und wenigstens -25° oder weniger haben, damit es die Flüssigkeit richtig kühlen kann ohne sie gleichzeitig über Gebühr zu verwässern.
- Cocktailglas mit Eis vollständig füllen (oder im Gefriergerät frosten)
- Ein dickwandiges Rührglas (ca. ½ l Inhalt) ¾ mit Eiswürfeln füllen; Eis so lange rühren, bis man von Außen die Kälte am Glas fühlt; Barsieb auf das Rührglas setzen und überflüssiges Wasser sorgfältig abgießen
- 2 cl Wermut extra trocken (ja, Sie haben richtig gelesen, 2 cl) über die Eiswürfel im Rührglas gießen, zügig, aber ruhig so lange rühren, bis alle Eiswürfel mit dem Wermut parfümiert sind (es ist eine Legende, dass in einen „echten Martini“ nur wenige Spritzer Wermut gehören; in Wahrheit gehört ein ordentlicher Schuss über das reichliche und kalte Eis, aber der muss nach dem Parfümieren des Eises auch wieder vollständig abgegossen werden)
- Barsieb auf das Rührglas setzten, Wermut fast vollständig weggießen – es wird lediglich das parfümierte Eis benötigt
- 8 cl Gin über das parfümierte Eis im Rührglas gießen, zügig, aber ruhig ca. 20 sec. rühren, so dass der Gin vollkommen gekühlt und mit Wermut parfümiert ist
- Eis im Cocktailglas mehrmals schwenken, so dass es sehr gut gekühlt ist; Eis vollständig aus Cocktailglas schütten und Glas rasch gut ausschütteln (so dass möglichst wenig Wasser darin zurück bleibt)
- Barsieb auf das Rührglas setzen, Gin durch Sieb in das Cocktailglas seihen
- Von der unbehandelten Zitrone ein dünnes Stückchen Schale (mit der Größe von zwei bis drei Fingernägeln) möglichst ohne weiße Haut abschneiden; ätherische Öle aus der Schale durch pressendes reiben über den Martini Cocktail spritzen; Zitronenschale in das Glas geben; servieren
- Ein perfekt gelungener Martini ist so kalt und so wenig verwässert, dass er beim abseihen ölig (!) in das Cocktailglas rinnt
Die korrekte Bestellformel für diese Art von Martini, die zumindest der Barkeeper vom Typ 3 immer verstehen wird, lautet übrigens: „Bitte einen extra, extra, extra, extra trockenen Martini Cocktail mit Tanqueray No. 10 (or whatever), gerührt und nicht geschüttelt („stired, not shaken“), mit lemon twist, keine Olive, und sehr kalt bitte.“
Da ein Martini Cocktail auch als Apperitiv ziemlich heftig sein kann, sollte man dazu gesalzene Nüsse, Blätterteigeckchen, Cracker oder rohes Gemüse mit Quarkdip reichen – ansonsten besteht dringende und frühzeitige Absturzgefahr. Daher zu Schluss quasi noch als Warnung: Hogarth‘ „Gin Lane“ von 1751 aus London zu Zeiten der „Gin Craze“ unter Königin Ann, auch „Brandy Nan“ genannt.