Der köstlichste Imbiss der Welt

Es war Anfang des Jahrtausends, die Jungs gerade in die Schule gekommen, da entdeckten wir die Hiša Franko in Slowenien in den Julischen Alpen bei Kobarid an der Soča, dem tükis-farbensten Fluss, den ich je gesehen habe, Isonzo nennen ihn die Italiener, Sontig früher die Deutschen, an seinen Ufern spielten sich blutige, unendliche und unendlich sinnlose Stellungsschlachten im Ersten Weltkrieg ab, die niemand gewinnen konnte, mein Ur-Ur-Großvater war einer Soldaten in den Bunkeranlagen in den Bergen, die Familie Großväterlicherseits stammte aus der Gegend, aus Drežnica, einem Dorf hoch oben über Kobarid. Dort wollte ich rein Interesse-halber einmal hin, auf den Spuren der Ahnen wandelnd, sozusagen; ich fragte einen Slowenischen Arbeitskollegen, ob er uns eine Bleibe bei Kobarid empfehlen können, enthusiastisch fing dieser an zu erzählen von der Hiša Franko von Ana und Valter Kramar, und so fuhren wir hin, das erste Mal über den Vršič-Pass, zu Deutsch Werschetzpass, atemberaubend, und dann die türkisfarbene Soča hinunter, bis Kobarid, rechts abbiegen und kurz vor der Italienischen Grenze ist man in der Hiša Franko, wunderschön von Wiesen und einem Bach eingebettet am Hang gelegen, aber alles andere als eine Luxusherberge, ein  schlichtes Landgasthaus, mehr nicht und nicht weniger, wären da nicht die mit Damast, Silber und Kristall eingedeckten Tische im geöffneten Wintergarten gewesen …

Die Zimmer waren damals klein und immer ein klein wenig schmuddelig (sind sie heute auch noch), das Essen war bereits vorzüglich, aber alles war noch einfach, unverkrampft, es gab noch eine ganz normale, wenngleich kurze à la carte – Karte und nicht nur zwei große Menues wie heute, man bekam ohne Reservierung Wochen im Voraus stets einen Platz, Ana kochte wie immer brillant, aber unverkrampfter und ungekünstelter als heute, Valters Weinkeller vorwiegend mit Slowenischen Weinen war schon sehr ambitioniert, aber die Qualität, die die heimischen Winzer weiland lieferten war bei weitem noch nicht so prickelnd wie heute, und vor allem, die Menschen waren und sind unglaublich freundlich, herzlich, ehrlich. Über Jahre begannen wir nun unseren Sommerurlaub auf dem Weg in den Süden mit ein paar Tagen Schlemmen und Relaxen in der Hiša Franko.

2008 Sommerurlaub-202

Im zweiten Jahr wollten wir eine Rafting-Tour auf der Soča machen und fragten, ob man das für uns organisieren könne. Kein Problem, ein paar Telephonate später sagte uns Valter, wir würden am nächsten Morgen gegen 10:00 am Hotel von einem erfahrenen und zuverlässigen Veranstalter zu unserer Rafting-Tour für kleines Geld abgeholt. Spontan schloss sich ein junges Pärchen aus den Niederlanden an, und Valter sagte ebenso spontan, er werde mit seiner Frau und den beiden Kindern ebenfalls mitkommen, da am nächsten Tag Montag war und das Gasthaus geschlossen. Am darauffolgenden Tag wurden wir nach dem Frühstück abgeholt, in einer Feldscheune am Fluss mit Neopren-Anzügen, Schwimmwesten und Helmen eingekleidet, sodann mit einem großen Schlauchboot auf dem Anhänger etliche Kilometer die Soča hochgekarrt, eingewiesen in die Do’s und Dont’s auf dem Boot, auch darauf hingewiesen, dass unvorsichtige Rafter hier bereits zu Tode gekommen seien – in der Tat, so sehr die Soča im Hochsommer dümpeln kann, so wild kann sie auch bei höheren Wasserständen sein, und das Wasser war hoch – und heidewitzka, los ging’s. 14 Mann mit Paddeln in einem Schlauchboot, dirigiert von einem erfahrenen, umsichtigen Führer, Valter in einem winzigen Kajak alleine nebenher, eiskaltes, tief türkisfarbenes, klares, zuweilen reißendes, zuweilen plätscherndes Bergwasser, auf halbem Wege an einer ruhigen, tiefen Stelle Pause, das Boot schräg an einen Fels gestellt als Rutsche, alles ein Riesenspaß, nach ein paar Stunden völlig erschöpft kurz vor Kobarid raus aus dem Wasser (alldieweil die Soča direkt bei Kobarid lebensgefährlich ist und schon manches Todesopfer gefordert hat), raus aus den klammen, klebenden Neopren-Anzügen, Boot zum wartenden Wagen mit Anhänger geschleppt, zurück zur Feldscheune, angezogen, zurück zum Gasthaus gebracht. Nach dem Aussteigen sagte Ana spontan und – wie es ihre Art ist –  unendlich herzlich zu dem Niederländischen Pärchen und zu uns, wir sollten nach dem Duschen doch runter in den Hof kommen, das Restaurant sei zwar geschlossen, aber nach dem gemeinsamen Erlebnis würde sie uns jetzt gerne zu einem Imbiss einladen. Als wir wieder herunter kamen standen auf dem kleinen Steintisch im Hof selbst gebackenes Brot, eine Platte mit Würsten, Schinken, Käsen, alle am Stück, diese wahnsinnig leckere, an Clotted Cream erinnernde dicke Sahne, frische Butter, Obst, selbst eingelegtes Sauergemüse, selbst gemachte Säfte, ein großer Krug Wasser und Valter kam gerade mit ein paar Flaschen unter dem Arm aus seinem Weinkeller. Der Sandstein der Hauswände strahlte viel Wärme ab, das tat gut nach dem Tag im kalten Wasser, Illy, der große freundliche weiße Hund streifte neugierig umher, die Kinder spielten miteinander ohne sich sprachlich richtig verständigen zu können, gutes Leben in seiner besten Form halt. Während wir aßen und tranken erzählten Ana und Valter zu eigentlich jedem Lebensmittel, woher es kam, wer es gemacht hatte, seine Geschichte, seine Besonderheiten. Bei den selbstgebackenen Broten erfuhren wir, aus welchem Mehl  von welchem Getreide und – das war Ana besonders wichtig – aus welcher Mühle es hergestellt worden war, welche selbstgesuchten heimischen Kräuter darin verbacken wurden und wie die Ofen dazu beheizt werden musste. Valter kannte zu jedem der – vielen, hicks – Weine, die wir probierten, nicht nur den Winzer, die Rebsorte, die Lage, die Methoden der Vinifikation, die Beschaffenheit der Fässer, … sondern auch die Geschichte der Menschen und der Ländereien, von denen der Wein stammte. Selten habe ich Menschen so enthusiastisch, klug, wissend, liebevoll und unglaublich respektvoll über Lebensmittel sprechen hören wie Ana und Valter an diesem späten Nachmittag. Zu erwähnen, dass alles, aber auch wirklich alles köstlich war, erübrigt sich ja von selbst, und der redliche Hunger nach der Bootstour tat das seine auch noch dazu. Und als ich gegen Ende zaghaft fragte, was wir denn schuldig seien für diesen köstlichen, ausführlichen Imbiss und für diese Lehrstunden in Lebensmittel- und Landeskunde, da waren die beiden fast beleidigt, es sei doch wohl klar, dass wir an diesem Nachmittag ihre Gäste gewesen seien. Das war der köstlichste und der schönste Imbiss, den ich in meinem ganzen Leben hatte. Man könnte mich mit Kaviar und Trüffeln zukleistern, nichts kann an diesen Nachmittag in der Hiša Franko heranreichen.

2008 Sommerurlaub-125

 

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