Der Figlmüller in Wien : Gralshüter des Schnitzels Wiener Art

Summa summarum: der Gralshüter des Wiener Schnitzels, man muss einfach einmal im Leben ein Figlmüller-Schnitzel gegessen haben, aber das reicht dann in der Regel auch für den Rest des Lebens. Ansonsten begrenztes Angebot an Wiener Speisen in ordentlicher, aber unspektakulärer Qualität, enges, dampfiges Ambiente mit freundlicher, zügiger Massenabfertigung nie enden wollender Touristenströme.

 

Typischer Dialog in der Wollzeile No. 5 in Wien. Gast: „Einen Tisch für Vier bitte.“ Kellner: „Haben Sie reserviert?“ Gast: „Äh,  nein …“ Kellner: „Tut mir leid, alles voll.“ Gast: „Können wir später wiederkommen?“ Kellner: „Ja.“ Gast: „Gut, dann kommen wir später. Wann wird denn ein Tisch frei?“ Kellner: „So gegen 16:00 Uhr, … Donnerstag in zwei Wochen.“ Das war jetzt keine überspitzte, pointierte Situation im Wiener Stammhaus der – mittlerweile – Figlmüller Group Holding GmbH, sondern eines von vielen ganz alltäglichen Gesprächen am Tresen neben der Tür zum Wiener Schnitzelhimmel. Wahrscheinlich gibt es keinen Wien-Reisführer in aller Herren Sprachen, der nicht den Figlmüller als Hort Österreichischer Küche und Weihestätte des echten Schnitzels Wiener Art (oder doch des Wiener Schnitzels – Codex Alimentarius Austriacus und DLMB zum Trotze?) in den höchsten Tönen preist, weit über 4.000 – fast durchweg lobende – Einträge zum Figlmüller weist Tripadvisor auf, selbst Siebeck, der alte Grantler, spricht in seinem Buch „Die Beisln von Wien“ zwar angesichts der Größe der Figlmüller-Fleisch-Flatschen politisch völlig unkorrekt von einem „Schnitzelvernichtungskampf“, getraut sich jedoch nicht, seinen kulinarischen Richterstab über dem Etablissement zu brechen.

Seit 1905 – relativ jung für ein alteingesessenes Wiener Gasthaus – serviert die Familie Figlmüller mittlerweile in der vierten Generation im Ersten Wiener Gemeindebezirk, quasi um’s Eck vom Stephansdom, bodenständige Wiener Küche zu nach wie vor moderaten Preisen (für eine Touristenhochburg moderat wohlgemerkt), neben dem engen Stammquartier in der Wollzeile mit begrenztem Angebot ist im Winter 2001 in der Bäckerstraße ein echtes Wiener Wirtshaus mit vollwertiger Beisel-Speisekarte hinzugekommen, 2004 wurde der ehemalige Figlmüller Heurige (die Familie besitzt eigene Weinberge bei Wien) in Döbling umgebaut zum figls, eine Bierwirtschaft samt Biergarten und kulinarischen Ambitionen, 2012 eröffnete wieder im 1. Bezirk am Hohen Markt das joma, ein gesichts- und qualitätsloser Touri-Schuppen mit McDoof-Ambiente und einem Allerwelts-Angebot von Oktopus auf Taboulé, Salmon Tataki Salad und Penne all’Arrabbiata bis hin zu Wiener Schnitzel, Flammenkuchen, Steak und Barbecue Burger, 2014 folgte – als vorerst letzter Streich – das Lugeck am gleichnamigen Platz im 1. Bezirk, wieder ein mehr lokal geprägtes Lokal, in dem man sich – bis heute mit noch nicht überzeugendem Erfolg – der Neuinterpretation und Weiterentwicklung österreichischer kulinarischer Klassiker verschrieben hat (gleichwohl die Qualität noch längst nicht überzeugt, ein ungleich löblicheres und anspruchsvolleres Unterfangen, als dummen Touristen-Heerscharen Fleischklopse in Brötchen zu braten); dazu wird noch – ich weiß weder seit wann noch warum – ein Coffeeshop in Schwechat am Flughafen betrieben. Die jetzigen Patrone des Figlmüller-Wirtshaus-Imperiumchens, die Brüder Hans und Thomas Figlmüller, beweisen mit diesen Aktivitäten nicht nur einen ausgesprochenen Geschäftssinn, sondern zugleich auch Traditionsverbundenheit gepaart mit Innovationsgeist und Neugierde. Auch wenn der geneigte Schreiber längst nicht alles goutiert, was man in den diversen Figlmüller-Locations serviert, so ist es doch immer wieder neu, vielleicht nicht innovativ, so doch zumindest neu, und unendlich spannender als die Eröffnung des fünften Klons des überteuerten Kuh-Kochers.

So „anders“ die Gastro-Konzepte von joma oder Lugeck auch sein mögen, so „gleich“ bleibt das Stammhaus der Figlmüllers in der Wollzeile. Angesichts der Enge des Etablissements und des steten Andrangs von Gästen ist die Speisekarte sehr reduziert: 3 Vorspeisen/Suppen, ein Dutzend Hauptgerichte, ein paar Salate und Beilagen, das war’s. Keine Desserts, keine Tageskarte, keinen Kaffee, kein Bier, nur noch ein paar Weine, Säfte, Aperitifs und Schnäpse; aber dafür ist die Speisekarte gleich zweisprachig Deutsch-Englisch, und da weiß man dann auch endgültig, wo man sich befindet: in einem der touristischen Mega-Hotspots der Stadt. Und dafür reicht der Umfang dieser Speisekarte vollkommen. Ich kenne keinen meiner Wiener Freunde, der regelmäßig in’s Figlmüller ginge – als Einheimischer geht man hier nur her, um Gästen zu zeigen, wie groß ein Schweineschnitzel sein kann, wenn man es nur richtig und lange genug klopft. Die weitaus meisten Gäste bestellen ohnehin das legendäre Figlmüller-Schnitzel vom Schwein, vielleicht vorab noch eine Frittatensuppe. Leber in verschiedenen Zubereitungsarten, Tafelspitz, Gulasch oder Hühnerschnitzel  werden zwar auch angeboten, aber ich frage mich meistens, wozu überhaupt, angesichts dieser konspirativen Schnitzel-Orgie.

Und die konspirative Schnitzel-Orgie mit anschließendem kollektivem Schnitzel-Delirium, das ist wahrscheinlich der einzige Grund, warum man tatsächlich zum Figlmüller strömt. Aus dem Schweinerücken soll es geschnitten sein, nicht aus der Nuss (wie beim Kalbsschnitzel), im Schmetterlingsschnitt ca. 220 g schwer und sodann unter Plastikfolie geduldig solange ausgeklopft werden, bis es seine legendäre Größe – etwa die eines Abort-Deckels, oder (appetitlicher ausgedrückt) so groß, dass es serienmäßig über den Rand des (ebenfalls nicht gerade kleinen) Serviertellers ragt – erreicht hat. (Ich habe beim Figlmüller noch niemals das Klopfen zahlloser Fleischklopfer vernommen: entweder werden die Schnitzel anderswo vorgeklopft, oder die Küchenkatakomben unter’m Figlmüller sind sehr tief und schalldicht, oder man rollt die Schnitzel ähnlich wie Pizzateig durch Walk-Maschinen, oder aber … die fahren einfach mit dicken Dampfwalzen über arme Säue und schneiden dann die passenden Schnitzel einfach raus … – – – nichts Genaues weiß ich auch nicht, aber Klopfen ist definitiv keines im Lokal zu vernehmen.) Das Fleisch wird sodann ganz normal mehliert und paniert, dann aber nicht in einer Pfanne, sondern in drei Pfannen hintereinander mit unterschiedlichen Fett-Temperaturen ausgebacken und sofort heiß serviert. Was lässt sich kritisch über diese kulinarische Ikone sagen? Das Fleisch ist stets von tadelloser Beschaffenheit, kein Fett und keine Sehnen, nicht wässrig, mit Struktur und sogar mit etwas Eigengeschmack; es ist durch das Ausklopfen natürlich sehr dünn und dadurch sehr trocken – man kann das mögen oder auch nicht, aber das ist das Wesen des Schnitzels Wiener Art. Das Ausbackfett ist immer frisch und tadellos – im Gegensatz zu so manchem gemütlichen Beisel abseits, im Figlmüller sind halt die Menge und der Durchsatz da. Die Panade ist zwar – auch bei allergrößtem Andrang – immer knusprig-resch und nicht fetttriefend (wie machen die das nur bei der Menge? Auch das beste Fett wird mal kühler, wenn man viel Backgut hineingibt, und dann saugt sich die Panade voller Fett.), aber sie ist längst nicht immer so abgehoben, mit Blasen, wie sie beim perfekten Schnitzel Wiener Art sein sollte, hier besteht noch Optimierungspotential.  Der auswärtige Reisende ist beim Schnitzel reflexartig bestrebt, eine Beilage zu haben; in Ermangelung von Pommes (Gott sei Dank!) auf der Karte bestellt er dann Röst- oder Petersilienkartoffeln und vielleicht noch einen Salat. Wenn Sie nicht Obelix sind: ganz großer Fehler. Die Beilage zum Schnitzel ist die Panade, da sind bei der Fläche gut und gerne ein bis zwei Brötchen drinnen, dazu noch in knuspriger Form. Wenn Sie ganz verwegen/-fressen sind, bestellen Sie vielleicht noch einen Vogerlsalat (oder Nüsschen oder Feldsalat), der ist immer frisch, tadellos geputzt (was bei Feldsalat längst keine Selbstverständlichkeit ist) und das Dressing mit (ebenfalls immer frischem – wg. genügend Durchsatz, s.o.) Steirischem Kernöl ist ganz exzellent; der Kartoffelsalat ist zwar ebenfalls hervorragend, aber regelmäßig zu viel.

Ebenso, wie man den Urmeter in Paris nicht als zu lang oder zu kurz kritisieren kann, kann man das Figlmüller-Schnitzel nicht als gut oder schlecht bewerten. Das Figlmüller-Schnitzel ist einfach der Benchmark in Sachen Schnitzel Wiener Art weltweit. Sicherlich könnte man Fleisch von bei Neumond geschlachteten Hällisch-Westfälischen-Eichel-Dingsda-Säuen nehmen, diese mit Wattebällchen breit klopfen, mit Salz vom dritten Achttausender von links im Himalaya würzen und sodann in von Mönchen gewonnenem Yaak Gee auf offener Sandelholz-Flamme in handgedengelten Kupfertöpfen braten, vielleicht würde das sogar deutlich besser schmecken als ein Figlmüller-Schnitzel, aber es wäre eben kein Schnitzel Wiener Art mehr. So gesehen, ist der Figlmüller sicherlich der Gralshüter der „Wiener Art“. (Wobei es seit geraumer Zeit eine Diskussion zumindest unter Wiener Gastronomen gibt, was denn das „echte“ „echte Wiener Schnitzel“ sei, das vom Kalb oder das vom Schwein; die Kalbs-Apologeten können sich nicht nur auf oben bereits erwähnten Codex Alimentarius Austriacus von 1891 (dem Vorläufer des heutigen Österreichischen Lebensmittelbuches) berufen, sondern auch auf das vermeintliche Vorbild der costoletta alla milanese (Radetzky hat allerdings nie Rezepte aus Italien mitgebracht, außerdem hat Maria Anna Neudecker bereits1831 in ihrem „Allerneuestem allgemeinen Kochbuch“ des Rezept für „Wiener Schnitzel vom Kalbfleisch“ aufgeschrieben) und natürlich auf die reichlich dokumentierte höfische Tradition der kuk-Küche, die ja durch und durch eine Rindfleisch-Küche ist und wenig mit Schwein am Hut bzw. an der Doppeladler-Krone hat; die Schweine-Verfechter hingegen machen sich gerade diese Argumentation zunutze indem sie sagen, Kalbsschnitzel sei eine rein höfische Angelegenheit und habe rein gar nichts mit dem echten Wiener Bürger, seinem Leben und seiner Küche zu tun, der gemeine Wiener als solcher habe hingegen immer schon – allein aus Kostengründen – Schwein und Schweineschnitzel gegessen, und damit seien Schweineschnitzel die „echten Wiener Schnitzel“, Kalbsschnitzel hingegen nur der höfisch-dekadente Abklatsch.) Aber lassen wir diese gastrosophischen Streitereien. Figlmüller ist Kult, Figlmüller ist Benchmark und Figlmüller ist Gralshüter, punktum. Und man muss trotz des gewinnträchtigen Massenauftriebs von Touristen, deren Zahlungsbereitschaft und –fähigkeit deutlich größer sind als ihr Hunger und vor allem als ihr kulinarisches Verständnis, zugeben, beim Figlmüller achtet man auf Qualität: gute Rindssuppe, ordentliches Fleisch, frisches Fett, wirklich gute, frische, sauber geputzte, knackige Salate, selbst die Weine akzeptabel (wenngleich mit 4 bis 5 Euro für ein Achtel recht sportlich bepreist). Eine besondere Erwähnung sind zweifelsohne die Bedienungen im Figlmüller wert, aus allen kuk-Landen bunt zusammen gewürfelt, freundlich, multi-lingual, höflich, unermüdlich, flott heiße Fleischflatschen schleppend und halb leer gefressene Teller ohne Murren und Knurren zurück tragend: das ist kein Vergleich etwa zu den mauligen Münchner Bierkrugschleppern, den unverschämten Berliner Buletten-Bringern oder den frech-dreisten Köbesens Kölns. Das Personal im Figlmüller ist immer vollkommen korrekt, selbst im Abweisen und Vertrösten von Gästen ohne Reservierung (s.o.). Ach ja, und wenn Sie in Wien sind und keine Reservierung für den Figlmüller ein paar Wochen im Voraus getätigt haben, sprechen Sie vertrauensvoll mit dem Concierge oder Rezeptionisten Ihres Hotels; wenn Sie den richtigen Ton erwischen, wird er (nein, ich schreibe jetzt hier nicht pc-devot „er oder sie“) verständnisvoll nicken, zum Telephonhörer greifen und das für Sie regeln, schließlich ist man in Wien, und a‘ Bissl‘ was geht immer, zwischen Wiener Concierges und Wiener Oberkellnern; und Sie sollten nicht vergessen, sich für diesen Extra-Service beim Concierge wenigstens mit dem netten Bild eines antiken Viadukts zu bedanken. Denn einmal im Leben sollte man ein Figlmüller-Schnitzel gegessen haben, alleine um mitreden zu können. Ob das auf Dauer eine Leibspeise werden kann, das wage ich zu bezweifeln, da ziehe ich dann doch kleinere, feinere Sachen vor. Und „Weihestätte traditioneller, heimischer österreichischer Gastronomie“ als solcher ist der Figlmüller sicherlich nicht, nicht in der Wollzeile, nicht in der Bäckergasse, nicht in Döbling, schon gar nicht am Hohen Markt, zu was sich das Lugeck mausert, wird man beobachten müssen. Die Schnitzel sind – ich wiederhole mich – Benchmark, der Rest ist mittelmäßiger gastronomischer Standard mit etlichen Downsides immer wieder, sonstige Upsides wären mir noch nicht nachdrücklich aufgefallen.

 

Figlmüller Wollzeile
Wollzeile 5
1010 Wien
Österreich
Tel.: +43 / 1 / 512 61 77
Fax: +43 / 1 / 320 42 57 320
E-Mail: info@figlmueller.at
Internet: https://www.figlmueller.at/de/
Hauptgerichte von 12,50 € (Hühnerschnitzel) bis 20,50 € (Tafelspitz)

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