Das Pupp und ich oder wie mein Taufpate seinen Job verlor. (2/8)

Aber es geht hier weder um Daniel Craig noch um James Bond, es geht um meine ganz persönliche Beziehung zum Grandhotel Pupp in Karlsbad, und die begann lange vor meiner Geburt. Der Standerer Franz (eine sudetendeutsche Eigenart, Vor- und Nachnamen zu vertauschen, eigentlich hieß er Franz Standerer), Sudetendeutscher mit slowenischen Wurzeln aus der Gegend von Petschau, genau genommen aus einem winzigen Flecken Namens Neudorf, Vetter meines Großvaters, Bauernkind wie alle in der einst weit verzweigten Familie war nämlich – aus welchen heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen auch immer – mein Taufpate. Obwohl Taufpate, habe ich ihn ganz selten gesehen, er wohnte irgendwo anders, kam einige Male zu meinen Großeltern zu Besuch, ich erinnere mich nur noch an seine riesigen Hände, seine großen Ohren, seine mächtige Gestalt und an sein sonores, herzliches Lachen; so musste Rübezahl lachen, wenn er gut gelaunt war, dachte ich als Kind immer. Wenn er – der Taufpate, nicht Rübezahl – mich schreiendes Bündel nicht gerade über eine Taufschale hielt – was relativ selten, genau genommen nur einmal vorkam – kellnerte er, und das wohl einstmals mit Bravour. Dieses Bauernkind, bar jeder höheren Bildung, beherrschte irgendwann einmal fünf Sprachen, Deutsch, Französisch, Englisch, Tschechisch und Russisch, das flog ihm angeblich ohne großes Lernen einfach so zu. Ich persönlich parliere heute leidlich Englisch, mit der Französischen Sprache habe ich mich dreimal in Schule, Volkshochschule und Uni angelegt, jedes Mal hat die Französische Sprache haushoch gewonnen; dieses Sprachbegabungs-Gen scheint definitiv nicht auf mich übergegangen zu sein. Aber just diese Sprachbegabung brachte meinem Taufpaten in jungen Jahren einen Ausbildungsplatz als Servicekraft im Pupp ein, und schließlich schaffte er es zum Kellner im Französischen Restaurant des Hauses, der nobelsten Abfütterungsstätte des ohnehin schon noblen Hauses, mit höchstkarätigem internationalem Publikum;  nicht nur die Bezahlung war hier für das Sudetenländische Verhältnisse exorbitant, dazu kam noch ein sehr erklecklicher Anteil an den Trinkgeldern, die zentral eingesammelt und nach einem festen Schlüssel vom Chefportier bis zur Küchenhilfe verteilt wurden, wobei der Chefportier – nageln Sie mich nicht fest – einen deutlich zweistelligen Prozentsatz, die Küchenhilfe hingegen einen Komma-Null-Null-Irgendwas-Nachkommastellenbetrag bekam, aber immerhin wurde geteilt, irgendwie, nicht gerade basiskommunistisch, und mein Urahn bekam eben auch seinen erklecklichen Teil davon ab. Dies führte zu einem gewissen Kapitalüberschuss – ich spreche nicht von Wohlstand – bei meinem Altvorderen, der nach Reinvestition verlangte. Diese Reinvestition sah so aus, dass er nach dem Ende der Badesaison, das war in Karlsbad meist Ende August / Anfang September, noch mithalf, das Haus winterfest zu machen, mit seinen Kollegen die gelungene Saison feierte, seine Sieben Sachen zusammenpackte und dann in sein einen Tages-Fußmarsch entfernte Heimatdorf mit der Miet-Pferdekutsche (der Vorläufer des Taxis, liebe Kinder) zurückfuhr. Eine Kutsche, das war schon allein für sich eine mittegroße Sensation in Neudorf, eine Kutsche sah man dort vielleicht mal, wenn sich Jagdgäste der Metternichs verirrt hatten oder wenn die Angehörigen eines Schwerkranken tatsächlich nach dem Arzt in Petschau schickten, der dann nach einigen Tagen ebenfalls mit der Kutsche nach Neudorf kam; meist war es jedoch einfacher und billiger (und für die Erben einträglicher), den Kranken einfach sterben zu lassen. Mit solch einer Mietdroschke fuhr mein Taufpate also jeden Herbst in Neudorf ein. Das ganze Dorf erwartete ihn schon sehnlich, vor allem die Kinder, für die er Jahr für Jahr eine große Tüte Bonbons aus Karlsbad mitbrachte und diese nach seiner Ankunft auf dem Dorfplatze, noch auf der Kutsche stehend, in die wartende Kindeschar warf. So macht man sich Freunde. Von da ging es nicht etwa zu seiner alten Mutter, bei der über den Winter mehr oder eher weniger lebte, sondern in’s Dorfwirtshaus, wo ihm nach und nach die gesamte männliche, deutsch-stämmige Bevölkerung folgte (die Tschechen wurden damals im eigenen Lad gehörig von den Sudetendeutschen diskriminiert, mit „Solchen“ oder „Tschuschen“ sprach man nicht und machte man keine Geschäfte, die taugten höchstens als Dienstboten; ein waschechter Sudetendeutscher sähe das natürlich gehörig anders, der würde sagen, dass das Sudetenland nie wirklich zur Tschechei gehörte, sondern eigentlich Kraft der Bevölkerungs-Mehrheit zu Deutschland; aber lassen wir das, das ist ein zu weites Feld …). Im Wirtshaus hielt der Standerer Franz alle deutschen, männlichen Dorfbewohner und auch beherzte oder erboste Weiber, die sich in dieses Saufgelage trauten, für wenigstens eine Woche frei, alle soffen auf seine Kosten, was das Zeug hielt. Mein Großvater kolportierte immer wieder die Geschichte, dass einmal der Herr Pfarrer sogar die Heilige Messe verschlafen habe, weil er angesichts der Feier zur Rückkehr des Standerer Franz zu besoffen gewesen sei, den Weg in die Kirche rechtzeitig zu finden. Nach einer Woche ging mein Taufpate dann doch mal heim zu seiner Mutter, aber nur kurz. Eigentlich verbrachte er nahezu die gesamte Zeit in der Heimat im Dorfwirtshaus, er schlief auch dort, einfach so, besoffen auf der Bank, den Kopf auf dem Tisch, und die Wirtin ließ ihren mit Abstand besten Kunden gewähren. Meistens reichte sein Geld bis zum Jahresanfang, danach ließ er anschreiben, auch dies tat die Wirtin ohne Widerspruch gerne, in dem Vertrauen, dass im nächsten Herbst wieder ein verlässlicher Geldsegen anstünde. Ab Februar / März soll mein Taufpate durch den monatelangen, massiven Alkoholmissbrauch so im Tran gewesen sein, dass er noch nicht mal raus auf den Misthaufen schaffte (wohin man sich auf dem Dorfe zu dieser Zeit zum Pissen und Scheißen gemeinhin begab), vielmehr öffnete er unter dem Tisch den Hosenstall, legte sein bestes Teil über den Spazierstock zwischen seinen Beinen, und ließ es einfach wie die Natur es verlangte an diesem herunterrieseln. Ich habe mir immer überlegt, wie das wohl technisch gehen mag, habe aber von einem Selbstversuch bisher abgesehen. Und selbst bei diesem unappetitlichen Treiben ließ die Wirtin ihn gewähren und spülte den Boden regelmäßig mit großen Kübeln Wasser.  Im Mai begann die Kursaison in Karlsbad wieder, spätestens Ende März begab sich mein Taufpate zurück nach Karlsbad, pleite bis auf’s Hemd, verschuldet, und daher zu Fuß, nicht etwa wieder mit der Kutsche, der Tagesmarsch mag der Ernüchterung dienlich gewesen sind. So ging das viele Jahre, bis der Alkoholismus den Standerer Franz auch von April bis September einholte und seine Chefs bemerkten, dass er betrunken bei der Arbeit war. Nach einer eidringlichen, aber nutzlosen Ermahnung wurde er in’s Tschechische Restaurant des Hauses, nicht so fein wie das Französische, versetzt, die  Bezahlung war hier schlechter und auch der Anteil am Trinkgeld-Topf. Doch der Standerer Franz soff stur weiter, aus Protest und Kummer wohl noch mehr als vorher, was ihm schließlich nicht die Kündigung, sondern einen Posten in der Dienstboten- und Kutscher-Schenke des Pupp einbrachte, eine wohl recht üble Kaschemme, wo die Reste aus den herrschaftlichen Restaurants für die Dienerschaft verkocht und wohlfeil angeboten wurde, und wo die Hälfte der Gäste ohnehin ebenfalls im Öl war. Da war es vorbei mit Kapital-Überschuss, Fettlebe, Bonbons für die Kinder, Kutsche und Freibier, der Standerer Franz konnte gerade noch so seinen eigenen Schnaps und das Wenige, das er aß, finanzieren. Des Winters wurde er nur noch selten in dem Neudorfer Gasthaus gesehen, die meiste Zeit verbrachte er alleine oder mit wenigen Kumpanen zechend bei seiner Mutter, die sich zwar immer gewünscht hatte, ihr Sohn möge mehr bei ihr daheim als in der Kneipe sein, aber gewiss nicht so. Dann kamen Krieg, Einberufung, Marschbefehl, Heimaturlaub, Gefangennahme, Vertreibung, Neubeginn in Rest-Deutschland. Die Neudorfer Familie wurde auseinander gerissen, der Standerer Franz landete irgendwo anders als meine Großeltern und mein Vater, aber er fand wieder einen Job in einer Kneipe, kellnerte, heiratete sogar, blieb jedoch kinderlos, aber zumindest mich konnte er über die Taufschale halten, und allen Unkenrufen zum Trotz hat mich dabei nicht fallen gelassen und ich bin auch nirgends mit dem Kopfe aufgeknallt, zumindest damals nicht. Sonst hatte ich wenig von diesem Paten, er wäre gewiss auch ein schlechter Plan B gewesen, wäre meinen Eltern etwas zugestoßen (wozu Taufpaten zumindest nach meinem Verständnis gemeinhin da sein sollten), nun gut, ihnen stieß zum Glück nichts zu, und so endet auch die Geschichte von meinem Taufpaten und dem Pupp.

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