Das Kochbuch Weserbergland – Verschwendung von Papier und Druckerschwärze

Caro hat mich (wieder einmal) geschimpfelt,“Ich muss Dich jetzt mal schimpfeln“, sagt sie dann und – ungeachtet des verniedlichenden Wortes „schimpfeln“ – folgt in der Regel eine gehörige Abreibung verbaler Art. Dabei ging es um etwas scheinbar ganz Banales. Wir waren zusammen im Weserbergland – meiner Heimat – unterwegs. Es gehört zu meinen Angewohnheiten, auf Reisen immer und überall in örtliche Buchhandlungen zu gehen, um dort regionale Kochbücher zu suchen und zu kaufen, meist allerdings erfolglos. Sehr zu meiner Überraschung wurde ich in Holzminden (Stiebel Eltron hat hier seinen Firmensitz, und 11% der weltweiten Produktion an Duftstoffen und Aromen stammt aus Holzminden von der Firma Symrise, deren Aktien machen mir viel Spaß, 2009 für unter 10 EURO gekauft, heute stehen sie bei knapp 100 EURO, nur um das mal gesagt zu haben, aber ansonsten ist es ein trostloses Kaff) fündig, ein Kochbuch aus dem Weserbergland, das ich tatsächlich noch nicht kannte, erschienen 2015 unter dem Titel „Das Kochbuch Weserbergland. Sagenhafte Köstlichkeiten entlang der Weser“, verfasst von den Holzmindener Landfrauen und herausgebracht von einem Verlag Namens edition limosa aus Clenze, der sich in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Landfrauenverband und „DEUTSCHLAND neu ENTDECKEN – Die Initiative für den Erhalt der traditionellen Gastronomie, der kulinarischen Vielfalt und der Lebensqualität in den Regionen Deutschlands“, eine PR-Plattform für Gastronomen und Hoteliers, betrieben von ProCOMMUNICATIONs media & marketing-cooperations aus Soyen offensichtlich der Herausgabe regionaler Kochbücher widmet, jedenfalls zieren die Website des Verlages Dutzende solcher Machwerke aus unterschiedlichsten deutschen Regionen. Das ist im Prinzip gewiss ein sehr löblich. Was mir dann allerdings aus nämlichem Buche entgegenschlug, war alles andere als löblich. Neben einigen netten Landschaftsphotos aus dem Weserbergland, völlig sinnbefreiten Detailaufnahmen irgendwelchen Zeugs, einem huldvollen Geleitwort einer Landrätin und holprigen Texten irgendwelcher Leute über irgendwelche Sachen aus dem Weserbergland finden sich Rezepte für Couscoussalat, Italienischen Nudelsalat, Rucolasalat mit Feigen, Cannelloni auf Spinat, Cashew-Braten, Exotische Fischpfanne, Virgin Caipirinha, Vollkorn-Quiche usw., dazu zugegebener Maßen auch einige echte traditionelle Rezepte aus der Region wie Bohneneintopf, Kartoffelknödel mit Zwetschgen, Kochkäse oder Rhabarberkuchen, allerdings keinerlei hilfreichen Bilder der Gerichte oder deren Zubereitung, statt dessen sinnlose Bildchen von Flussauen, Schafen und Landfrauen. Für mich ein Kochbuch von der schlechten Art, damit beweist man seiner Heimat meines Erachtens einen Bärendienst, vertreibt die Leute eher aus dem Weserbergland, als dass man sie anlockt.

Meine ich. Und dann kam Caro. Ob ich denn bestimmen könne, was im Weserbergland gekocht würde und welche Rezepte als weserbergländisch niedergeschrieben und publiziert werden dürften und welche nicht. Und wenn eine wackere weserbergländische Landfrau Cannelloni auf Spinat im Weserbergland koche, dann sei das ja wohl auch ein weserbergländische Gericht. Schimpfelte Caro. Nein, entgegnete ich, es gäbe einen traditionellen Kanon traditioneller heimischer Gerichte, mit denen ich 20 Jahre lang aufgewachsen sei und von denen ich sagen kann, dass ich sie zur Genüge kenne, und Cannelloni mit Spinat zählten eben nicht dazu. Nicht etwa, das Cannelloni mit Spinat schlecht seien – wenn sie gut zubereitet sind –, aber sie sind eben nicht weserbergländisch, sondern zugreiste Gerichte. Aber Kartoffeln oder Welsche Bohnen seien doch auch nur „zugereiste“ Pflanzen, Kartoffelknödel oder Bohneneintopf demnach auch nur zugereiste Gerichte, konterte Caro geschickt. Aber, so entgegne ich, diese Gerichte gäbe es hier schon vier-, fünfhundert Jahre, damit seien sie irgendwie heimisch geworden, aber Couscous und Nudeln, die seien erst jüngst über die Alpen geschwemmt worden, vor viel weniger als hundert Jahren, und bei manchen Moden sei es ohnehin fraglich, ob sie dauerhaft in der hiesigen Volksküche Fuß werden fassen könnten. „Ich wette mit Dir“, sagte Caro, dass im Weserbergland im vergangenen Jahr wenigstens zehnmal so oft Nudelsalat gemacht wurde wir Rhabarberkuchen.“ Gutes Argument, zugegeben. Und wahrscheinlich wurde Pizza tausendmal so oft gemacht wie Rhabarberkuchen. Ist Pizza deshalb ein weserbergländisches Gericht? Oder wäre Pizza ein weserbergländisches Gericht, wenn sie mit Weser-Aal und Solling-Pilzen belegt wäre? Eher nicht, dann wär’s noch nicht einmal mehr eine Pizza. Anders herum gefragt: wir fahren nach Mallorca, kaufen dort ein mallorquinisches Kochbuch, und da schlagen uns dann Schnitzel mit Bratkartoffeln, Schweinshaxe mit Kraut und Erbseneintopf mit Knacker entgegen. Wird alles gewiss auf Mallorca gekocht, und wahrscheinlich nicht zu knapp. Sind das deshalb gleich mallorquinische Gerichte, noch dazu welche, die in einem mallorquinischen Kochbuch verewigt werden müssten?

Wahrscheinlich liegt die Wahrheit auch hier in einem Sowohl-Alsauch. Wenn im Weserbergland heutzutage Cannelloni auf Spinat gekocht werden, und auf Mallorca Schnitzel mit Bratkartoffeln, dann sin Kochbücher mit Rezepten für Cannelloni mit Spinat oder Schnitzel mit Pommes zeitgenössische Berichte über aktuelle Kochsitten aus dem Weserbergland / aus Mallorca von heute, das mag von Interesse sein für Food-Ethnologen, Koch-Dilettanten, selbstdarstellungs-süchtige Hausfrauen, Marketingagenturen und suspekte Verlage. Weserbergländische oder mallorquinische Kochbücher sind sie damit noch lange nicht …

DAS KOCHBUCH WESERBERGLAND. Sagenhafte Köstlichkeiten entlang der Weser. Autorinnen: LandFrauenvereine im Kreis Holzminden, edition limosa, Clenze: 2015, ISBN-Nr.:978-3-86037-583-9, 19,90 €

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