Summa summarum: Außen ein schönes, historisches Fachwerkhaus inmitten des ausladenden Fachwerkensembles des Einbecker Marktplatzes, innen Gaststätten-Beliebigkeit ohne Flair, sehr leckere Biere von der Einbecker Brauerei, gutes Brot, die Küche hat uns durch die Bank weg maßlos enttäuscht, der Service hat sehr viel Potential nach oben
Man sollte Caro keine nicht-juristischen Bücher in die Hand geben, da kommt in der Regel nur Murx bei raus. Aus Gründen, die ich weder nachvollziehen kann noch zu verantworten habe, hatte sie ausgerechnet ein Buch über die Geschichte des Bieres gelesen, Caro, die passionierte Rum-, Pisco- und natürlich Wein-Trinkerin liest ausgerechnet ein Buch über Bier. Der ganze Schmonzes mit China, Natufien, Mesopotamien, Ägypten und Kelten hat sie dabei wohl ebenso wenig gefesselt wie die verschiedenen Biersorten, Brauweisen und die weltweiten Pro-Kopf-Verbrauche. Festgebissen hatte sie sich an einer Marginalie der Weltgeschichte des Bieres, nämlich dass die Wittelsbacher Herzöge sich spätestens seit 1555 ihr Bier in Fässern auf Ochsenkarren aus Einbeck von den Welfen liefern ließen, bevor sie ihr erstes Bayrisches Hofbräuhaus 1573 auf der Burg Trausnitz über Landshut gründeten; das dortige Gebräu muss wohl nicht der Bringer gewesen sein, so dass die Wittelsbacher 1614 einen Einbeckischen Braumeister namens Elias Pichler nach München abwarben, damit er sein „Ainpöckisch Bier“ für die Bayern braute. Aus „Ainpöckisch Bier“ wurde dann irgend wann mal „Bockbier“. Caro zeigte sich hoch-amüsiert darüber, dass die Bayern, diese Gralshüter der Bierkultur, das richtige Bierbrauen ausgerechnet von den Welfen gelernt haben. Also hatte sie sich in den Kopf gesetzt, diese Weihestätte der heiligen Bierbraukunst deutscher Nation einmal selber aufzusuchen, natürlich nicht ohne mich mitzuschleifen, um mir „altem Bayern“ einmal zu zeigen, was „richtiges Bier“ sei. All meine Beteuerungen, dass ich eigentlich gebürtiger Niedersachse sei, keine 50 Kilometer von Einbeck aufgewachsen, und dass ich Einbecker Bier quasi schon mit der Muttermilch aufgesogen hätte, nutzten da nichts, ich musste mit nach Einbeck. Warum nicht, das hübsche Schlosshotel Hardenberg mit der gleichnamigen formidablen Brennerei und seinem kleinen, feinen Restaurant Novalis liegt keine 30 Kilometer entfernt (der Frankfurter Kranz mit Mandelkrokant ist phantastisch, mehr dazu ein andern Mal), und von Caro einladen lasse ich mich allemal sehr gerne, wenn sie ihren Willen partout bekommen will.
Also, am letzten April-Wochenende von Hardenberg nach Einbeck, ein wirklich nettes, uraltes, gut erhaltenes, mittelalterliches Fachwerkstädtchen im Ilmetal an den Ausläufern des Harzes. Brauereibesichtigung muss leider ausfallen, weil geschlossen. Aber da gibt es noch das – angeblich – älteste Gasthaus Niedersachsens, das Brodhaus am Marktplatz, in dem auch alle Einbecker Biere ausgeschenkt werden sollen. Allein die Geschichte des Hauses liest sich wie ein Historien-Roman. 1333 erstmals urkundlich erwähnt, 1596 vom einem Augustinermönch namens Heinrich an die Einbecker Bäckergilde verschenkt, unter der Bedingung, dass diese für ewige Zeiten allen Pfarrkirchen im Umkreis kostenlos Hostien für das Abendmahl liefert, und diese Verpflichtung soll bis heute bestehen. Sowas atmet doch förmlich Geschichte und schreit danach, erkundet zu werden. Von außen ist das Haus tatsächlich furchtbar historisch-authentisch, innen ist es eher rustikal, kühl, sacht modernistisch, keinesfalls historisch, urig, authentisch, vielmehr schlichtes Speiserestaurant halt, ohne sonderlichen Charme, ohne sonderlichen Tadel, diese Inneneinrichtung könnte auch in einem beliebigen Wolkenkratzer verbaut sein, der sich ein historisierend-rustikales Restaurant gönnen will, großflächige historische Photos machen noch keine Historie aus. Die Speisekarte liest sich auf den ersten Blick unauffällig, hat es aber in sich. Zuerst einmal – wie heute halt so üblich – der ganze Sermon mit Historie, regional, örtlichen Lieferanten, hausgemacht, ehrlich, traditionell, bla-bla-blubb-blubb. Nun gut, außer dem Carpaccio, dem gebeizten Lachs und dem Züricher (!) Geschnetzelten sind die Speisen zumeist tatsächlich traditionell-deutsch, nicht etwa typisch niedersächsisch, sondern eher beliebige deutsche Plumpsküchen-Versatzstücke: vier Schnitzel, Nackensteak, Schweinebauch, Matjes, Gulasch, Harzer Roller, Strammer Max, dazu Willkürlichkeiten wie Ofenkartoffeln mit verschiedenen Toppings, Steak, Gemüsepfanne, Pesto-Nudeln. Da reißt’s die Spargel Saisonkarte es auch nicht mehr raus. Für die Kids gibt’s ausschließlich Chicken Nuggets oder kleines Schnitzel mit Pommes – so etwas empfinde ich als Respektlosigkeit vor der jungen Generation. Für diese Speiseauswahl brauche ich eigentlich kein Restaurant aufzusuchen, das bekomme ich in jeder Großmarkt-Tiefkühltruhe, inklusive der auf der Karte reichlich offerierten „Röstitaler“ (dieser runde, frittierte Tiefkühl-Kartoffel-Matsch).
Man kann getrost sagen, dass die Qualität der Speisen, die dann tatsächlich serviert werden, vollumfänglich dem entspricht, was ich nach der Lektüre der Speisekarte erwartet hatte. Vorweg ein paar Stücklein eines wohl tatsächlich selbst gebackenen, recht ordentlichen Brotes mit drei winzigen Kleckschen von hausgemachten Aufstrichen: die Senfbutter mit Senf von der Einbecker Senfmühle weitgehend geschmackarm, das Schmalz ist halt Schmalz, beim Schinkenmus wünscht man sich, dass es ebenso geschmacksarm wie die Senfbutter wäre. Das Elsässer Schnitzel mit einer Zwiebel-Speck-Sahne-Sauce und Bratkartoffeln habe ich nach ein paar Bissen beiseitegeschoben: trockenes Schweinefleisch in einer viel zu dicken, schweren Panade, die Sauce schmeckte wie eine simple Velouté mit reichlich Bacon-Stücklein darinnen, die Bratkartoffeln schließlich total matschig und zerfallen und nur stellenweise gebräunt. Caros Maishähnchenbrust mit Erbsenpüree, Karotten und Wildkräutersalat war auch nicht besser, die Brust entpuppte sich als Keule, die Haut an einigen Stellen schwarz verbrannt, der Wildkräutersalat wurde schlichtweg vergessen. Generell war der Service weder der schnellste noch der freundlichste. Trotzdem hat Caro noch drei Biere probiert – deswegen wollte sie ja eigentlich nach Einbeck –, die wirklich lecker sind, wir sind dann recht schnell gegangen und werden nicht nochmals im Brodhaus einkehren.
Brodhaus Einbeck
Sven Falke
Marktplatz 13
37574 Einbeck
Tel.: +49 (55 61) 9 24 169
E-Mail: info@brodhaus-einbeck.de
Online: https://www.brodhaus-einbeck.de/
Hauptgerichte von 15,90 € (Matjes mit Bratkartoffeln) bis 39,80 € (Rib-Eye-Steak mit Garnelen und Beilagen), Drei-Gänge-Menue von 30,70 € bis 61,60 €