Biber Motten: ziemlich gute Herberge für Reisende

Summa summarum: völlig unprätentiöses Dorfgasthaus mitten in der Mitte Deutschlands, verkehrsgünstig in der Nähe der A7 gelegen, viele Geschäftsreisende als Stammgäste, pragmatische Gästezimmer mit allem, was man pragmatisch braucht – außer Gemütlichkeit –, pragmatische, doch halbwegs nette Gaststuben, hübscher Gastgarten, sehr bodenständige, aber gut gemachte, regionale, bürgerliche Küche ohne Spinnereien und Zeitgeist, genau der richtige Ort zum Entspannen und für ein ehrliches Schnitzel nach einem zwölf Stunden Arbeitstag

Ich habe vom Weserbergland in den Bayrischen Wald zu fahren, das sind rd. 600 Kilometer. Auf der Autobahn ist diese Distanz in sechs Stunden zu machen, aber Autobahnen meide ich, wo immer es geht und ich die Zeit habe, auf Bundesstraßen sind es acht Stunden Fahrt, aber auch Bundesstraßen mag ich nicht sonderlich, auf Landstraßen werden das leicht zehn, zwölf Stunden. So etwas mache ich ohne Not nicht mehr an einem Tag, aber zwei Mal fünf, sechs Stunden Fahrt auf kleinen Straßen über Land im Cabrio im späten Frühling bei herrlichem Wetter, das hört sich nach einem Plan an, zumal die Rhön um diese Jahreszeit besonders schön ist. Auf der elektrischen Landkarte lasse ich mir eine provisorische Route anzeigen. Etwa auf der Hälfte der Strecke lasse ich mir dann Landgasthäuser anzeigen, der Wissensgott ist da ziemlich gut und vollständig. Zuerst schaue ich mir bei den gefundenen Etablissements die Photos von Gästen an, bei den meisten Gasthäusern bin ich nach 10, 20 Bildern wieder weg (ein frittiertes Convenience-Röstinchen auf einem Bild oder massiver Schimmel in der Dusche, und das war’s). Bei dem verbleibenden – spärlichen – Rest schaue ich mir auf der hauseigenen Webpage als erstes nicht die Hochglanz-Photos an, die das Haus online gestellt hat, sondern die Speisekarte, steht diese nicht online, war’s das, oder finde ich dort dann die Röstinchen, dann war’s das auch, selbst eine kroatisch-deutsche Speisekarte ist für mich ein Ausschlusskriterium (obwohl ich die kroatische Küche eigentlich liebe, aber wenn ich durch Deutschland fahre, will ich regionale deutsche Küche). Da bleibt dann nicht mehr viel. Bei meiner aktuellen Planung waren es dann das Schlundhaus in Bad Königshofen im Grabfeld oder das Hotel und Gasthof Zum Biber in Motten in der Rhön. Die erste Wahl war ehrlich gesagt das Schlundhaus – allein schon wegen des Namens –, aber das hatte just Ruhetag. Also flugs den Biber gebucht.

Das Hotel und Gasthaus Biber liegt an der Hessisch-Bayrischen Grenze, direkt an der B27, was allerdings hier nicht viel heißt, der Verkehr ist sehr mäßig und erträglich. Am Horizont sieht man die mächtige Brücke der A7 über’s Tal (tausendmal drübergefahren und vielleicht in’s Tal geblickt, niemals im Tal gesessen und auf die Brücke geblickt). Die A7 bestimmt wohl auch die Gästeschar im Biber, zur Autobahnausfahrt Bad Brückenau/Volkers sind es gerade mal 4 Kilometer. Die meisten Übernachtungsgäste scheinen Geschäftsreisende zu sein, so in der Preisklasse VW Passat bis 5er BMW, und bei dem vertrauten und herzlichen Umgang des Personals mit den Reisenden kann man wohl davon ausgehen, dass die meisten Stammgäste sind, klar, der Biber liegt ungefähr auf halbem Wege zwischen München und Hamburg (+/- 100 Kilometer), zentral mitten in Deutschland. Und Gäste, die wiederkommen, sind immer ein gutes Zeichen.

Das Haus selber ist sehr unspektakulär, kein architektonisches Kleinod, weder außen noch innen, mehr ein Fuchsbau aus Stuben, Gängen, Treppen, Zimmern, dazu ein kleiner Verkaufsraum mit regionalen Produkten (früher schien es hier eine hauseigene Metzgerei zu geben), aber sauber, alles gut in Schuss, irgendwie eine Mischung aus pragmatisch und halbwegs gemütlich, unser Zimmer ist zwar im dritten Stock unter dem Dach (und das ohne Aufzug!), aber tadellos, hell, modern eingerichtet, großes Bad, sauber, das ist vielleicht keine Umgebung, in die man sich zurückziehen würde, wenn man ein halbes Jahr lang in aller Abgeschiedenheit einen Roman schreiben will, auch einen romantischen dreiwöchigen Urlaub würde ich hier nicht verbringen wollen, aber als sehr ordentliche Herberge für eine Nacht auf der Durchreise ist der Biber ideal.

Caro hatte Hunger: sie war schneller, als ich photographieren konnte

Die Gasträume passen schon irgendwie, sind aber nicht wirklich behaglich, doch hinter dem Haus befindet sich im Garten eine sehr lauschige Terrasse mit Blick auf die Wälder und die mächtige Autobahnbrücke, dort ist es schön. Bei den Restaurantgästen würde ich sagen, zur Hälfte Einheimische, zur Hälfte Geschäftsreisende, ein sehr gutes Zeichen. Warme Küche gibt es durchgängig von 11:00 bis 21:00 Uhr. Die meisten Produkte für die Küche stammen von regionalen Erzeugern aus der Umgebung (sofern die Speisekarte nicht lügt), Honig aus hauseigener Imkerei, selbst gemachte Wurstwaren, dazu selbst gemachter Hagebuttenwein und -schnaps (ein schreckliches Gebräu, ich spreche aus Erfahrung). Die Speisekarte ist gänzlich unspektakulär, aber solide-bodenständig. Drei Suppen, keine expliziten Vorspeisen und nur eine Salatplatte mit Geflügel, verschiedene kurz gebratene Kuh-, Schweine- und Geflügelstücke wie Steaks und Schnitzel, dazu Gesottenes wie Rouladen, Gulasch, Sauerbraten, Rindfleisch mit Meerrettichsoße, vier Fischlein (Forelle blau und Müllerin, Lachs und mein alter Freund der Zander), vier Mal heimisches Wild und Lamm (e.g. Rehkeule oder Wildschweinragout), zwei Sachen für die Essgestörten, dazu Brotzeiten wie Bratwürste, Strammer Max, Wurstbrot, die Nachtischkarte ist 08/15-Eis-lastig, die üblichen Verdächtigen wie Schwarzwaldbecher und Eis mit heißen Himbeeren, interessanter ist da schon das hausgemachte Hagebutten-Parfait. Dazu gibt es Ende Mai eine saisonale Spargelkarte. Die Speisekarte erinnert ein wenig an „Hotel California“ von den Eagels: „This could be heaven, this could be hell.“

Was dann tatsächlich kommt, ist mehr heaven denn hell. Die Tagessuppe ist eine sehr kräftige Fleischbrühe mit einem großen, tadellosen Leberknödel. Danach eine als Vorspeise geteilte Portion Spargel, auf Nachfrage hatte der Kellner unumwunden eingestanden, dass die Hollandaise aus dem Tetrapack stamme, dann doch lieber Butter, der Spargel selber ohne jeden Tadel, gut geschält, auf den Punkt gekocht, leicht bitterlich. Tadellos auch der fränkische Sauerbraten, weiches, aber nicht breiig-zerkochtes falsches Filet, kräftige, deutlich säuerliche Sauce, gute Kartoffelknödel mit reichlich Schwabensand obendrauf, leicht süßliches, schlorziges Rotkraut (wahrscheinlich aus der Dose). Nicht nur tadellos, sondern richtig gut der Zwiebelrostbraten, bestens abgehangenes, butterweiches Rind, wie bestellt perfekt medium-well done (ich hab’s nicht so mit den halbrohen Fleischfetzen), ein Berg frisch sautierter, heißer Zwiebeln, dazu wirklich gute Bratkartoffeln und ein – naja – so-so saurer Salat. Das hausgemachte Hagebuttenparfait zum Abschluss dann richtig, richtig gut. Das ist bürgerlich-dörfliche Küche at it’s best, unprätentiös, ehrlich, gute Rohstoffe, zeihliche Tricksereien, gut gemacht, keine zeitgeistigen Spinnereien, keine chronisch missglückenden Ausflüge in eine vermeintliche Hochküche, hier bleibt ein Schuster in der Küche bei seinem Leisten. Genau so etwas will ich essen, wenn ich zehn Stunden hinter der örtlichen Ladentheke stand oder auf dem Traktor saß, oder zwölf Stunden als Handelsreisender oder Monteur unterwegs war, da habe ich in der Regel keinen Kopf (und Zunge und Bauch) mehr für kulinarische Feinheiten, da will ich ein ordentliches, gut gemachtes Stück Fleisch. Und genau das bietet der Biber in Motten. Perfekt als Dorfgasthaus, und perfekte Herberge für den Geschäftsreisenden mit mittelprächtigem Spesenbudget und gutem Hunger. Dazu flottes, freundliches, aufmerksames, durchaus launisches Personal. Der Junior-Chef bringt uns bei der Ankunft persönlich durch die Fuchsbau-Gänge des Hauses in unser Zimmer im dritten Stock. Der Umgang mit den offensichtlichen Stammgästen ist vertraut-freundlich: „Du warst schon lange nicht mehr da!“, „Weizen-Cola, wie immer?“, „Vom letzten Mal sind noch zwei Bier offen.“, „Du willst den Salat doch ohne Gurken?“, „Bis nächste Woche, da komme ich wieder vorbei!“, das ist fast irgendwie wie in einer fremden Großfamilie, nicht nur unter den Dörflern, am Morgen steigen die Leute in Autos mit Kennzeichen aus ganz Deutschland. Auch wir als „Neue“ in dieser Großfamilie werden einbezogen. Als ich den dritten Schnaps bestelle, sagt die Bedienung unvermittelt „Du willst doch heute nicht mehr fahren?!“ „Nein, nein,“ entgegne ich, „wir sind Hausgäste.“ „Na gut, dann bringe ich Dir noch was.“, brummt der Kellner.


Hotel & Gasthof zum Biber
Gasthof zum Biber OHG
Harald und Gerd Ziegler
Hauptstraße 17
D – 97786 Speicherz
Tel.: +49 (97 48) 9 12 20
Fax: +49 (97 48) 91 22 66
E-Mail: info@gasthof-zum-biber.de
Online: https://www.gasthof-zum-biber.de

DZ (Ü/F) 100 bis 115 € (pro Zimmer, pro Nacht)

Hauptgerichte von 10,40 EURO (Bratwürste mit Sauerkraut und Brot) bis 29,90 EURO (Filetsteak mit Beilagen); Drei-Gänge-Menue 19,80 EURO bis 43,70 EURO

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