Authentisches Wiener Saft-Goulasch

Während meines Studiums habe ich zwei Jahre in Wien gelebt, und eigentlich vergeht kein Jahr, in dem ich nicht mindestens ein, zwei mal in Wien bin, ich liebe diese Stadt, ich liebe diese morbide Atmosphäre und ich liebe vor allem diese Küche. Zu Studienzeiten habe ich im 2. Bezirk gewohnt, zwischen Tabor und Prater, ein düsteres Viertel, noch mehr herunter gekommen als das restliche Wien, aber schön, liebenswert, lebendig. Meine Münchner Vermieterin hatte einen Cousin in Wien, einen wohlhabenden Antiquitätenhändler, der hatte ein 1-Zimmer Liebesnest in einem uralten Mietshaus mit Klo auf dem Hausflur, außen pfui, aber innen mit schönen Antiquitäten geschmackvoll eingerichtet. Dieser Cousin hatte nun gerade als ich nach Wien wollte seine Gattin davon gejagt und die Dame, mit der er sich sonst in dem Liebesnest getroffen hatte, war bei ihm eingezogen. Dennoch wollte er sein Liebesnest nicht vollends aufgeben – man weiß ja nie, ein kluger, vorausschauender Mensch –, und so kam dem Herren ein Student aus Deutschland mit begrenztem Aufenthalts-Horizont und beleumundet von seiner Vetterin als Zwischen-Mieter gerade recht.

anna-lattnerIn dem Hause eingezogen befreundete ich mich alsbald mit meiner Nachbarin, einer vielleicht 70 jährigen alten Wiener Frau ohne Anhang, von niederem Stande und geringer Bildung, aber voller Herzensgüte und Aufrichtigkeit, Anna Lattner geheißen. Alsbald entwickelte sich eine fruchtbare Symbiose: ich schrieb einige Behörden-Briefe für sie und erledigte beim Einkaufen ihre Besorgungen gleich mit, sie verwöhnte mich mit allerlei Leckereien und Spezereien der Wiener Küche und nahm sich auch ungefragt meiner Wäsche an. Oft saß ich bei ihr in der Wohnküche, schaute ihr beim Kochen zu und wir redeten darüber, wie es denn gerade „bei uns draußen im Reich“ (eine Redewendung die sie immer und immer wieder verwendete, wenn sie das damalige Rumpf-Deutschland meinte) zugehe.

Sie war es auch, die mich in die Geheimnisse des echten Wiener Saft-Goulaschs einführte, und derer sind nicht wenige. Wenn ich mit dem Nachtzug des Morges in Wien am Westbahnhof ankam, führte mich mein erster Weg stets in das dortige (zwischenzeitlich weg-modernisierte: Schande über Euch!) Bahnhofsrestaurant, und dort aß ich morgens um 06:30 glaube ich das Saft-Goulasch mit zwei frischen Semmeln. Wer braucht da Kaviar und Foie Gras? Lange musste ich meine Frau Lattner bitten, bis sie mich zusehen ließ, wie sie ein Saft-Goulasch kochte.

Es fängt an mit der Wahl des Fleisches. Die Wiener nehmen ausschließlich Rindswade (auch Hesse oder Österreichisch Wadschinken), ein gut marmoriertes Fleisch mit viel Bindegewebe und Geschmack, und bereits hier fängt das Problem an. Hesse muss sehr langsam und vorsichtig geschmort werden, damit das gesamte Bindegewebe verkocht und die dabei freigesetzte Gelatine gleichzeitig die Sauce bindet, das macht – neben den verkochten Zwiebeln – einen wesentlichen Teil der typischen Sämigkeit des Wiener Saft-Goulaschs aus. Wenn man dieses Schmoren nicht perfekt beherrscht, dann geht es einem sehr leicht wie dem verhinderten Würger in dem gleichnamigen Lied der einst legendären EAV, dem der Wirt des Beisels empfiehlt: „Probieren’s unser Goulasch / Da haben’s was zum Würgen!“ Meine Frau Lachner hat mir einen – zugegebener Maßen ziemlich verschwenderisch-dekadenten – Tipp gegeben, wie auch der Schmor-Laie zartes Fleisch und gute Sauce bei Goulasch hinbekommt: statt Wade nimmt man Falsches Filet als Fleisch  (die Österreicher nennen es Mageres Meisel) oder das Bürgermeisterstück (Hüftschwanzerl) oder sogar Oberschale (Ortsschwanzel), die entsprechend pariert und in Goulasch-große Würfel geschnitten werden (s.u.); zusätzlich kocht man noch Bindegewebe-reiches Fleisch mit (Faustregel: auf 1 kg Goulaschfleisch 500 g zusätzliches Bindegewebes-reiches Fleisch), z.B. Querrippe, Brust oder sehr gerne Schwanz, am liebsten sogar Ochsenschwanz. Das zusätzliche Fleisch sollte möglichst in großen Stücken sein und ggf. noch mit Küchengarn vor dem Schmoren umwickelt und fixiert werden, damit sie nicht beim Kochen auseinander fallen, sondern schön im Stück wieder aus dem Goulasch entfernt werden können, wenn sie ausgekocht sind; meist erfordert diese Trickserei aber auch, dass man das Goulasch etwas entfettet, da diese billigen Fleischstücke i.d.R. nicht nur Gelatine, sondern vor allem auch Fett abgeben.

Die nächste Klippe sind Art und Menge der Zwiebeln. Einfacher ist die Verwendung großer Gemüsezwiebeln, man muss weniger Schnippeln, aber ein echter Wiener würde nie etwas anders als Zwiebeln aus der Region von Laa an der Thaya für sein Goulasch verwenden. Die Relation von Zwiebeln zu Fleisch ist selbst in Wien bis heute ein Grund für hitzige Dispute und sogar Streitereien. Einerseits binden die zerkochten Zwiebeln die Goulasch-Sauce auf natürliche Weise, sie geben Geschmack und der Zwiebelsaft macht das Fleisch zart, andererseits droht das Goulasch bei zu viel Zwiebeln und unsachgerechter Zubereitung leicht süß zu werden. In den einschlägigen Kochbüchern findet sich alles von 300 g Zwiebel auf 1 kg Fleisch bis 1 kg Zwiebel auf 1 kg Fleisch mit allen möglichen Zwischenstufen. Tja, ich kenne die ultimative Wahrheit hier von meiner Frau Lattner: 750 g Zwiebeln auf 1 kg Fleisch, und jeden, der etwas anderes behaupten will, werde ich einen Hundsfott nennen.

Nun der Paprika. Viel zu oft wird heutzutage gedanken- und kritiklos das rote Standard-Pulver genommen, das wohlfeil in den Gewürzregalen der Nahrungs-Multis liegt. Wer weiß heute noch, welche himmelweiten Unterschiede es bei der Qualität des Paprika-Pulvers gibt. Also, wenn irgendwie erhältlich: Paprika nur aus Szeged, der heimlichen Paprika-Hauptstadt Ungarns. Und das Paprizieren selber, d.h. den exakten Punkt zu finden, an dem das Paprika-Pulver ganz leicht angeröstet aber noch nicht bitter ist – hier geht’s um Sekunden, ist auch eine Wissenschaft für sich – mehr dazu s.u.

Eine weitere Klippe ist das Anbraten. Erstens, man nimmt unbedingt Schweineschmalz, und zwar reichlich, kein neutrales Pflanzenöl oder Butterschmalz. Zweitens ist es „bei uns draußen im Reich“ allgemein üblich, das Fleisch für Goulasch mit / oder nach den Zwiebeln kräftig anzubraten, manche Rezepte empfehlen auch noch, dies in mehreren Portionen hintereinander zu tun (wohl, damit das Wasser, das beim Anbraten billigen Fleisches entsteht, zu minimieren und gleich wieder verdampfen zu lassen) – alles Nonsense, bei einem echten Wiener Goulasch wird kein Fleisch angebraten, sondern nur gedünstet. Angebraten und Röststoffe entwickeln allein Zwiebeln, Knoblauch, Paprika und Tomatenmark.

Und – dann sind wir aber auch mit den Klippen und Tücken durch und können zum Rezept übergehen – die Frage des Ablöschens. Wein hat nichts, aber rein gar nichts in einem Goulasch verloren, auch nicht zum Ablöschen der angebratenen Zwiebeln. Die Zwiebeln werden nach dem Paprizieren mit Wasser mit einem kleinen Spritzer Weißweinessig abgelöscht, sonst nichts. Opulente Köche verlangen dann noch, dass man das Goulasch mit Rindssuppe aufgießt – alles Papperlapapp und Schwätzerei, im Goulasch ist so viel Fleisch, dass man hier keinen zusätzlichen Geschmack braucht, die Sauce wird auch so gut.

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Zutaten:

  • 2 kg Rindfleisch von der Wade (Originalrezept) oder Falsches Filet bzw. Oberschale (Pifke-Fake)*
  • Evtl. 1 kg Ochsenschwanz oder Suppenfleisch (auch nicht Original-Rezept, sondern Pifke-Fake)
  • 1,5 kg weiße Gartenzwiebeln
  • 1 Eßl. weißer Kristallzucker
  • 150 g Schweineschmalz
  • 5 Knoblauchzehen (oder mehr)
  • 50 g Butter
  • 150 g Paprika edelsüß (oder mehr)
  • 50 g Paprika rosenscharf (oder mehr)
  • 100 g Tomatenmark (dreifach konzentriert)
  • 100 ml lauwarmes Wasser mit 50 ml weißem Essig
  • 3 Würfel Cenovix (pflanzliche Brühe, optional)
  • 10 g Majoran (evtl. mehr – je nach Geschmack und Qualität des Majorans)
  • 5 – 10 g Kümmelpulver (evtl. mehr – je nach Geschmack und Qualität des Kümmels)
  • 3 Lorbeerblätter
  • 5 g Thymian
  • Salz

Zubereitung:

  • Rindfleisch waschen, trocken tupfen, in Würfel von ca. 5 cm Kantenlänge schneiden (keine „mundgerechten Stücke“, sondern richtig dicke Brocken, die man später – so sie nicht von selbst zerfallen – mit dem Messer zerteilen muss)
  • Evtl. Ochsenschwanz waschen, trocken tupfen, wenn nötig mit Küchengarn fest verschnüren (damit er beim Schmoren nicht zerfallen kann und Stücke – insb. Knochen – in die Sauce gelangen)
  • Zwiebel Schälen und in kleine Würfel schneiden, Knoblauch schälen und klein hacken
  • 100 ml lauwarmes Wasser mit 75 cl weißem Essig vermischen und bereit stellen
  • Schweineschmalz in einem möglichst großen Topf gut heiß (aber nicht volle Pulle) werden lassen, klein geschnittene Zwiebeln und Kristallzucker dazu geben unter ständigem Rühren goldgelb anbraten, wenn die Zwiebeln goldgelb sind, kleingehackten Knoblauch dazu geben und 30 Sek. mitbraten

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  • Butter zu den Zwiebeln geben, schmelzen lassen
  • Beide Paprika-Sorten über die Zwiebeln geben, sehr rasch gut verrühren, Tomatenmark dazu geben, ebenfalls sehr rasch verrühren – Achtung, für diesen ganzen Vorgang von Paprikas und Tomatenmark dazu geben und gut verrühren bleiben 30, vielleicht 45 Sekunden, nach 1 Minute ist das Paprikapulver bereits z.T. verbrannt und bitter
  • Nach 30, max. 45 Sekunden Zwiebel-Knoblauch-Paprika-Tomatenmark-Gemisch mit lauwarmem Essigwasser ablöschen, sehr gut durchrühren, Bodensatz loskochen

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  • Soviel warmes Wasser dazu geben, dass die Zwiebeln gerade bedeckt sind
  • Würfelig geschnittene Fleischstücke und Ochsenschwanz dazu geben, durchrühren, soviel warmes Wasser dazugeben, dass die Masse max. zu 1/3 im Wasser steht**. Gut durchrühren, einmal vorsichtig aufkochen lassen, Hitze so reduzieren, dass die Flüssigkeit leicht simmert, keinesfalls darf sie kochen. Alle 10 bis 15 Sekunden soll ein Bläschen aus der Schmorflüssigkeit hochblubbern.

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  • Mit ca. 10 g Majoran, 5 g Kümmelpulver, 5 g Thymian, Lorbeerblättern und 1 Teel. Salz würzen und durchrühren***
  • Deckel auflegen, in aller Ruhe schmoren lassen. Gelegentlich umrühren und etwas Wasser nachgießen, so dass das Schmorgut immer zu 1/3 in Flüssigkeit steht.
  • Je nach Fleischqualität und Temperatur 2 bis 3 Stunden schmore lassen; sollte der Ochsenschwanz unterwegs auseinanderzufallen drohen, vorab entfernen****
  • Wenn das Fleisch beim Hineinstechen kernig-weich ist, nochmals mit Majoran, Kümmel, Thymian, Rosenpaprika abschmecken
  • Jetzt hat man zwei Optionen: entweder lässt man die Sauce auf die dickflüssig-sämige Konsistenz einkochen, die man gerne hätte und schmeckt diese Sauce dann final ab; oder aber, man verlängerst die Sauce mit Wasser (in Maßen) auf die Menge, die man gerne hätte, bindest (Cheater!) das Ganze mit wenig fein geriebener und kurz in der Sauce aufgekochter roher Kartoffel, bis die Sauce die dickflüssig-sämige Konsistenz hat, die man gerne hätte und schmeckt diese Sauce dann final ab.*****
  • Wenn man Teile des Goulaschs einfrieren will, dann füllst man jetzt – nach dem finalen Würzen der Sauce und vielleicht ½ Stunde bevor das Fleisch endgültig gar ist  – den Teil, den man sofort essen will, in einen kleineren Topf um, lässt den Rest erkalten und friert ihn später ein.******
  • Das Goulasch für sofort fertig schmoren, final abschmecken, mit frischer Sternsemmel, Salzkartoffeln, kurzen Makkaroni, Spätzle oder was auch immer man mag servieren. Dazu grünen Salat reichen.

* Aus 2 kg Rindfleisch + den entsprechenden Mengen der anderen Zutaten erhält man ca. 8 Portionen, vielleicht 12 Portionen bei schwachen Essern an Goulasch. Natürlich kann man die Mengen für den kleinen Haushalt auf 1 kg Rindfleisch runter-skalieren, tut aber weder dem Gericht noch sich einen Gefallen damit. Goulasch muss einfach in möglichst großen Mengen gekocht werden, damit es richtig schmeckt. Energie-mäßig und Umrühr-technisch macht es wahrscheinlich kaum einen Unterschied, ob man 4 Liter Goulasch oder 8 Liter 3 Stunden blubbernd schmoren lässt, aufwasch- und putz-technisch ist es ebenfalls relativ wurscht, ob man 1,5 oder 3 kg Zwiebeln verarbeitet hat und einen 5 oder einen 10 Liter Topf versaut hat. Wenn irgendwie möglich: ein-, vielleicht zweimal testweise Goulasch aus je 1 kg Fleisch kochen, und wenn man den Dreh halbwegs raus hat, sofort auf 4 kg und viele eingefrorene Portionen bzw. viele Gäste steigern – es lohnt sich, vom Geschmack, aber auch vom Arbeitsauswand und dem Energieverbrauch.

** Goulasch soll schmoren. Wenn das Fleisch komplett bzw. weitgehend mit Wasser bedeckt ist, dann wir das Ganze gekocht, und Kochen ist eine andere Garmethode als Schmoren. Schmoren erfolgt auf aller kleinster Flamme, aus der Schmorflüssigkeit soll knapp am Siedepunkt dann und wann mal eine Blase aufsteigen, mehr nicht, keinesfalls soll die Flüssigkeit gut oder gar sprudelnd kochen. Das Garen geschieht beim Schmoren primär durch den aufsteigenden Dampf und die sich verbreitende Wärme. Hasenfüße und Ungeübte können auch bei 95° bis 105° (jeder Backofen ist anderes, die Temperatur-Einstellung stimmt in den seltensten Fällen – wenn aus der Schmorflüssigkeit alle 10 bis 15 Sekunden ein Bläschen hochblubbt, dann stimmt die Temperatur) schmoren. Auf jeden Fall muss der Schmortopf gut verschlossen sein.

*** Nächstes Problem: die einen sagen, alle Gewürze erst ganz zum Schluss, Erstens verkocht der zarte Geschmack von Kräutern während des langen Garprozesses. Zweitens  soll ja das Fleisch seinen Geschmack an die Flüssigkeit abgeben, und wenn die Flüssigkeit schon mit anderen Aromen (und Salzen) „belastet“ ist, dann gibt das Fleisch weniger Geschmack ab (sagen, wie gesagt, die einen); die anderen hingegen sagen, auch das Fleisch soll ja beim Garen eine gewisse Würze annehmen, und in der Sauce sollen sich alle Aromen im langen Garprozess zu einem einzigen Wohlgeschmack vermählen (sagen die anderen). Ich aber sage Euch: würzet die Sauce zart zum Beginn des Schmorens, auf dass alles gewürzt werde und sich zum Wohlgeschmack verbinde, und was aber gegen Ende des Garprozesses noch fehlt oder auf dem langen Wege verloren gegangen ist, das würzet sodann beherzt nach. Also, Dummy: zweimal würzen, vorsichtig zu Beginn, final-beherzt gegen Schluss.

**** Wer die Mühe nicht scheut: das herausgefieselte schiere Ochsenschwanzfleisch ist zwar als Suppeneinlage zu verkocht, eignet sich aber geschreddert hervorragen als geschmackskräftige Grundlage für Maultaschen- oder Ravioli-Füllungen.

***** Die erstere Methode ist immer vorzuziehen – Weniger ist bei Goulaschsauce garantiert Mehr. Aber wenn sich zig hungrige Mäuler angesagt haben …

****** Dadurch, dass das Fleisch nicht völlig gegart eingefroren wird, zerfällt es später auch nicht beim wieder erwärmen, sondern wird dabei zugleich fertig gegart. Genial, nicht?

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