Auracher Löchl – Träumerei #8 – Stollen 1930

Summa summarum: sehr mäßiges, albern gestyltes, altes, lautes Hotel plus ungemütliches, Touristen-überlaufenes, aber überraschend ordentliches Restaurant plus Loch im Berg mit Bartresen und angeblich der Welt größte Gin-Sammlung drinnen, aber Masse macht noch lange keine Klasse, mäßige Barkeeper und langweiliges Publikum, das einmal die größte Gin-Bar der Welt gesehen haben will, da macht trinken keinen Spass.

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Fast romantische Aussicht mit Plane, wäre unten nicht die Party-Meile

Kufstein, das ist Stadt-gewordenes Tiroler-Klischee, heute überrannt von Berg-süchtigen Piefkes, Zivilisations-süchtigen Mullahs, Sozialhilfe-süchtigen devianten Volksgruppen, Kitsch-süchtigen Hansi-Hinterseer-Fans, Glas-süchtigen besseren Herrschaften, Sport-süchtigen Mountainbikern und ähnlichem Gesindel, es macht jedenfalls keinen Spaß mehr, dort zu sein. Punktum. Das war einmal anders, um die vorletzte Jahrhundertwende, als Kufstein noch Grenzbahnhof war, aufwändige Grenzformalitäten, Loks mussten umgespannt werden, teilweise auch noch Züge gewechselt, damals war Kufstein vielleicht noch authentisch. Nach den Grenzformalitäten hatten die Reisenden oft Aufenthalt und Zeit, eine Erfrischung zu sich zu nehmen, und dazu begab man sich die paar Meter – keine fünf, zehn Minuten Fußweg, je nach Kondition – über die Innbrücke vom Bahnhof in die Altstadt Kufsteins. Direkt hinter der Innbrücke liegt bis heute die Römerhofgasse, der Festungsberg reicht an dieser Stelle bis fast an den Fluss, links und rechts der engen Gasse drängen sich hier hinter dem alten Stadttor ein paar Häuser, auf der einen Seite begrenzt durch den Fluss, auf der anderen Seite begrenzt durch den Burgberg, entsprechend schmal die Gasse und auch die Gebäude, hier, am Rande der Stadt traf man sich in früheren Zeiten zum Saufen, Schmausen, Singen, wohl auch zum Huren, Politisieren und Raufen, was man halt so tut, in Randlagen der Städte, der durchgeknallte Ringelnatz war oft hier, und das unsägliche „Kufsteinlied“ soll auch hier entstanden sein (der Wikipedia-Eintrag ist in seiner profanen Emotionslosigkeit unschlagbar: „Das aus drei Strophen bestehende Kufsteinlied mit gejodeltem Refrain handelt von einem Urlaub in Kufstein und besingt volkstümlich verklärend Landschaft, Berge, das ‚Maderl‘ und den Wein. In der dritten Strophe beschreibt der Text das Ende des Urlaubs und die Heimfahrt.“).

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So viel Deko-Kitsch muss man sich erstmal trauen …
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Und so macht man aus einem Loch das Zimmer „Stockholm“

Wie wahrscheinlich tausende anderer Gin-Fans habe auch ich mich anlocken lassen von einer Bar namens Stollen 1930, die offiziell – lt. Guinness-Buch der Rekorde – die größte Gin-Bar der Welt sein soll. Der Stollen 1930 gehört zu einem Konglomerat der Familie Hirschhuber, bestehend aus besagter Bar, einem Restaurant-Komplex namens Auracher Löchl, einem Hotel namens Träumerei #8 und einem Kaffee direkt am Inn, alles in zwei gegenüberliegenden, durch einen Brückengang verbundenen Gebäuden links und rechts besagter enger Römerhofgasse. Drum herum Kitsch- und Andenkengeschäfte, angebliche Tiroler Spezialitäten, ein paar Restaurants mit niedriger Qualität und hohen Preisen, allen voran die Filiale einer populären Fleischklops-Brater-Kette, Touristen-Abzocke für Doofe vom Übelsten, die sich dann auch glotzend und knipsend Arsch an Arsch durch die Gasse schieben, und ich mitten drin. Selber schuld, würde ich mir sagen, wenn ich mich bei mir beschwerte. Parken am Hotel Fehlanzeige, aber immerhin darf ich als Direkt-Bucher auf Kosten des Hotels in der nahen Altstadt-Garage meinen Wagen abstellen. Problemloses Einchecken an der kleinen Rezeption im Flur – Hotelhalle wäre bei weitem übertrieben –, ein alter, knarzender Lift bringt mich in den vierten Stock, wieder ein enger, düsterer Gang, mein Zimmer über der Römerhofgasse mit Blick auf den Burgberg – eigentlich auf ein paar Dächer, eine überdimensionale grüne Plastikplane, die über irgendwas im Fels gespannt ist und eine Felswand, aber wenn ich das Fenster öffne, mich weit aus selbigem lehne und steil nach oben blicke, sehe ich tatsächlich den wuchtigen runden Eckturm der Festung – ist keine 15 qm groß, die Bade-Nische mit Wachbecken, Kloschüssel und Dusche offen, nur durch einen Vorgang aus Schnüren mehr symbolisch vom Schlafraum abgetrennt, immerhin aufgewertet durch eine in die Kloschüssel eingebaute Popo-Dusche, die fernbedient warmes Wasser auf den schmutzigen Arsch spritzt, billige Möbel, noch nicht einmal ein Stuhl, nur ein Hocker, Deko-Kitsch, schlechte Beleuchtung, aber eine gute Matratze, schnelles W-Lan, ein altersschwaches Tablet und ein ordentlicher Tresor, ein speckiger Bildband über Schweden und eine Photokollage mit Schwedischen Städten, Landschaften, Elchen und Königen an der Wand macht aus dem Zimmer Nummer 46 das individuelle Zimmer „Stockholm“ (ha-ha), ebenso wie alle anderen Zimmer hier Namen von Städten und Ländern tragen, was da wohl für Deko-Schwachsinn verzapft wurde? Aus dem auf alt getrimmten Radio hinter dem auf alt getrimmten Wählscheiben-Telephon dröhnt beim Einschalten serienmäßig Dumpfbackengestampfe, mehr oder minder rhythmische Geräusch-Kollagen – moderne Musik geheißen –, die eine komplette Nummer lang mit drei, vier Wörtern auskommen, „Ladali ladalau“ zum Beispiel oder „It’s my life … it’s my lihife“, wobei sich mir schon die ungemein wichtige Frage stellt, ob „life“ und „lihife“ nun als zwei Wörter gelten oder als eines, das Stücklein „Rythm is a dancer“ entpuppt sich beim genaueren Hinhören dann als wahrhaft redselig im Vergleich zu den anderen Stücken, und beim entnervten Umschalten auf den nächsten voreingestellten Sender ganz ähnliches Dumpbackengestampfe, maximal geeignet als Taktgeber für Schwerverbrecher beim Steineklopfen im Knast oder zum sinnfreien Dumpfbacken-Abschütteln in Diskotheken, wenn die Energie, die dort verschwendet wird, statt dessen in politisches Bewusstsein umgesetzt würde, brennte Berlin. Ach ja, wem es noch nicht aufgefallen sein sollte, ich mochte die Geräusche aus diesem Radio allesamt nicht, und wahrscheinlich mag ich Leute, die solche Geräusche mögen, ebenfalls nicht. Dann doch lieber das Kufsteinlied. Und das kriege ich diese Nacht noch reichlich, zusammen mit anderem Gegröle und Geschrei von mehr oder minder Besoffenen, die aus den diversen Schenken in der Römerhofgasse heimwärts torkeln. Wenn man das Fenster schließt, herrscht tatsächlich halbwegs Stille, aber nach einer Stunde ist es im Kabuff dann so stickig, dass man doch wieder das Fenster öffnet, und dann ist es wieder laut … ein Teufelskreis. Das Frühstück mit Blick auf den Fluss ist sogar ziemlich ok, mit frischem Obst, Bäckersemmeln, Kuchen, ordentlicher Wurst und Käse, … you name it, dennoch würde ich freiwillig nie wieder in der Träumerei #8 übernachten.

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Aber sau-gute Schnecken!

Aber ich war ja eigentlich wegen dem Stollen 1930 als der größten Ginbar der Welt hergekommen. Vor dem Saufen sollte das Essen kommen, also habe ich einen Tisch im hauseigenen Restaurant, dem Auracher Löchl reserviert. Vis-à-vis des Hotels auf der anderen Seite der Gasse im ersten Stock gelegen sind die Gaststuben eng, niedrig, dicht bestuhlt, düster, die Luft ist schlecht, durch die engen Gänge zwischen den Tischen flitzen meist junge, in Trachtenversatzstücke gewandete Menschen, trotz der Hektik freundlich, konzentriert und soweit es der Stress zulässt zuvorkommend, das hat natürlich nichts mit gediegenem Restaurant-Service zu tun, aber das ist ja auch kein gediegenes Restaurant, sondern eine Touristen-Kneipe, von daher ist der Service hier durchaus ok. Einheimische mache ich keine unter den Gästen aus, nur Piefke, Asiaten, Amis, Touristen-Volk halt. Entsprechend versucht die Speisekarte den Spagat zwischen traditioneller Tiroler Küche und Massentourismus-Bedürfnissen mit dem heute oft üblichen Steak-Schnickschnack von der handgestreichelten, Kaviar-gefütterten, öko-bio aufgewachsenen, zu Tode gekitzelten dry geageten Sonst-was-für-ne-Rasse Kuh aus Schießmichtot am anderen Ende der Welt, Burgern und dann noch Tiroler Tapas. Na ja … Zu meinem großen Erstaunen muss ich fairer-weise zugeben, die mit Kräuterbutter überbackenen Schnecken waren garantiert nicht aus der Dose und gehören zu den besten, die ich in letzter Zeit gegessen habe, dick, fleischig, weich, erdig vom Geschmack, heiß, perfekt ergänzt von der hausgemachten Kräuterbutter: unerwarteter Weise muss ich hier sagen, nahezu perfekt. Auch beim am Tisch zubereiteten Tatar aus gewolftem Rinderfilet mit den klassischen Zutaten gibt’s überhaupt nichts auszusetzen, bis auf das Brot dazu vielleicht. Geradezu „beruhigend“ dann die Rindssuppe mit Frittaten: ein dünnes Süppchen mit industriell hergestellten Pfannkuchenstreifen und vertrocknetem Schnittlauch obendrauf: so geht Touristenabzocke, Klischee endlich erfolgreich bedient. Auch das Wiener Kalbsrahmgulasch geschmacklich flach, das Fleisch zerkocht-überweich, ebenfalls geschmacklos, alles mit viel Sahne unglaublich fett, die Spätzle und Möhren dazu Convenience. Aber, der Kaiserschmarren mit Rum-Rosinen, Apfelbrei und Preiselbeeren wieder tadellos, fluffig, heiß, geschmacklich sehr gut. Wenn ich ehrlich bin, als ich das Auracher Löchl betrat, hatte ich mich mental bereits auf ein komplett verhundstes Abendessen und einen verdienten Total-Verriss eingestellt, aber ich muss neidlos zugeben: bei 5 Gängen 3 gute bis sehr gute Gerichte vs. 2 mäßige, noch nicht einmal wirklich schlechte Gerichte, das ist ein guter Schnitt, da beißt die Maus keinen Faden ab, Touri-Laden hin, Touri-Laden her.

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Aber jetzt, Stollen 1930, weswegen ich eigentlich gekommen bin. Wer hier bergwerkliche Sensationen erwartet, wird enttäuscht, der Stollen 1930 ist ein vielleicht 30 Meter in den Berg führendes, vielleicht 10 Meter breites Loch im Fels hinter den Restaurant Auracher Löchl. Angeblich soll es von hier Einstiege in ein angeblich weit verzweigtes Gewirr von Geheimgängen unter der Kufsteiner Festung geben, aber eine Geschichte muss ja nicht wahr sein, Hauptsache sie ist gut erzählt. Früher diente dieser Rumpf-Stollen als Eiskeller, bei Bombardements durch Freunde auch als Schutzraum, bis er 2014 von Richard Hirschhuber als Bar Stollen 1930 revitalisiert wurde. Da ich direkt beim Hotel gebucht habe und nicht über booking.com oder so (was ich wo immer möglich vermeide, es heißt, bis zu 30% müssten die Hotelbetreiber an diese Internet-Piraten abdrücken), habe ich beim Einchecken einen hübsche Fasanen-Feder bekommen, die ich im Stollen 1930 gegen einen Hausdrink, einen Gin Tonic mit Citadelle Gin und drei Wachholder-Beeren in einem schicken, geschwungenen Riedel-Tumbler eintauschen kann. 888 verschiedene Gin-Sorten weist die Gin-Karte aus, insgesamt sollen weit über tausend verschiedene Gins aus aller Welt hier hinter groben Bau-Gittern verschlossen lagern. Aber Menge hat nichts mit Qualität zu tun. Ich versuche einen Elmau-Gin, einen aus Kufstein, einen Alpin Gin von Guglhof, mit 8 bis 16 EURO für 4 cl schon ordentlich bepreist, einen Royal-Dingsbums Beefeater für 28 EURO, schließlich aus purer Neugier eine angeblich auf 500 Flaschen limitierte Adler-Abfüllung aus Berlin für 88 EURO für das Stamperl (4 cl, nicht etwa eine Flasche!), vom Hocker haut mich wahrlich nichts. Die Barkeeper tragen Blues-Brother-Hüte und weiße Hemden, dazwischen wuselt eine stark tätowierte Frau irgendwie herum. Der ältere der Keeper versteht sein Handwerk halbwegs, den Jüngeren muss ich davon abhalten, Eiswürfel unter den Wasserhahn zu halten, als ich einen Martini Cocktail mit gewaschenem Eis bestelle, ebenfalls abhalten muss ich ihn, als ich nach einer Zitronenzeste im Martini verlange mir eine Zitronenscheibe in den Drink zu werfen. Und dass Cocktails in der Riedel-Stadt aus Nachtmann-Gläsern serviert werden, ist eigentlich ein Treppenwitz bzw. nur ein weiterer Beweis für die gelungene Globalisierung, obwohl mir natürlich bewusst ist, dass Nachtmann seit Jahren zum Riedel-Konzern gehört und das ehemalige Werk in Neustadt an der Waldnaab eine zum Pseudo-Fabriksverkauf degradierte Industrieruine ist, genau wie Spiegelau. Und ob die Gläser jetzt tatsächlich wenigstens aus Kufstein kommen, würde ich auch bezweifeln, Asien ist groß. Das Publikum besteht – zumindest heue – nicht aus Gin-Connaisseurs oder Lecker-Trinkern oder wenigstens Profi-Alkoholikern, noch nicht einmal einheimischen Schicki-Mickies mit ihrer Bums-Equipage, sondern aus beliebigem Touristenpack aus aller Herren Ländern, die irgendwo gelesen haben, dass es hier die größte Gin-Bar der Welt gibt und die nun bei ihrem Gin Tonic mit Citadelle Gin und drei Wacholderbeeren auf’s Haus dasitzen und gaffen, auf dass irgendetwas – mit Heinrich von Kleist – Großartig-Kolossalisches vor ihren Augen geschehen möge. Nichts dergleichen wird geschehen, zumindest nicht heute Nacht, es wird sich nur weiteres gaffendes Touristenpack aus aller Herren Ländern versammeln und gaffend darauf warten, dass irgendetwas Großartig-Kolossalisches vor ihren Augen geschehen möge. Trinken macht hier keinen Spaß, Masse hat wirklich gar nichts mit Klasse zu tun. Also gehe ich auf mein Zimmerlein in der Träumerei #8 und wälze mich Schlaf- und Traum-los ob der Grölerei bis spät in die Nacht auf dem Bette.

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Wenn ich mal zu Leuten, die ich gar-gar-garnicht mag, auf die Hochzeit eingeladen bin, dann schenke ich ihnen ein Gin-Tasting mit Übernachtung in Kufstein.

AURACHER LÖCHL
Familie Hirschhuber
Römerhofgasse 4
6330 Kufstein
Österreich
Tel. +43 (53 72) 6 21 38
Fax +43 (53 72) 6 21 38 51
E-Mail: HALLO@AURACHER-LOECHL.AT
Internet: WWW.AURACHER-LOECHL.AT

Hauptgerichte von 12,99 € (Käspätzle mit Salat) bis 37,90 € (Filetsteak mit Beilagen), Drei-Gänge-Menue von 25,38 € bis 69,80 €

DZ Ü/F 139 € bis 348 € (pro Zimmer, pro Nacht)

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