Auf der Suche nach der Deutschen Gastronomie: XVII. Bolero in Duisburg-Innenhafen

Tag 7: Bensersiel – Duisburg, 320 Kilometer, 5 Stunden Fahrtzeit, Übernachtung im Wyndham Duisburger Hof Hotel, Abendessen im Bolero im Innenhafen


Die Innenstadt von Duisburg ist an einen Sonntagnachmittag tot, auf dem Dorfplatz von Kleinposemuckel ist wahrscheinlich mehr los. Was immer ich hier mehr über Duisburg schriebe, artete in wüste Beschimpfungen aus, also lassen wir’s, aber Duisburg wäre bestimmt ein trefflicher Ort für Verbannungen. Aus der Suche nach regionalem Futter befragen wir verschiede Eingeborene, zuerst die übellaunige Rezeptionistin, dann Passanten auf der Straße, die aussehen, als hätten sie kein Messer einstecken, schließlich zwei Taxifahrer die uns im Hafen ein wenig umherfahren, nachdem wir die letzte – und einzige – Hafenrundfahrt mit dem Boot versäumt haben. Wir fragen nach einem typischen, alteingesessenen  Duisburger oder Ruhrpott-Restaurant mit typischer, traditioneller, regionaler Küche, was immer man hier auch typisch traditionell regional essen mag, da sind wir offen und neugierig. Alle befragten Gewährsleute schauen uns an wie Ochsen vor dem Scheunentor, ungläubig, unwissend, dann grübeln sie, in den Sinn kommt allen miteinander … nichts, dann grübeln sie weiter und nach sehr viel Grübeln sagen uns alle, wir sollten doch in den neu gestalteten Innenhafen gehen, dort gebe es sehr viel Gastronomie, gute Gastronomie, typische Gastronomie, mit vielen Einheimischen als Gästen. Wir sind zwar skeptisch, aber nachdem uns alle uni sono diesen Innenhafen empfohlen haben, auf in’s Taxi und dorthin gefahren. Der Innenhafen ist ein vielleicht 500 Meter langes, durch einen Damm vom Schiffsverkehr abgetrenntes altes Hafenbecken am Ende eines Seitenarmes des Rheins. Hübsch haben die Stadtentwickler da entwickelt. Ein wenig alte Bausubstanz stehen lassen und sanft renoviert, ein paar Reminiszenzen an die vormalige hiesige industrielle Wertschöpfung („Brotkorb des Ruhrgebiets“ hieß dieser Ort einmal), Kaimauer, Ladekran, Gracht, Schienen, ansonsten abgerissen und platt gemacht,  platter geht’s nicht, dann from the scracht gebaut was das Zeugs hält, moderne Bürohausarchitektur, funktional, belanglos, doch von der Lokalpresse brav gefeiert (was hier Industriedenkmal und Ankerpunkt auf der Route der Industriekultur sein soll, erschließt sich zumindest mir nicht), schließlich angesiedelt wie am Schnürchen, Reiseveranstalter, Architekten, Werbeagenturen, Bank,  Krankenkasse, verdächtig viele öffentliche Betriebe, dazu Fitnessstudio, Museen, Landesarchiv, Kultstätten für Minderheiten, Seniorenunterbringungen … so geht Stadtentwicklung, eine Melange die künstlicher nicht sein könnte, da stört auch der toxische Schlamm mit Mineralöl-Kohlenwasserstoffen am Grunde des toten Hafenbeckens nicht. Und damit auch Leben in diese künstlich geschaffene neue Stadtwelt kommt,  musste schließlich auch noch Gastronomie her, aber das ist nicht so einfach. Lassen wir die Küppersmühle mal außen vor, die ein Kapitel für sich ist, über das man an anderer Stelle wird abzuhandeln haben, so ist der Duisburger Innenhafen eine Reeperbahn der Gastronomie: so, wie auf der Reeperbahn einem ausgehungerten, dummen Publikum Liebe gegen Geld vorgegaukelt wird, so wird im Duisburger Innenhafen einem ausgehungerten, dummen Publikum Kochen gegen Geld vorgegaukelt, und in beiden Fällen ist es Lüge. In der faktorei gibt es hochpreisige kurz gebratene Steaks und Burger, und die Macher lassen sich in Kochmontur im Schweinestall mit den glücklichen Schweinen von nebenan ablichten. Im Bolero – Filiale einer bundesweiten Kette – kann man einen MEGA Q aus Old Pascas white & dark, Old Pascas 73%, Canario Cachaça, De Kuyper Cherry Likör, Triple Sec, Mandelsirup, Grenadine, Lime, Zitrone, Limette, Orange und Maracuja zu 32,90 EURO für die fröhliche Trinkerrunde erstehen, nur Kopfschmerztabletten sind nicht im Preis enthalten, dazu gibt es die ganzen Scheußlichkeiten der Retorten-Tex-Mex-Küche von Burger über Chili bis Fajita. König Pilsener Wirtshaus: die Speisekarte verkündet „SUPPEN & SALATE FLAMMKUCHEN FOLIENKARTOFFELN AUS DEM WASSER VEGETARISCH AUS DER PFANNE STEAK HERZHAFT SCHNITZEL BURGER FÜR DIE KLEINEN NACHTISCH SOFTEIS ZUSATZSTOFFE“, dazu reichlich Bier zum Runterspülen, das gar nicht mal so schlecht ist. L’Osteria (italienisierende Systemgastronomie-Kette aus Nürnberg mit Filialen in Deutschland, England, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, der Schweiz, Tschechien und Österreich): „Bei mir daheim hat man Leute schon aus weitaus geringeren Gründen umgebracht.“, pflegt Michele, mein sizilianischer Freund, immer zu sagen. Mongos: bundesweite Kette asiatisierender Abfütterungsanstalten, oder, im Handelsregister-Deutsch: „Gegenstand ist die Entwicklung und der Betrieb von Gastronomiekonzepten und Gastronomieobjekten sowie alle sonstigen Geschäfte, die hiermit im Zusammenhang stehen oder gebracht werden können. Betrieben werden asiatische Spezialitätenrestaurants.“, im Besitz von Christian Paul Blech und Spiridon Soukas (was für ungewöhnliche asiatische Namen), 2014 noch 9 Millionen EURO Umsatz, seit dem jedes Jahr empfindliche Umsatzrückgänge. Vapiano: wenn der Ausspruch „Deutschland verrecke“ nicht strafbar ist in Merkel-Land, der Ausspruch „Rotfront verrecke“ hingegen schon, zu welcher Kategorie zählte dann wohl der Ausspruch „Vapiano verrecke“, wenn ihn jemand ausspräche? Im Umfeld des Innenhafens gibt es noch einige weitere Verköstigungs-Etablissements, besseres ist dabei nicht zu erkennen, viele haben in den vergangenen Jahren auch eröffnet und bald wieder geschlossen. Die Terrassen der Futter- und Sauf-Anstalten am Wasser jedenfalls sind rammelvoll, auf den Gehwegen davor entlang des kontaminierten, zwangs-stillgelegten Hafenbeckens schieben sich die Flanierenden („Hütchen, Schühchen, Täschchen passend / Ihre Männer unterfassend“, um Franz-Josef Degenhardt zu zitieren), aus welchen Gründen auch immer, den lebendigen Industriehafen fand ich weitaus spannender. Irgendwann siegt der Hunger auch bei uns, Besseres ist nicht in Sicht, auch eine Pause beim KöPi – zugegeben, das Bier gar nicht mal schlecht – mit intensivem Internet-Studium auf der Funke auf der Suche nach irgendeiner kulinarischen Alternative in Duisburg bringt nichts zu Tage, hier scheint tatsächlich der faulige kulinarische Nabel dieser verkommenen Stadt zu liegen. Bei der Wahl zwischen Skylla und Charybdis entscheiden wir uns für das Bolero: „authentische amerikanische Küche – nix fast food, sondern richtig gut, von Nord bis Süd: Würzige Fajitas im family style, raffinierte Quesadillas, außergewöhnliche Burger, Super-Food-Bowls & Salads, perfekte Steaks und noch viel mehr. Alles frisch, qualitativ hochwertig und homemade! Genauso wie unsere fancy Cocktails – gemixt von unseren erstklassigen Barchefs und ausschließlich mit Markenspirituosen!“ preist man sich selber an. Tatsächlich, 10 Seiten Cocktails auf der Karte, aber von einem erstklassigen Barchef kann zumindest ich nichts hinter der mächtigen, prall bestückten Theke in dem düster-schmuddligen Gastraum nichts erkennen, ich sehe zwei recht hilflose junge Männer, wahrscheinlich Studenten, die dubiose Rezepte für über 100 verschiedene, meist dubiose Cocktails vor dem zusammenmixen ganz ohne Scham nachschlagen, sodann billige, süße Säfte aus Tetrapacks und billigen bis mittelpreisigen Sprit (klar ist Finsbury Gin ein Sprit mit einer Marke, also eine Markenspirituose) zusammenkippen, dann irgendwie versuchen, das Ganze mit möglichst coolen Bewegungen zu shaken oder zu rühren, beim Einseihen in die Gläser ist fast immer entweder zu viel Flüssigkeit im Shaker, die wird weggegossen, oder zu wenig, das wird mit Eis aufgefüllt, die schlafwandlerische Sicherheit eines Profi-Barkeepers bei der Portionierung haben diese Jungs noch lange nicht, dann werden die Gläser noch mit gigantischen Frucht-Dekos verziert und zu den Tischen getragen, wo sich ein meist junges Publikum auf die bunten Schädelspalter stürzt. Martini Cocktail gibt es auf dieser Karte nur als Vodka Martini, nach einigen Diskussionen und Überzeugungsarbeit kann ich den jungen, hilflosen Mann auf Taquerays umpolen, er gibt gewiss sein Bestes, aber Begriffe wie ‚gewaschenes Eis‘ oder ‚Lemon Twist‘ sind diesem ‚erstklassigen Barchef‘ wahrscheinlich ebenso fremd wie die Analyse der Navier-Stokes-Gleichungen oder der Beweis der Vermutung von Birch und Swinnerton-Dyer. Was aus diesem aussichtslosen Unterfangen heraus kommt ist eine auf warmem Kübel-Eis gerührte Mischung von vielleicht 2 Teilen trockenem Wermut und 8 Teile Tanquerays mit einer griechischen Olive auf einem Zahnstocher und einer Limetten-Spalte am Glasrand. Es ist nicht die Schuld dieses jungen Mannes, er kann es nicht besser wissen; es ist meine Schuld, in solcher Gegend einen trockenen Martini Cocktail zu bestellen. Aber das KöPi ist gar nicht mal schlecht. Nachos Carne als Vorspeise: was an den Tortilla Chips hausgemacht sein soll, frage ich mich, aber klar, Tortilla Chips werden ja nicht auf Kartoffeläckern hergestellt, sondern in Gebäuden, also Häusern, also hausgemacht, dass diese Dinger in den Küchen des Duisburger Boleros selber hergestellt werden, also nicht nur haus- sondern eben selbstgemacht sind, würde ich mit aller Vehemenz bezweifeln; das Ganze überbacken mit einer industriellen, nach Konservierungsstoffen schmeckenden roten Sauce, ein wenig krümeligem Gehackten und zähem Analogkäse, die Tortilla Chips vielfach nicht mehr knusprig, sondern labbrig-aufgeweicht: alles in allem gewiss eine Vorspeise passend zu den hiesigen Cocktails. Aber das KöPi ist gar nicht mal schlecht. Garnelen-Fajita: zugegeben, frisches, schlecht geputztes, grob geschnittenes Gemüse (Karotten, Zucchini, Champignons, Paprika, Lauchzwiebeln) dazu  rote Bohnen aus der Dose, alles kurz angedünstet, in einer industriellen roten Sauce, dazu vier kurz gegrillte Tiefkühl-Garnelen in der Schale und ein mächtiger, sinnbefreiter Rosmarin-Zweig, ansonsten kaum Würzung, serviert zusammen mit vier industriellen Pfannkuchen (hier Weizentortillas geheißen), ein wenig geriebenem Analogkäse, Tomaten-, Gurkenstücklein, Dosen-Mais und zwei Näpfchen industrieller Tunken; daraus soll man sich dann eigentlich – nachdem man die Garnelen von Hand bei Tisch geschält hat – gefüllte Pfannkuchen basteln, alles zusammenrollen und mit Messer und Gabel oder auch von Hand essen; was dabei herauskommt ist eine lauwarme bis kalte Schweinerei von quer über dem Tisch verteiltem Gemüse, Garnelen, Käse, Tunke. Aber das KöPi ist gar nicht mal schlecht. Wirklich widerlich ist dann der Cheesburger, überraschend ordentliches Bun, darinnen ein hart gegrilltes Patty aus fein zermahlenem Fleisch, einer Scheibe unzerlaufenem Schmelzkäse, industrieller Cocktail-Sauce, schlecht geputzter, an einer Stelle brauner Salat, dazu kurz frittierte Kartoffelstücklein aus dem Tiefkühlbeutel, innen breiig, außen zäh, mir ist’s ein nicht essbarer Graus. Aber das KöPi ist gar nicht mal schlecht.


Bolero Duisburg GmbH
Vertreten durch: Norbert Graute
Eigentümer: Bolero Holding GmbH
Philosophenweg 31-33
D-47051 Duisburg
Tel.: +49 (2 03) 3 17 35 00
Fax: +49 (2 03) 3 17 35 02
E-Mail: duisburg@bolero.bar
Online: https://duisburg.bolerobar.de/

Hauptgerichte von 10,50 € (Burger mit Fritten) bis 24 € (Steak mit Fritten und Salat), Drei-Gänge-Menue von 21,90 € bis 41,50 €

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