Kollegen von Caro hatten uns zum Essen eingeladen, gebildete, kultivierte, hart arbeitende, erfolgreiche, weltgewandte, den kulinarischen Genüssen keineswegs abgeneigte Menschen, Großbürger hätte man so etwas früher wohl genannt. Eigene Villa dort, wo „man“ wohnt, alte Bäume, verkehrsberuhigte Straßen mit Anwohnerparken, eingewachsene und eingezäunte große Grundstücke mit noblen, meist älteren herrschaftlichen Häusern samt Überwachungskameras, gute Kindergärten und Schulen mit kleinen Klassen und eigener Segelschule oder Tennisplätzen, kein Asylantenheim weit und breit, relativ hohe Polizeipräsenz, kurze Wartezeiten in den Ämtern, Delikatessen- und Weingeschäfte, viele gute Restaurants, … kurzum, die Vorstufe zur gated community, wie wir sie demnächst auch in Europa vermehrt haben werden. Hier wohnt man, wen man es geschafft hat … oder Kind / Erbe / Partner von jemandem ist, der es geschafft hat/te. Nun gut, die Kollegen haben dies durch ihrer eigenen Hände Arbeit selber geschafft, und es sei ihnen von Herzen gegönnt. Einen winzig kleinen Teil des Geschafften gedachten sie nun mit uns zu verprassen, sie hatten ein opulentes Mal mit gutem Wein angekündigt, und hungrig sollten wir kommen.
Zur Begrüßung auf der Terrasse reichte man Taittinger Prèlude Grands Cru und Häppchen mit Balik Lachs und Malossol Kaviar, sehr gediegen, obendrein durchaus nicht unlecker, Außenstehende hätten es vielleicht als Angabe oder Protzerei verstehen können, war aber gewiss nicht so gemeint, das haben solche Leute gar nicht nötig. Als Vorspeisen bei Tisch gab’s dann Wildkräutersalate mit pochiertem Ei, danach Ravioli aus der kleinen Nudelmanufaktur (na-ja) in Butter mit Salbeiblättern, dazu einen dieser unglaublich angesagten bio-demeter Weine, einen 2014er Cabernet Sauvignon DHC Villány Trocken vom ungarischen Weingut Wassmann (dessen Namen man sich wohl merken sollte), zum Hauptgang dann einen 2014er Spätburgunder aus der legendären Walporzheimer Gärkammer vom Weingut Adeneuer von der Ahr. Die Hauptspeise bildete ein veritables dry aged Bio-Rinderfilet, sous vide gegart und vor dem Servieren nur noch kurz angebraten, perfekt rosa, zart, wohlschmeckend, ein Gedicht von einem Fleisch (wenn man pures Filet mag, ich finde es geschmacklich immer langweilig). Begleitet wurde das Fleisch von einer ziemlich geniale Sauce aus Rot- und Portwein, Zucker, Essig, Kalbs-Jus, Thymian, Rosmarin und Schokolade, die war wirklich angetan, zusammen mit dem Fleisch Geschmackssensationen hervorzurufen. Und als Beilagen gedünstete Broccoli-Röschen, grüne Gärtner-Bohnen mit Südtiroler Speck … und Kartoffelgratin, und dieses Kartoffelgratin ist es, worum’s hier eigentlich geht. Unsere Gastgeber hatten sich nicht nur in Kosten gestürzt, sie hatten auch ein kluges Mahl geplant, beste Zutaten für teures Geld mit Bedacht und Verstand gekauft und stundenlang selber in ihrer Küche mit Liebe, Hingabe und Könnerschaft zubereitet. Bio-Metzger, Bio-Winzer, Große Lage, Demeter-Gärtner, Südtiroler Bauer, frische Kräuter, … diese Leute mögen gutes Essen und verstehen was von Lebensmitteln.
Bis auf die Kartoffeln, denn das Kartoffelgratin war ziemlich räudig, was auch die Gastgeber nach einigen Bissen zugaben, ich musste gar nicht unhöflich rummaulen. Des Rätsels Lösung: fast jede Zutat war handverlesen und von bester Qualität, aber für das Kartoffelgratin mussten Knollen aus dem 2,5 kg – Plastikbeutel aus dem Supermarkt herhalten, irgendwelche gewaschenen, gekühlten, gespritzten, maschinell verarbeiteten, eingeschweißten Kartoffeln von Sonstwo, so nach dem Motto „Ist ja nur eine Sättigungsbeilage, dazu noch weiterverarbeitet mit viel Sahne, Butter und Salz, da braucht’s keine sonderliche Qualität.“ Ich aber sage Euch: nirgends gibt es so viele Qualitäts- und Geschmacksunterschiede wie bei der gemeinen Speisekartoffel. Und was die Supermärkte und Discounter heutzutage ganzjährig an Kartoffeln liefern, das ist in der Regel ein ungenießbares kulinarisches Verbrechen. Unsere Kartoffeln kommen immer vom Bauern, und den Unterschied schmeckt man. Auf dem Ulmer Stadtmarkt am Samstag gibt es einen Stand mit Dutzenden Sorten selbst gezogener Kartoffeln, darunter viele alte, fast vergessene Sorten. Wir haben uns schon zweimal den Spaß gemacht, dort sechs oder acht Sorten Kartoffel zu kaufen und dann zum Kartoffel-Tasting einzuladen. Da gibt es dann Pellkartoffeln von unterschiedlichen Kartoffelsorten mit Butter und Salz, dazu klares Wasser, sonst nichts. Die Reaktionen unserer Gäste waren stets zuerst mehr als verhalten, dann neugierig, danach verwundert, schließlich begeistert ob der Geschmacks- und Textur-Vielfalt, die sich einem da auftut, bei der Verkostung von unterschiedlichen Kartoffelsorten. Na ja, und der Nachtisch fällt nach solch eher karger Kartoffel-Verkostung dann doch mehr opulent aus, Marillenklöße aus Kartoffelteig mit reichlich Butter, Zucker und Bröseln zum Beispiel, so geht niemand hungrig vom Tisch. Bei besagter Einladung bei besagten Kollegen mit besagtem Kartoffelgratin fiel der Nachtisch dann ebenfalls opulent und versöhnlich für mich aus: original Crêpe Suzette, am Tisch flambiert, sowas serviert man heute sonst gar nicht mehr (leider!).
Lieber Hr. Opl,
die auf ihrem Bild abgebildeten roten Kartoffel sind doch sicher gewaschene?
Bei den Bauern wo wir unsere Kartoffel kaufen habe ich bisher noch
keine gewaschenen Kartoffel gesehen. Gewaschene Kartoffel findet man
eigentlich nur im Supermarkt.