Tag 8: Duisburg – Köln, 120 Kilometer, 3 Stunden Fahrtzeit, Übernachtung im 25hours Hotel Köln The Circle, Abendessen im Päffgen
Zum Glück liegt das 25hours mitten im Frieseviertel und die Kölner Feiermeile für Einheimische quasi direkt vor der Tür, so dass man dem mediterranen Convenience-Zeugs leicht entkommen kann. Club Crystal, Nachtflug und Diamonds Club sind gleich um die Ecke, dazu syrische, japanische, mexikanische, brasilianische, spanische, irische, italienische, deutsche, … you name it … Lokale, imperiale Ketten-Filialen, Bars, … und natürlich das Päffgen. Das Päffgen, es gibt wohl keinen echten Kölner, der alleine bei dem Namen Päffgen nicht emotional würde. Das Päffgen ist ein relativ kleines, 137 Jahre altes, originales Kölner Brauhaus mit Brauereigaststätte. Gebraut wird – natürlich – Kölsch, ein helles, hochvergorenes, hopfenbetontes, blankes obergäriges Vollbier, streng nach dem Deutschen Reinheitsgebot, das dann in winzigen 0,2 Liter Gläsern – die einen nennen es Kölsch-Stange, die anderen Urinprobe-Gläschen – ausgeschenkt wird. Elf Brauereien aus der Stadt Köln und der unmittelbaren Umgebung dürfen überhaupt „Kölsch“ brauen, da „Kölsch“ eine Marke mit geschützter geographische Herkunft ist. Marktführer sind Reissdorf (mit ca. 600.000 Hektolitern Bierausstoß pro Jahr), Gaffel (ca. 460.000 Hektoliter), Früh (ca. 370.000 Hektoliter), Dom (ca. 180.000 Hektoliter) und Sion (ca. 145.000 Hektoliter); da sind die ca. 6.000 Hektoliter Bierausstoß bei Päffgen geradezu liebens- und schützenswert, aber immerhin erwirtschaftet Päffgen mit rd. 80 Mitarbeitern satte 17 Millionen EURO Umsatz. Darum geht es jedoch gar nicht. Während die großen Kölsch-Marken rund um den Dom Tank-weise an dumme Touristen verfüttert werden, zur Narrenzeit als Narrengetränk herhalten müssen und sogar bis nach Berlin und New York exportiert werden, ist Päffgen der „Geheimtipp“ der echten Kölner. Päffgen Bier gibt es nur in der Brauereigaststätte an der Friesenstraße und in 10 ausgewählten – gehobeneren – Restaurants; und Päffgen Bier gibt es nicht in der Flasche, sondern ausschließlich im Fass, was den Vertrieb über den Getränke- und Einzelhandel ebenfalls nicht erleichtert, obwohl sich der eine oder andere gerne mal ein ganzes Fässchen mit nach Hause nimmt. Das alles hat System, denn expandieren will man bei Päffgen, wenn überhaupt, nur sehr moderat, kein Wachstum auf Teufel komm raus (denn wenn man den Wachstumsbogen überspannt, kommt der Teufel eben irgendwann garantiert raus). Obwohl das Päffgen Jahr um Jahr Preise einheimst, Listen anführt, in Restaurant- und Reiseführern lobend erwähnt wird, Beliebtheits-Umfragen gewinnt, in den Medien – sogar in der Herald Tribune und den New York Times – erscheint, bleibt es zum Glück weitgehend von Touristenströmen verschont, zu weit vom Dom, zu versteckt, kein Gäste- und Busparkplatz, keine Gruppenreisen-Menues, zu wenig spektakulär, für die Dumpfbacken von tripadvisor mit ihrem exquisiten kulinarischen Urteilsvermögen belegt es gerade mal Platz 89 unter 1.859 Restaurants in Köln. Und das ist gut so.
Bis heute sind in der Friesenstraße Brauerei und Brauereigaststätte an einem Ort, mitten in der Stadt. Was soll ich die Gaststätte selber beschreiben, wenn dies Großmeister Dollase bereits getan hat, der dem Päffgen am 01.06.2012 in der Rubrik „Das besondere Restaurant“ in der FAZ einen ganzen eignen Artikel gewidmet hat: „Im Innern des Hauses herrscht eine Art purifizierter Stil, der ganz ohne jeden rustikalisierenden Nippes auskommt. Die Tische sind blank gescheuert und sehen belastbar aus, ohne dabei aber an Gemütlichkeit zu verlieren. Die Wände haben eine dunkle Holzvertäfelung, und der einzige Schmuck sind einige alte Gemälde mit Motiven aus Köln, ein paar alte Fotos und eine alte Speisekarte. Hier hat man Tradition und braucht sie deshalb nicht vorzuführen oder zu inszenieren.“ „… purifizierter Stil, … ganz ohne jeden rustikalisierenden Nippes …“:was für eine Wortgewandtheit, sowas muss man erstmal hinbekommen, Chapeau! Seit 2012 hat sich an dieser trefflichen Beschreibung nichts, aber ein gar nichts geändert; nur der hübsche und sehr rege frequentierte Bier- bzw. Wintergarten und einige separate Nebenräume wären noch zu ergänzen. Das ist Bierhaus-Tradition at it’s best, hier bin ich Mensch, hier darf ich sein, das Päffgen ist ein kolossaler Schmelztiegel des Kölner Lebens, vom Müllmann bis zum Multi-Millionär, von der Möne bis zur Managerin ist hier alles vertreten (nur Alkohol- und Schweinefleisch-feindliche Volksgruppen sind deutlich unterrepräsentiert), man sitzt einträchtig und egalitär an langen Biertischen, denn vor dem Köbes (so nennt man hier die Kellner) sind alle gleich, egal ob Professor oder Prostituierte, hier wird jeder angemault (richtige Köbese müssen traditionell übellaunig sein, keiner weiß, warum, ist aber so – sie meinen es nicht böse … meistens) und kriegt dennoch sein Kölsch, jederzeit. Ein Köbes – das muss man wissen – ‚funktioniert‘ dabei anders als ein normaler Kellner, z.B. in einem bayrischen Wirtshaus. In Bayern bestellt man eine Maß, als zugereistes preußisches Weichei, als Dame oder als Kind auch mal eine Halbe, bekommt sie – traditionell schlecht eingeschenkt mit viel Schaum, weil Schaum ist ja auch Bier – an den Tisch gebracht und trinkt dann 15 oder 30 Minuten daran, kurz bevor das Glas leer ist, bestellt man ein neues Bier, das dann ebenfalls irgendwann gebracht wird. Nicht so in Köln. Hier wird das Bier in 0,2 Liter Urinprobe-Gläschen ausgeschenkt, das sind – machen wir uns nichts vor – zwei, maximal vier Schlucke, dann ist das Glas leer. Es würde die Fähigkeiten aller Beteiligten – Gast, Köbes, Schankkellner – weit übersteigen, wollte man hier nach jedem geleerten Glas ein Neues bestellen. Stattdessen streifen die Köbese ständig mit ihrem Bierkranz – ein rundes, metallenes Tablett mit Vertiefungen für ein Dutzend Biergläschen und einem Henkel oben zum Tragen – durch die Tischreihen, und wo ein Gläschen leer ist, wird sofort und ungefragt ein Neues hingestellt und auf den Bierdeckel ein weiterer Strich mit einem dicken, altertümlichen, mit einem Messer gespitzten Bleistift gemacht. Perfekt ist das Timing des Köbes, wenn man gerade den letzten Schluck nimmt und ein neues Bier auf dem Deckel steht, bevor man das leere Glas absetzen kann. Erst wenn man den Bierdeckel auf das leere Glas legt, hört der Köbes mit seinem Bier-Bombardement auf. Das ist ungewohnt, garantiert aber stets frisch gezapftes Bier. Und besser eingeschenkt als in Bayern wird in Köln auch. Punktum.
Zum Essen im Päffgen schreibt Großmeister Dolasse ebendort, dass man regionales Essen … in großer Authentizität … und exzellenter Brauhaus-Qualität bekäme. Regional – authentisch – Brauhaus-Qualität, drei große Worte. Die Speisekarte jedenfalls gibt sich unscheinbar: ein halbes Dutzend Käsehappen, ein halbes Dutzend Mett- und Wursthappen, Eierspeisen, Matjes, Salat, Eintöpfe, regionale Spezialitäten wie Himmel und Erde, Dicke Bohnen, natürlich Rheinischer Sauerbraten, dann Kurzgebratenes, Gulasch, Hähnchen, Haxen, schließlich ein dreiviertel Meter der legendäre Päffgen-Bratwurst mit tatsächlich selbst gemachtem Kartoffelpüree, alles zusammen vielleicht drei Dutzend Gerichte. So stellt man sich Brauhaus-Küche vor, und das war wahrscheinlich auch der Speiseplan einer wohlhabenden Rheinischen Bürgersfamilie vor 100 oder 150 Jahren. Jegliche Spinnereien, Zugeständnisse an den Zeit(un)geist und die galoppierende Multikulturallität fehlen konsequent auf dieser Speisekarte, keine Pizza, kein Pulled Pork, kein Vegan, kein Gluten-frei, keine Pute, kein Dry Aged, kein Curry, kein Steak, kein Burger, … you name ist, diese Speisekarte ist konsequent (mögen die einen sagen) oder stur (mögen die anderen sagen) altfränkisch-deutsch. Noch ist sowas ja möglich, aber sicherlich setzen gewisse faschistoide Polit-Irrwische bald ein Gesetz durch, das Restaurants zur multikulturellen Gluten-freien Veganität verpflichtet, sollte mich nicht wundern. Was dann an den Tisch kommt, ist durchwachsen. Die Röggelchen – so nennt man hier Roggenbrötchen – sind zäh, nicht knusprig, das Mett darauf frisch, sehr gutes Fleisch, gut gewürzt, reichlich fein geschnittene Zwiebeln, das ist ein ordentliches Mettbrötchen zum Bier, da beißt die Maus kein Faden ab. Der Schnippelbohnen-Eintopf ist verkocht, aber klar, das ist ein Eintopf, der den ganzen Tag neben dem Herd vor sich hinblubbert und so erst seinen Geschmack und seine Konsistenz bekommt. Dass die Grünen Bohnen tatsächlich frisch von Hand geputzt wurden und nicht aus dem TK-Beutel kamen, würde ich mal bezweifeln, die Fleischeinlage macht sich auch etwas rar, und wenn sie da ist, dann ist sie fett; dieser Eintopf war keine Meisterleistung. Matjes dann wieder einwandfrei, sehr guter Fisch, selbst gemachte Schmand-Soße ohne Geschmack von Konservierungsstoffen, frisch fertig-gekochte Salzkartoffeln, was will man mehr? Das Roastbeef scheint ebenfalls selbst gemacht zu sein, rosa, saftig, dünne Scheiben, aber davon unendlich viele, ganz leichter Fettrand, gut gewürzt, leckerer Fleischgeschmack, selbst gemachte, sehr leckere Remoulade, nur an den Bratkartoffeln müssen sie hier noch dringend arbeiten. Das Kassler ist ein monströser Berg gekonnt gepökelter, leicht geräucherter Schweinerippe samt Knochen, gut gekocht, bei Tisch nur leider lauwarm; das Kartoffelpüree dazu ebenfalls ein monströser Berg, noch mit Kartoffelstücklein darinnen, eher pappig-schwer als fluffig-leicht, eindeutig selbst gemacht, sehr gut mit Muskatnuss gewürzt; als extra habe ich mir dazu Dicke Bohnen bestellt (eine Rheinische Spezialität, auch Ackerbohne, auch Feldbohne, Saubohne, Säubohne, Schweinsbohne, Favabohne, Große Bohne, Pferdebohne, Viehbohne, Faberbohne oder Puffbohne genannt), gekochte große Bohnenkerne in einer dicken Mehlsauce mit Speck, Milch und Sahne, unendlich schwer und fett und komplex, nur von den Bohnen schmeckt man absolut nichts mehr, Siebeck dreht sich gewiss gerade im Grabe um. Regional und authentisch ist dieses Gericht sicherlich, dazu aber auch unendlich schwer, plump, undifferenziert, drei traditionell zubereitete Berge hochkalorischer Lebensmittel … und das ohne traditionelle Arbeitsaufgaben, wie z.B. einen Wald alleine mit der Axt abholzen, danach wäre das gewiss der richtige Imbiss. Schließlich die Königsklasse, der Rheinische Sauerbraten: das Apfelmus haben wir bei der Bestellung weggelassen, man muss ja nichts übertreiben; das Fleisch vom falschen Filet unendlich mürbe, aber nicht breiig, noch mit leichtem Biss, perfekt geschmort würde ich sagen, Eigengeschmack plus leichte Säure von der Marinade, ein interessantes Spiel, die Sauce ein tiefbraunes, dickflüssiges sauer-süßliches Gedicht, mich stören die vermaledeiten Rosinen, die Kartoffelklöße dazu belanglos, wahrscheinlich Convenience, aber irgendwas braucht man ja, um die Sauce aufzutunken. Das alles ist sehr ordentliche, ehrliche, unprätentiöse Wirtshausküche, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Hier verbiegt sich niemand mit einem Garnitur-Zweiglein hier und ein wenig Teller-Ikebana dort, hier gibt’s nen ordentlichen Schlag selbst gemachten Kartoffelbrei aus der Kelle auf den Teller, im Zweifelsfalle lieber etwas mehr, und dazu gibt’s für 1,20 EURO eine Gewürzgurke. Das muss man (mal) mögen, dann ist das Päffgen ein Ort der Seligen. Und am nächsten Tag ab in’s Fitnessstudio – büßen.
Brauerei Päffgen GmbH & Co. KG
Vertreten durch Karl Rudolf Päffgen
Friesenstraße 64-66
D-50670 Köln
Tel.: +49 (2 21) 13 54 61
Fax: +49 (2 21) 1 39 20 05
Email: paeffgen@paeffgen-koelsch.de
Online: www.paeffgen-koelsch.de
Hauptgerichte von 6,30 € (Bratwurst mit Brötchen) bis 15,90 (Rheinischer Sauerbraten mit Klößen und Apfelmus), Drei-Gänge-Menue von 14,80 € bis 33,90 €
Servus, ich finde dies ist ein interessanter Eintrag. Ich würde mir davon wünschen. Herzliche Grüße