Wildfang in Goslar: unlecker

Summa summarum: Viel Marketing-Tamm-Tamm mit „selbstgemacht“, „regional“ usw., und dann durchweg unleckeres Abendessen in unhübscher Atmosphäre mitten in der hübschen Altstadt von Goslar

Der Brocken brennt und ist weiträumig abgesperrt, das Wetter ist für Anfang September echt Scheiße und wird nur noch durch unser Hotel untertroffen, dazu ist Stadtfest, überall Buden, Verlustigungen, Bühnen mit wummernden Bässen von lokalen Barden mit maximal lokalem Können, direkt vor dem Hoteleingang ein Toilettenwagen, in dem sich die Beladenen entladen und erleichtert zurück zu den Biertischen im Nieselregen ziehen, trotzdem Gedränge in der eigentlich sehr schönen Altstadt von Goslar am Harz. Natürlich ist das genau die Zeit, in die unser länger geplanter Abstecher nach Goslar fällt. Aber was soll’s, fahren wir halt nicht mit dem Dampfbähnchen auf den Brocken, sondern ergehen uns in urbanem Tourismus. Die berühmte Kaiserpfalz sieht zwar beeindruckend aus, angesichts ihres Alters nochmals beeindruckender, innen dann aber wenig spektakulär, dazu zwei der schlechtesten Ausstellungen, die ich jemals gesehen habe. Das Schlendern durch die engen Fachwerkgässchen der Altstadt – jenseits des Stadtfest-Rummels – macht da schon mehr Spaß, und die erhaltenen Wehrtürme sind wirklich beeindruckend.

Die kulinarischen Geheimnisse und Geheimtipps Goslars hingegen wollen sich uns nicht so recht erschließen. Die einschlägigen Führer schweigen sich aus oder empfehlen Dubioses. Am positivsten sticht da noch das Wildfang raus, „Deutsche Küche im modernen Gewand“ lautet der Slogan des Etablissements, auf der Speisekarte liest man ganz viel von „selbstgemacht“, „handgemacht“, „hausgemacht“, „Harzer Art“, „regional“, „hausgebeizt“. Also mal ausprobieren, mehr als in die Hose gehen kann es ja nicht. Das Wildfang liegt zentral mitten in der Stadt im Erdgeschoss eines gesichtslosen Geschäftshauses, vor dem Ecklokal Tische und Stühle in der Fußgängerzone, bodentiefe Glasflächen, innendrin diese gesichtslose modernistisch-rustikale Standardeinrichtung mit „Lounge-Möbeln“ und hohen, langen Tischen mit Barhockern: das könnte auch’ne Bäckerei mit kleinem Kaffee sein. Beim Studieren der Speisekarte wird als erstes klar, dass man nicht etwa bei einem wackeren Wirt, der kochend am eigenen Herd steht, gelandet ist, sondern bei einem lokalen Mini-Gastro-Konzern, der neben dem Wildfang noch ein Steakhaus (mit Steak und Pizzen), einen Coffeeshop, eine „Ganztagesbrasserie“ (was immer das sein mag, es soll tolle Schnitzel, Burger und die! Currywurst geben) sowie diverse Übernachtungsbetriebe betreibt. Sei’s drum. Die Speisekarte bietet Salate, Ofenkartoffeln mit diversen Füllungen, verschiedene Flammenkuchen, Variationen von Omas handgemachten Frikadellen, dann Standardgerichte wie Kässpätzle, Leber Berliner Art, „harztypische“ Wildbratwürste, Spareribs, als Dessert zwei Kuchen; wenigstens gibt es keine Burger, dafür aber Süßkartoffelpommes. Kartoffel-Rucola-Salat, Blumenkohl-Brokkoli-Frikadellen, Kartoffelpüree, Kürbiskernmayonnaise, Bärlauchkartoffelpüree, Remouladensauce und vieles andere soll laut Speisekarte eben „hausgemacht“, „selbstgemacht“, „handgemacht“ sein. Was dann kommt, … naja. Omas Frikadellen auf dunkler Sauce mit frischen, knusprigen Bratkartoffeln sind zwei ziemlich trockene Fleischklopse, eine lauwarme Bratentunke, wahrscheinlich aus dem Bottich und fettige, matschige Scheiben von vorgekochten, ungeschälten, kleingeschnippelten Drillingen, dazu ein Löffelchen Coleslaw: nicht lecker. Dann der regionale Halberstädter Fleischkäse aus dem Ofen mit Senf, Spiegelei, nämlicher Bratentunke und nämlichen Kartoffeln: nicht lecker. Schließlich das Rosa gebratene Roastbeef mit hausgemachter Remouladensauce und nochmals nämlichen Kartoffeln (ok, unglücklich gelaufen, wenn gleich drei Leute dieselbe Beilage bestellen, aber „frische, knusprige Bratkartoffeln“ hört sich zuweilen unwiderstehlich an), die sechs Scheibchen Fleisch sind ok, aber wenn die „hausgemachte Remouladensauce“ dazu tatsächlich von einem Koch im Hause Wildfang produziert wurde, so würde ich mich als Koch dafür in Grund und Boden schämen: nicht lecker.


Wildfang – Bier & Wirtshaus
gastro urban GmbH
Geschäftsführer Alexander Scharf
Markt 6
D – 38640 Goslar
Tel.: +49 (53 21) 38 22 70 – 0
Fax: +49 (53 21) 38 22 70 – 199
E-Mail: info@gastrourban.de
Online: https://wildfang-erleben.de/

Hauptgerichte von 10,90 (Omas Frikadellen mit Süßkartoffelpommes, Krautsalat, Sauce) bis 22,90 € (Rippchen, BBQ Sauce, Chili Cheese Pommes), Drei-Gänge-Menue 24,30 € bis 44,70 €

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