Westküsten-Kochbücher (6/6) – Andrea Carlson: Burdock & Co

Ich habe lange gegrübelt, wie ich diese Zeilen über das erste Kochbuch von Andrea Carlson, „Burdock & Co“ beginne. Kennen und schätzen gelernt hatte ich Carlson bereits 2010, als sie als Küchenchef in Vancouvers Bishop’s Restaurant arbeitete und den besten Kartoffelsalat (hört sich banal an, gell?) mit Trüffel und pochiertem Ei der Welt servierte. Seit 2013 macht sie ihr eigenes Ding in Vancouver, eben das Restaurant Burdock & Co. in Mt. Pleasant. Von außen ist der Laden unscheinbar, von innen sehr klein, vielleicht ein Dutzend Sitzplätze an kleinen, einfachen Tischchen, ein dutzend Sitzplätze auf Hockern vor winzigen Tischchen an der Wand, ein Dutzend Sitzplätze an einer L-förmigen Theke hinten im Raum, ach ja, und ohne langfristige Reservierung geht hier bei aller Unscheinbarkeit nichts. „This restaurant exists because I believe in supporting local food systems. I want people to have access to local, natural, organic food. I want to support those who nurture the land instead of destroy it.” (Andrea Carlson) Das ist doch mal Ansage und Programm, kann ich nur unterschreiben. Hier konnte ich jüngst eine der besten Hollandaise ever und absolut geniale Pancakes – eher schon ein Zwischending zwischen Pancake und Salzburger Nockerl – essen. Wie aber umschreibt man die Person, die hinter diesen kulinarischen Köstlichkeiten steht, wie beschreibt man eine Andrea Carlson aus dieser Wahrnehmung heraus? Still ist mir da in den Sinn gekommen, wirklich gut, gekonnt, authentisch, kreativ, … das sind alles sehr schöne Adjektive, die durchaus in die richtige Richtung gehen, aber dann ist mir das richtige Wort für Andrea Carlson eingefallen: erdverbunden. Bekannt geworden ist sie als junge Köchin, als sie die Hundert Meilen Diät („The 100-Mile Diet: A Year of Local Eating“, ein Buch der Kanadier Alisa Smith and J.B. MacKinnon) tatsächlich und konsequent und öffentlich praktizierte. Seit dem steht sie in Kanada für lokale und für organische („organic“ würde man bei uns eher mit bio oder öko übersetzen) Zutaten. Entsprechend gibt es in ihrem Burdock & Co. soweit es irgend geht nur biologisch erzeugte Zutaten aus Britisch Columbien, aber das nicht als traurige verwelkte schonend gedämpfte Öko-Rübe an gluten-freiem Quinoa-Hirse-Brei, sondern als richtig gute, geile Hoch-Küche, Hoch-Küche, die dennoch niemals die Verbindung zur Erde, zu den Wurzeln, auch zur Herkunft der Zutaten verliert. Hier wird nicht denaturiert bis zur Unkenntlichkeit, hier wird das Produkt, die Zutat selber in das Zentrum gestellt und küchentechnisch veredelt, ich erinnere mich an einen knusprigen Schweinebauch mit einer Rhabarber –Kimchi-Glasur und Rettich-Salat oder an ein Raviolo mit Kartoffel-Blumenkohl-Füllung und schwarzem Trüffel. Die Person, die sowas kocht, hat nun letztes Jahr im Herbst ihr erstes Kochbuch veröffentlicht, und das ist in der Tat unkonventionell, um nicht zu schreiben herausragend.

Gegliedert ist das Buch nach „Ocean“, „Island“, „Air“, „Farm“, „Hidden Places“ und „City“, das ist ungewöhnlich und bezieht sich auf die Herkunft der jeweiligen Hauptzutaten, mehr auch nicht. Hilfreich hingegen das kleine Glossar am Anfang, denn nicht jeder Leser wird wissen, was Cattail oder Fuki sind. Die Photos von Janis Nicolay sind so-so. Da ist viel geschmäcklerisch-künstlerisches Füllmaterial dabei, Weibspersonen auf blühenden Wiesen, Blüten auf einem Teller, Katze auf Sofa, das mag man hübsch finden oder nicht, jedenfalls ist es überflüssig für das Kochbuch. Auch die netten, durchaus gekonnten Photos vom Lokal Burdock & Co. mögen einerseits als Eigenwerbung gedacht sein, mögen andererseits auch schöne Erinnerungen an vormalige dortige Festmahle evozieren, mehr aber auch nicht. Da würde sich der kritische Leser doch eher wünschen, dass zu wirklich allen Gerichten ein Photo zu finden ist, wie die Chose denn auszusehen hat, vielleicht sogar noch Bilder von einzelnen, kritischen Zubereitungsschritten, aber statt dessen verliert sich die Bebilderung oft in l’art pour l’art und Familien-Album. Die Gerichte, die letztendlich tatsächlich abgebildet wurden, die sind dann auch nett und gekonnt abgebildet. Und solche Abbildungen tuen bei diesem Kochbuch Not. Hier gibt es nämlich nicht das dreitausendachthundertzweiundneunzigste Rezept für Pancakes oder Clam Chowder. Das ist auch kein gut-meinendes Öko-bio-ich-rette-jetzt-die-Welt-Allerwelts-Kochbuch, in dem wir belehrt werden, dass wir für Pfannkuchen nur Bio-Eier und Heu-Milch verwenden dürfen oder dass Gluten oder Fleisch oder Glutamat oder Lactose oder Fett oder Zucker die Ursachen allen Unbills auf der Welt und aller Krankheiten überhaupt sind. In „Burdock & Co.“ sind alle Rezepte anscheinend neue Eigenkreationen der Köchin aus einem langen Koch-Leben, und die haben es in sich. Oktopus-Terrine mit Sherry-Eis und einer Vinaigrette aus Castelvetrano Oliven aus Sizilien zum Beispiel (zur Ehrenrettung der Köchin muss man hier erwähnen, dass Kanadas erste Olivenfarm 2016 das erste Olivenöl produzierte, genau 32 Liter, und die Qualität soll bis heute lausig sein, da sei das Ausweichen auf sizilianische Oliven schon mal erlaubt). Die meisten Rezepte kommen dann allerdings weitgehend mit Zutaten aus Britisch Columbien aus. Etwa Fenchelsalat mit Brunnenkresse-Eis, sauer eingelegten Brunnenkresseblüten und Olivenöl-Schaum oder selbst gepökelter Herings-Rogen mit einer Art selbst gemachter, gewürzter Dickmilch (ganz ein kurioses Teil-Rezept) und geröstetem Kohl oder Butter mit geräuchertem Knochenmark, Zupf-Brötchen, sauer eingelegtem Sardinen-Hack und Margeriten-Salat. Das sind keine Rezepte, die man mal eben so nachkocht, sowohl was die Zutaten als auch den Aufwand als auch die notwendigen küchentechnischen Kenntnisse und Fähigkeiten anbelangt (wer mag und kann schon mal eben so die Rogen-Säcke unbeschädigt aus einem Hering heraustrennen – oder auch nur finden! – und die Filets dann anderweitig verwenden?). Das sind nicht immer Rezepte, bei denen einem spontan das Wasser im Maule zusammenläuft. Aber das sind authentische Eigenkreationen. Auch wenn die Zutaten zumeist aus British Columbia kommen, so haben die meisten Gerichte doch – besonders was Würzungen anbelangt – einen starken japanischen / asiatischen Einschlag, bei allem Local-Gedöns würde ich das dann doch eher als kanadisch-japanische Fusionsküche bezeichnen (was beim Essen in Burdock & Co. nicht so hervorsticht, hier sind die Gerichte oft wesentlich einfacher und bodennäher). Jedenfalls sind die Kochanleitungen präzise und detailliert, wer Lust hat und sich traut, kann hier eine Menge wirklich neue und ungewöhnliche Gerichte ausprobieren.

Andrea Carlson with Clea McDougall: Burdock & Co – Poetic Recipes Inspired by Ocean, Land & Air. Photos von Janis Nicolay. Vancouver: 2019 (appetite by Random House). ISBN-10: 0147531225, ISBN-13: 978-0147531223; Preis 25,85 €

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