Weinhaus Sinz in Wiesbaden/Frauenstein: unspektakuläre Hausmannskost für die Saumagen-Fraktion in gediegener Atmosphäre

Summa summarum, ein sehr bürgerliches, fast schon familiäres Etablissement mit drei ganz besonderen Klientelen, menschlichen, sorgsamen Wirtsleuten, sehr schönen Zimmern, gutem Service, kleiner, aber feiner Weinkarte, und tadel- und lob-losen regionalen Speisen ganz wie weiland bei Muttern

 

„Johanna von Soundso“, sagt die ausgesprochen gepflegte ältere Dame am Nachbartisch zur Kellnerin, und dabei betont sie extensiv und überdeutlich das „von“, dies scheint ihr sehr am Herzen zu liegen. Sie ist vielleicht 70, schaut in ihrer Apfelfunke Kinderphotos an, ich schätze einmal, ihre Enkel, interessiert und erstaunlich fachkundig fragt sie mich dann noch nach meinem super-dünnen neuen Laptop, nach Akku-Laufzeit, Festplattengröße, CPUs – alles Dinge, von denen ich keinerlei Ahnung habe, ich bin froh, wenn ich mit dem Teil schreiben kann und mich nicht zu Tode schleppe – und so kommen wir sogar ein Wenig in’s Plaudern, belangloses Zeugs, aber nett. Zwei Tische hinter mir sitzen ebenfalls ältere Damen, etwas jünger als das Edelfräulein, sie unterhalten sich in gepflegtem Ton über die Festspiele in Görlitz – sie können eigentlich nur die Turisedische Festspiele meinen, ziemlich abgedreht für zwei ältere Damen – und – ganz und gar unaufgeregt mit unendlichen Understatement, als wäre das die selbstverständlichste Sache der Welt – über Hotels und Verwandte in Asunción; ein älteres Paar diskutiert, welchen Mietwagen sie in Klagenfurt am Flughafen für ihren Österreich-Urlaub nehmen sollen; und zwei Jäger sprechen recht laut über die Wahlen zu einem neuen Vorstand, über Abgeordnete, die man endlich mal „einnorden“ müsse, über Wildschweinplagen und über Gutmenschen, die allesamt erschossen gehören, wenn sie den Abschuss der Wildsäue verhindern wollten. Wir alle sitzen etwas abseits vom eigentlichen Gastraum des Weinhauses Sinz in Frauenstein bei Wiesbaden, in einer leicht erhöhten Nische an der Seite, mit 6 Tischen und Blick auf die hübsche Terrasse. Im größeren eigentlichen Gastraum sind zwei gänzlich andere Klientele versammelt: zum einen saturierte einheimische Bürger, ich würde mal sagen der Herr Metzger, die Frau Notarin, das Lehrerehepaar aus Frauenstein oder Wiesbaden, die etablierte mittelständische und -alterliche Stütze der bürgerlichen Gesellschaft, grundsolide, spaßgebremst, kaufkräftig, erzkonservative bis reaktionäre Grünen- und/oder CDU-Wähler, nicht die Toscana- sondern eher die Saumagen-Fraktion, deftige Esser, auch dem Weine nicht abgeneigt;   zum anderen mäßig erfolgreiche Handlungsreisende, kleine Berater-Knechte, die sich den Nassauischen Hof oder wenigstens das Dorint im nahen Wiesbaden nicht leisten dürfen, mittleres Management, bei dem das Spesenkonto für vier oder fünf Sterne nicht reicht, alles reisende Lohnabhängige, die den Sprung in die höheren Gehaltsklassen nicht geschafft haben und sich hier in der Drei-Sterne-Bleibe am Stadtrand einmieten, manche von ihnen Aufsprecher vor dem Herren – „… das Top-Management hat es verbaselt, und ich darf jetzt durch Europa jetten, neue Investoren suchen, dabei ist allein das Grundstück 4,2 Millionen wert und wir haben das modernste Glasfaserwerk der Welt …“ schwafelt einer von denen in ziemlicher Lautstärke, jedoch allein ein Blick auf seine Schuhe genügt um zu sehen, dass er ganz gewiss nicht in der 4,2-Millionen-Liga spielt –, andere eher stiller, der Typ Mensch, der einem nicht in die Augen sieht, wenn man mit ihm spricht, arme Hunde (und Hündinnen, um auch hier politisch korrekt zu sein), weit weg von daheim und von der Familie, und noch eine einsame Nacht in einem fremden Bett, um am nächsten Morgen in fremden Büros für ihre Chefs wieder Geschäfte zu machen. Und mittendrinn sitzt das alte Ehepaar Lore und Hermann Sinz an einem der Gasttische vor den Schanktresen, essen Fleischwurst von einem großen Ring, trinken dazu ein Viertel Weißen und ein alkoholfreies Bier aus der Flasche, halten ein freundliches Schwätzchen mit einzelnen am Tisch vorbeikommenden Gästen, dirigieren zuweilen die Bedienungen mit Argusaugen und strengem Ton – „Tisch 7 will schon seit 5 Minuten zahlen!“ – und scheinen dabei so ganz entspannt im Hier und Jetzt, zufrieden mit ihrer Umgebung, den Mitarbeitern, den Gästen, den Räumlichkeiten, ihrem Lebenswerk – und mit der Fleischwurst.

Das Weinhaus Sinz liegt in Frauenstein, einem kleinen Vorort von Wiesbaden im Rheingau, direkt in einem Wohngebiet, mitten in Weinbergen und –feldern. Verwinkelter, hübscher Fachwerkbau, viel Grün, Blumenkästen an den altmodischen Sprossenfenstern, etwas erhöht eine geräumige, einladende Terrasse mit Weinbergblick und einer stattlichen Magnolie in der Mitte, die im Frühling traumhaft blüht, vor dem Haus und auf der anderen Straßenseite ausreichend Parkmöglichkeiten, die Gasträume rustikal-gepflegt, weder überkandidelt designet noch kitschig vollgestopft, auffällig viele Bilder von Willi Holtmann, die kann man nun mögen oder auch nicht, alles in allem eine gediegene Atmosphäre, hierher würde man getrost seine Schwiegermutter in spe oder seinen Chef einladen, aber ganz gewiss keine Geburtstagsparty für einen Achtzehnjährigen (oder eine Achtzehnjährige, politisch korrekt!) schmeißen. Im ersten Stock des Hauses gibt es ein paar Gästezimmer, wobei diese nicht – wie allgemein üblich – Nummern haben, die Zimmer sind vielmehr nach heimischen Weinbergen wie  Herrenberg, Neroberg, Marcobrunn benannt, und in jedem Zimmer steht eine Weinflasche aus der entsprechenden Lage in eine Vitrine an der Wand. Die Zimmer sind klein, aber sehr wertig eingerichtet, Echtholzmöbel, gute Matratzen, Leinenbettwäsche, kleiner Flachbildschirm, gutes Licht, flauschiges Frottee, Markenkeramik und -armaturen und teure Fliesen im Bad, weicher Teppichboden, alles ordentlich und blitzsauber, selbst der fiese Kritiker-Blick unter’s Bett und der Griff oben auf den Schrank bringt keine Wollmäuse, Fusseln oder Staub zutage (Respekt, hier putzt jemand richtig gründlich!), alles in allem für ein Drei-Sterne-Haus (das das Weinhaus Sinz nun mal ist) ein sehr, sehr gehobener Standard, diese Zimmer könnten problemlos auch als Vier-Sterne durchgehen. Seit ein paar Jahren dient ein weiteres Haus direkt gegenüber auf der anderen Seite des Sträßchens als Dependance mit weiteren Gästezimmern. Ebenfalls beachtlich für ein Drei-Sterne-Haus sind die zusätzlichen Services, die die Familie Sinz ihren Gästen so ganz en passant anbietet: kostenloses WLAN ist ja heutzutage zumeist bereits Standard, aber der Verleih von Tablets und Mobiltelephonen, Druckservice, Kartenbestellungen, Gepäcktransport zum nächsten Etappenziel für Wanderer, Fahrradverleih, Gepäckservice, … das sind alles Dinge, die man hier nicht erwarten würde, aber die die Familie Sinz mit aller Selbstverständlichkeit und Freundlichkeit einfach so mit anbietet, nicht etwa weil das ein marketing-technischer USP für die Werbung sein könnte, sondern weil man den Gästen damit helfen kann.

Für die Küche zeichnet der Sohn des Hauses, Klaus Sinz verantwortlich; er ist gelernter Küchenmeister mit Stationen im Glottertal, München, Hamburg und Villigen-Schwenningen, bevor er 1981 an den väterlichen Herd nach Frauenstein zurückkehrte; Sternehäuser finden sich nicht in seinen Lehrstationen, aber ordentlich kochen kann er zweifelsohne. Wenn man gestandene Wiesbadener nach einem Geheimtipp für gute, authentische Rheingauer Küche fragt, dann wird sehr oft das Weinhaus Sinz genannt. Und doch reißt die Küche mich nicht vom Hocker. Das Weinhaus Sinz ist seit Jahren so etwas wie eine sichere Bank, Total-Reinfälle bleiben ebenso aus wie spektakuläre Höhepunkte, hier wird unverändert und weitgehend kreativ-los brave Hausmannskost abgeliefert. Klar, es gibt eine regelmäßig wechselnde Saisonkartemit Bärlauch und Spargel im Frühling, Matjes und Pfifferlingen im Sommer, Federweiser und Wild im Herbst, schließlich Gänse und Enten im Winter, dazu Grillabende, Weinproben, Verkostungen z.B. vom Duroc-Schwein, das sieht alles sehr abwechslungsreich aus, und doch ist die Speisekarte nach meinem Empfinden seit Jahren mehr oder weniger die gleiche. Die geräucherte Forelle aus dem Wispertal, das Rieslingsüppchen, die Sülze mit Bratkartoffeln, der Matjes, das gekochte Ochsenfleisch mit Frankfurter Grüner Soße, diese Rheingau-adaptierten Königsberger Klopse, dazu ein paar Fischlein und diverse Steak- und Schnitzelvariationen, ich kenne sie nun schon seit Jahren, da ändert sich nichts, nicht zum  Guten, nicht zum Schlechten. Das ist unspektakuläre, ehrliche Hausmannskost; allein die Tatsache, dass die Kräuter in der Grünen Soße nicht gewiegt sind, sondern einfach durch den Cutter gehauen, das ärgert mich immer wieder; und bei einem Bratengericht wie dem Rheingauer Reh mit Kartoffelklößen frage ich mich schon, ob das wirklich immer frisch gebraten aus der Röhre dampfend auf den Tisch kommt. Positiv ist anzumerken, dass es eigentlich von allem immer kleine Portionen gibt, und nicht diese unverschämte „Draußen nur Kännchen!“-Mentalität der meisten Restaurants. Die Weinkarte, so finde ich, ist klug angelegt, es gibt ausschließlich heimische Weine aus dem Rheingau, Familie Sinz lässt unter dem eigenen Namen 6 Hausabfüllungen produzieren, es gibt 12 offene und rund 30 Flaschenweine, alle um die wohlfeilen 20 bis 30 €.  Weine probieren macht Spaß im Weinhaus Sinz, zumal die Weine auch immer wieder auf der Karte wechseln und es immer wieder was Neues zum Entdecken gibt, besonders bei den Rieslingen, und  dazu ein paar Kleinigkeiten essen, besonders auf der Terrasse, das wiederum ist das gute, fette Leben. Die Bedienungen schließlich sind freundlich und flott, Senior- und Junior-Chefs wachen gemeinsam über das Geschehen und greifen tatkräftig ein, wenn Not am Manne (oder – politisch korrekt – der Frau) ist, geben dem ganzen Haus ein Gesicht, eine Identität, eine menschliche Note, und das ist sehr angenehm.

 

 

WEINHAUS SINZ
Herrnbergstraße 17 – 19
65201 Wiesbaden-Frauenstein
Tel.: +49 (6 11) 94 28 90
Fax: +49 (6 11)  9 42 89 40
E-Mail: info@weinhaus-sinz.de
Internet: www.weinhaus-sinz.de

 

Hauptspeisen 9 € (Bauernbratwurst) bis 22 € (Rumpsteak)

 

Übernachtung im Doppelzimmer mit Frühstück ab 105 € (pro Zimmer)

 

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