Weihnachtsfeier

„Zwiebelrostbraten mit handgeschabten Spätzle 28,30“, „Echtes Wiener Schnitzel (vom Kalb) mit Pommes und Salat 23,90“ (!!!), „Hausgemachte Maultaschen mit Kartoffelsalat und geschmälzten Zwiebeln 14,90“, so steht es auf der Speisekarte des sehr gediegenen Schwäbischen Restaurants. Nun gut, es sind keine schwäbischen Hausfrauen, die diese Köstlichkeiten hinzaubern, es ist ein Küchenbulle – Verzeihung, Küchenmeister – aus Sachsen-Anhalt mit einem knappen halben Dutzend Küchenhilfen aus Pakistan, der Türkei, Afghanistan, Syrien, schwäbische Hausfrau ist gewiss keine darunter, aber die Pakistani macht jeder schwäbischen Hausfrau beim Spätzle frisch vom Brett Schaben wacker Konkurrenz, und – mit Altkanzler Helmut Kohl – wichtig ist ja alleine, was hinten rauskommt, und diese Spätzle können sich sehen lassen. Wie sich diese Preise rechnen, will ich gar nicht wissen, da muss man wohl beim Einkauf, den Löhnen und der Pacht so richtig sparen, aber was stört’s mich als Gast, Hauptsache gut und billig. (Doch, es stört mich, ich will gute Lebensmittel, und ich will fair bezahlte Gastro-Mitarbeiter, und ich will zu allem Überfluss auch noch Gastwirte, die ihren fairen Schnitt machen mit ihrer segensreichen Tätigkeit; und ich glaube nicht, dass das alles Drei mit einem Wiener Schnitzel für knapp 24 EURO tatsächlich geht, aber das ist ein anderes Thema.) Wie dem auch sei, meine Maultaschensuppe, der Zwiebelrostbraten und die Ofenschlupfer waren tatsächlich nicht nur tadellos, sondern sehr gut. Ich bin einer der letzten Gäste, sitze bei einem formidablen Trollinger und Schnäpsen vom Prinz aus Dornbirn in einer Ecke des Gastraums und schreibe. „Endlich!“ stöhnt der junge Keller aus Sachsen, als er mir eine neue doppelte Alte Zwetschge serviert. „Endlich?“ frage ich. „Endlich ist diese Weihnachtsfeier vorbei. Selten so verplante Gäste gehabt.“ Tatsächlich leert sich im Hintergrund gerade der Nebenraum des Restaurants. Peu-à-peu strömen vorwiegend Damen jüngeren und mittleren Alters durch die Türe Richtung Ausgang, ganz wenige Herren. „Weihnachtsfeier von XYZ,“ (der junge Kellner nennt den Namen einer bekannten, großen, Billig-Modehaus-Kette, mit deren Anwälten möchte ich mich nun doch nicht anlegen, also bleiben wir bei XYZ) „fast nur Frauen, ein paar Chefs, Hausmeister, Hausdetektive, sonst nur Verkäuferinnen und Buchhalterinnen. Komisches Publikum. Sehr komisches Publikum.“ „Warum?“ frage ich. „Warum fragen Sie?“ kontert der Kellner meine Frage mit einer Gegenfrage. „Weil ich genau solche Geschichten aufschreibe.“ „Echt, Sie schreiben sowas auf? Wozu?“ „Ich betreibe einen Blog.“ „Echt jetzt? Schreiben Sie dann auch über unser Restaurant?“ „Nicht, nachdem ich Ihnen das mit dem Blog gesagt habe. Ich gebe mich niemals zu erkennen, wenn ich über ein Restaurant schreibe. Und – bevor Sie fragen – nein, ich will keinen Schnaps auf’s Haus, kein kostenloses Abendessen oder sonst was, meine Rechnung bezahle ich immer selber und vollständig.“ „Und warum machen Sie das denn, dieses Schreiben? Sind sie sowas wie ein Influencer mit Followern und dick Werbung im Internet und Sponsoren und so?“ „Nö, ich mache das aus purem Spaß am Schreiben“, entgegne ich. „Und von sowas kann man leben?“ fragt der junge Mann verwundert. „Natürlich nicht“, entgegne ich, „Leben tue ich von anderen Dingen, das Schreiben ist nur Hobby.“ „Sachen gibt’s“, entgegnet der junge Kellner, „ich hasse es schon, wenn ich meiner Oma eine Weihnachtskarte schreiben muss. Und Sie machen sowas freiwillig. Und ohne Bezahlung … von Omma bekomme ich ja wenigstens noch zwei Hunnis zu Weihnachten.“ „Ja, Sachen gibt’s“, sage ich. „Also, wollen Sie das mit dieser Weihnachtsfeier hören und vielleicht auch aufschreiben?“ „Aber immer gerne, erzählen Sie.“ „Ich muss im Nebenzimmer noch abräumen und klar Schiff machen, das wird noch eine halbe Stunde dauern, bis die alle endlich gegangen sind.“ „Take your time, solange Sie mich derweil nicht verdursten lassen.“ Ich bestelle mir noch eine Flasche 2019er Trollinger vom Zimmerle (ein phantastischer Wein, gewiss nicht jedermanns Sache, ich schätze ihn sehr, und ich schätze Lokale, die ihn auf der Karte haben) und mache mich schreibend an’s Warten. Vielleicht zwanzig Minuten später steht der junge Mann wieder an meinem Tisch. „So fertig, alle raus, klar Schiff. Stört es Sie, wenn ich mir mein Feierabendbier hole und mich zu Ihnen setzte?“ Er holt sich beim Schankkellner ein Bier und setzt sich zu mir. „Der Chef mag es nicht, wenn wir uns zu den Gästen setzen, aber der ist heute nicht da, wohl Stress mit seiner Alten.“ „Also, was war jetzt so schlimm an dieser Weihnachtsfeier?“ frage ich. „Wie gesagt, hiesige Filiale – nein, zwei Filialen – von XYZ, Weihnachtsfeier für alle Mitarbeiter, vom Azubi bis zum Chef, insgesamt 60 Leute. Keine Ahnung, woher all diese Mitarbeiter alle kamen, ich war ein paar Mal mit meiner Freundin in diesem Ramschladen, außer an der Kasse haben wir nie einen Mitarbeiter – oder eine Mitarbeiterin, muss es jetzt ja woke-mäßig heißen – gesehen. Und jetzt diese Wallküren-Invasion. Auf der Einladung stand ausdrücklich ‚Einlass 18:00 Uhr, Aperitif, 19:00 Uhr gemeinsames Abendessen‘. Die Ersten standen um Fünf aufgebrezelt vor der Tür und wollten rein, klar, es hat ja geregnet. Dabei machen wir erst um Sechs auf. Um halb Sechs habe ich mich dann erbarmt und die nassen Katzen reingelassen, obwohl ich noch nicht mit Eindecken fertig war. Und dann ging’s los. Auf der Menue-Tischkarte standen zur Wahl zwei Vorspeisen, drei Hauptgerichte, zwei Desserts, zwei Weine und exakt drei Aperos, Aperol-Spritz, Hugo und alkoholfreier Holunderblüten-Spritz. Gleich zu Beginn wollte jede Zweite was anderes, nur nichts von dem, was auf der Karte stand. Jedes Mal habe ich brav mein Sprüchlein aufgesagt ‚Das wird aber nicht von der Firma gezahlt, das müssen Sie später selber zahlen‘, jedes Mal bekam ich dieselbe Antwort ‚Ja, ja‘, jedes Mal brav die Platznummer und den Posten notiert, jedes Mal auf das Chaos bei der Bezahlung gefreut: ‚Das hatte ich gar nicht!‘, ‚Das zahlt doch die Firma!‘, ‚Das habe ich doch vorhin schon gezahlt!‘, ‚Ich saß doch ganz woanders!‘ Wissen Sie was“ – der junge Mann wird mit einem Male energisch – „dreißig EURO war das Limit pro Person für diese Weihnachtsfeier, Essen und Getränke, alles darüber mussten die Gäste selber zahlen. Exakt eintausendachthundert EURO hat der Oberguru von diesem Verein am Schluss gelöhnt, mit einer Platin-Firmen-Kreditkarte, plus – jetzt halten Sie sich fest – sechzig EURO Trinkgeld, drei Prozent, das sei so Firm Policy, hat er noch gesagt. Und wir sind hier zu dritt für die Bagage gesprungen, plus Theke und sechs Leute in der Küche. Gerade einmal zehn EURO Trinkgeld für jeden, nach so einem Abend. Wissen Sie was?“ – der junge Mann echauffiert sich sichtlich – „Zu diesem Abend habe ich Geld mitgebracht. Ich verdiene hier Mindestlohn, zwölf EURO fünfzig pro Stunde Hackenablaufen, das ist fair, wenn das Trinkgeld für mich und die Kollegen stimmt. Hier hat aber so gar nichts gestimmt. Fünf zusätzliche Aperos sind noch offen, die keine von den Tussen gezahlt hat, das geht alles von meinem Lohn und Trinkgeld ab. Dazu zig Umbestellungen, zusätzliche Getränke. ‚Das müssen Sie von den Kolleginnen und Kollegen separat kassieren‘, hat der Oberguru von denen gesagt, ‚ich hatte mit Ihrem Chef einen Festpreis von dreißig EURO pro Person ausgemacht, was Sie sonst noch so extra serviert haben, müssen Sie auch extra abkassieren, aber nicht bei mir.‘ Ja weiß ich denn jetzt noch, welche der Tussen die doppelte Portion Spätzle mit Extra-Soße hatte, und welche den dritten Wein? Oder hätte ich vielleicht sagen sollen ‚Den dritten Wein gibt’s aber nur gegen Vorkasse, Ihr Firmenbudget ist fast aufgebraucht‘? Ich verstehe auch nicht, wie der Chef so einen Auftrag annehmen und verhandeln kann, dreißig EURO pro Person Essen und Trinken, das reicht bei uns bei so einer Sause hinten und vorne nicht, das sollte er doch wissen. Mit dreißig EURO wird hier vielleicht ein Rentner satt mit einer Seniorenportion, wenn er nebenbei noch ein bisschen was trinken will. … Ob der Chef heute etwa gar keinen Stress mit seiner Alten hat, sondern nur dieses Trauerspiel nicht miterleben wollte, weil er schon wusste, was da kommen würde?“ Der junge Mann holt sich noch ein Bier beim Schankkellner, der seine Theke akribisch putzt. „Dazu dieser Gestank im Nebenraum den ganzen Abend. Ich kann ja nun viel ab, aber wie diese Weiber stanken … Alle billigen, nuttigen Parfums dieser Welt zum Übermaß vereint in einem Raum, pfui Deibel. Und bei nicht wenigen dezent-penetranter Schweißgeruch. Tischmanieren, die hast Du noch nicht gesehen, in unsere Damastservietten gerotzt und auf den Tisch gelegt, manche, als hätten sie noch nie mit Messer und Gabel gegessen, Gläser umgestoßen, drei sind – glaube ich – zu Bruch gegangen, dass man ein Weinglas nur am Stiel anfasst, hat noch keine von denen je gehört, von dem Geräuschpegel der Konversation ganz abgesehen, auf dem Hamburger Fischmarkt geht’s im Vergleich dazu still und leise zu, dazu diese schrillen Lacher. Widerliche Weiber, sorry, ich sage sonst niemals sowas über Gäste, aber heute tue ich’s. Dabei wäre das eine oder andere gewiss gegangen, sowas merkt man als Servicekraft, wo was gehen würde, nicht nur bei den Alten, Fetten, Schiachen, auch manche von den Jungen, Hübschen wäre einem Nach-Weihnachtsfeier-Quicky draußen bei den Mülltonnen oder in meiner Studentenbude nicht abgeneigt gewesen. Wissen Sie, man liest immer so viel über sexuelle Belästigung von weiblichen Servicekräften durch irgendwelche Macho-Alpha-Männchen oder angetrunkenen Voll-Prolls. Ja glauben Sie denn, uns Jungs geht’s besser im Service? Wir werden doch genauso angebaggert, widerlich, unter der Gürtellinie. Aber darüber spricht keiner, am Ende waren es gar noch wir, die gebaggert haben, wir sind ja schließlich alle zusammen hemmungslos triebgesteuerte Mannsbilder. Was sich so manche weiblichen Gäste rausnehmen, einfach unglaublich … Und wenn man was sagt, drehen sie den Spieß einfach um und man ist als Mann der Gearschte, dem in Zweifelsfalle, wenn es gerichtsmassig hart auf hart kommt, kein Arsch glaubt. Da sind mir die langweiligen, drögen Weihnachtsfeiern von irgendwelchen Büros oder Behörden doch lieber. Die Leute sind pünktlich, normal gekleidet, der Chef hält eine doofe Rede und erhebt sein Glas, wenn er damit fertig ist, alle anderen prosten ihm brav zu, dann Suppe, Hauptgericht, Nachspeise für alle einheitlich, nur die Vegetarier bekommen eine Extrawurst, …Vegetarier-Extrawurst“ – er lacht über seinen eigenen Witz – „langweilige, gedämpfte Gespräche, halbwegs ordentliche Tischmanieren, nach zwei, drei Stunden sind alle wieder weg. Zu zehn Prozent Trinkgeld, wie es sich wenigstens gehört, finde ich, wenn der Service gestimmt hat, können sich zwar die wenigsten durchringen, aber es sind fast immer deutlich mehr als diese lächerlichen drei Prozent von diesem Klamotten-Oberguru. Richtig fair sind in der Regel Handwerker, wenn die mit ihren Mitarbeitern was zu feiern haben. Die wissen, wie schwer die Jobs in der Gastro sind, und die geben entsprechend Trinkgeld. Und die Anwälte und Steuerberater, die geben auch gut, wohl ganz einfach, weil sie’s haben.“

Der Abend geht zu Ende, in der Küche wird das Licht gelöscht, der Schankkellner ist mit dem Putzen seines Tresens längst fertig, die Tische im Lokal sind längst wieder eingedeckt für den nächsten Tag, irgendwann am Morgen werden noch die Putzkräfte kommen. Beim Zahlen gebe ich brav fünfzehn Prozent Trinkgeld. Ich stelle fest, dass faires Trinkgeld ein recht teures Hobby ist, aber was soll’s, die Jungs und Mädels haben es sich redlich verdient. Und – so denke ich mir – so kann ich mir sicher sein, dass mir niemand auf’s Schnitzel spuckt, wenn ich das nächste Mal hier bin.

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