Stadthotels auf Sizilien oder „Aber wenn’s schön wär, wären auch die Touristen hier, und dann wär’s nicht mehr schön, das ist ja das Paradoxon.“ Teil 3: Ragusa

Heute fahren wir von Marsala nach Ragusa, im südöstlichen Teil der Insel etwas im Landesinneren. Wir nehmen die Staatsstraßen 115, 312 und die Provinzialstraße 19 – die Nummerierung der Straßen hier wird mit immer ein Rätsel bleiben, aber Navi weiß offensichtlich, wo wir hinwollen –, immer parallel zur Küste, und doch bleibt das Meer meistens unsichtbar am Horizont. Man mag gar nicht glauben, dass man auf einer Insel ist, bei chronisch so wenig Meer entlang den Küstenstraßen. Heute fahre ich, Caro ordnet Papiere neu in Unterschriftsmappen aus ihrer absurd großen Handtasche und schimpft und flucht dabei wie ein Holzhacker; wer immer diese Papiere ursprünglich in diese Mappen eingeordnet hat, ich möchte nicht in seiner / ihrer Haut stecken. Parallel zum Sortieren telephoniert sie, mal auf Italienisch, liebenswürdig, schmeichlerisch und doch bestimmt, mal auf Deutsch, dann ist sie eher kurz und hart und präzise, ich vermute mal, ihr Büro. Wir fahren auf der einspurigen, teils recht kurvigen und engen, teils halbwegs ausgebauten Staatsstraße vorbei an kleinen Feldern, Hainen, Städtchen, ein paar verstreuten Industriebetrieben, ich sehe endlich mal Landwirtschaft, von der man irgendwas nach Deutschland exportieren könnte, aber auch nicht Unmengen. Kurz nach 10:00 fahren wir bei Agrigent an den gut erhaltenen Ruinen der antiken Griechischen Stadt Akragas oben auf dem Hügel vorbei, habe ich mir bei meinem letzten Sizilien-Aufenthalt schon angeschaut, alte Tempel, Gebäude, Säulen, Bruchstücke von Statuen, Löcher, in den Löchern oberwichtige studierte Buddler, Staub, Absperrungen, Wachleute, Pulks von Touristen mit Sandalen, Hüten und Schweißgeruch, Kioske, Büsche, Tafeln, Klos … Alles, was mir Kulturbanausen der Besuch von Akragas brachte, waren erkleckliche Quanten an Bargeld und Körperflüssigkeit weniger im Gegenzug zu mangelnder historischer Erbauung. Danke, so schön oder anmutig oder interessant kann Antike gar nicht sein, als dass ich mir das freiwillig zweimal antäte, und Caro hat weder Zeit noch Interesse für alte Steine, zum Glück. Wenn schon Ruinen gucken, dann Bitte von der Terrasse des Rome Cavalieri bei einem kühlen Drink …

Akragas, Sizilien

Hinter Scoglitti verlassen wir die Küstenregion und fahren nach Westen ins Landesinnere Richtung – Richtung was eigentlich? Für Hügel sind die Erhebungen zu bergig, für Berge sind die Erhebungen zu hügelig. Vielleicht sollte man hier von Bergeln oder Hügen sprechen … – fahren wir also Richtung Bergeln und Ragusa, das wir gegen 12:30 Uhr schließlich erreichen. Ragusa ist historisch ganz dolle wichtig, weil hier schon aufgrund der natürlich geschützten Lage auf einer Landzunge zwischen zwei tiefen Tälern seit anno Tobak Menschen lebten, und wenn die einen Menschen hier aufhörten zu leben so nur, weil sie von anderen Menschen bestenfalls vertrieben, im Regelfall aber wohl erschlagen wurden, in einem Prospekt lese ich davon, dass im 13. vorchristlichen Jahrhundert die Sikanen in Ragusa von den eigentlich weiter östlich lebenden Sikelern verdrängt wurden, und ich bin glücklich und dankbar, das jetzt ebenfalls zu wissen. Es folgten Griechen Karthager, Römer, Araber, Normannen, Staufer, Agronesen. Und 1693 wurde die ganze Stadt bei einem Erdbeben zerstört, rabumms. Beim Wiederaufbau im Stil des sizilianischen Barocks (teilweise richtig hübsch!) entstanden zwei Stadtteile, Ragusa Ibla, die Unterstadt und Ragusa Superiore, die Oberstadt, beide nur durch Brücken verbunden, dazwischen alte Steinbrüche und Schlucht. Die Oberstadt ist weitgehend symmetrisch-funktional aus zwei- oder dreigeschossigen quadratischen Häuserblöcken gebaut, hier ist das wirtschaftliche und Verwaltungszentrum der Stadt. Die Unterstadt um eine alte normannische Burg herum ist ein typisches, altes, historisch gewachsenes Italienisches Städtchen, abweissagend ragend die Häuser dicht an dicht eine wehrhafte Phalanx bildend den Berg empor, scheinbar keine Straße führt hinein, drinnen dann ein pittoreskes Gewirr von Gassen, Plätzen, Treppen, alten Häusern, Kirchen, ein paar kleinen Palästen, Autos kommen hier tatsächlich an die wenigsten Stellen, höchstens die kleinen Piaggios, die hier überall stinkend laut durchknattern und wohl die Nahversorgung des Stadtteils sicherstellen. Ragusa Ibla ist schön, zum Kotzen schön und von Massentouristen verlaust wie ein räudiger Hund mit dem Fell voller Flöhe, kein Geschäft, kein Restaurant, kein historisches Bauwerk, dass nicht irgendwie auf Touristen-Nepp aus wäre, und sie lassen sich reichlich neppen, die Touristen. Und unser Hotel ist natürlich … das zentralste mitten, aber sowas von total mitten in Ragusa Ibla. Das eigentliche italienische Leben spielt sich im längst nicht so schönen, aber auch längst nicht so touristisch überlaufenen Ragusa Superiore ab, je weiter man sich von der Unterstadt entfernt, desto preiswerter werden die Restaurants, desto mehr Einheimische und desto weniger Touristen sitzen darinnen, und bald verschwinden auch die Englischen und Deutschen Speisekarten. Das eigentliche, das wirkliche, das authentische Italienische Leben, das sieht auch hier wahrscheinlich gar kein Durchreisender, das nämlich findet in den hässlichen Beton-Suburbs rund um Ragusa herum statt, und in den Vororten, diese Italien-Realität, die die Touristen einfach ausblenden oder in den meisten Fällen sowieso nicht sehen (raus aus dem Flieger – rein in den Bus – hin zum All-inclusive-Strand-Ressort, dann Wochen pendeln zwischen Bett – Buffet – reservierter Strandliege – Meer – Strandkiosk – Strandliege – Bar – Buffet – Disco – Bett, vielleicht mal ein geführter Ausflug zur Dingsda-Lagune, Bumsda-Ruine oder noch besser zum Hastenichgesehen-Outlet: so geht Urlaub!), wenn sie wie gebannt von „bella Italia“ sprechen, ist das wirkliche hiesige Leben. Hinter dem Bahnhof, in einer kleinen Seitengasse zum Beispiel, findet man die Trattoria i Varcuzzi (via Dante 102), ein ganz kleiner, versteckter Familienbetrieb, kein Dutzend Tische, auf der – rein italienischen – Speisekarte gibt es vielleicht 10 Vorspeisen, 10 Primi, 10 Secondi, ein paar Beilagen und ein paar Desserts (und natürlich ein paar Empfehlungen des Tages, die aber anscheinend nicht jeder bekommt), kein Gang über 10 EURO, eher schon 5 EURO, alles frisch zubereitet, eine der besten Focaccias, die ich je hatte, tolles Olivenöl, legendärer, endlich mal nicht trockener Schwertfisch, ein Lammlachs in Olivenöl mit Zitronensaft, dazu Focaccia und bittere Salate, hausgemachte Nudeln mit Venusmuscheln, frittiertes kleines Meeresgetier, dazu unglaublich herzliche Gastgeber, ich glaube, Mann und Frau, sie meist in der Küche, er im Service, einfache, wohlfeile lokale Weine, selbst mit viel Hunger und mit viel Alkohol schafft man es nicht, hier 50 EURO pro Person für ein Essen auszugeben. Ach ja, und an diesem Tag hat die Trattoria i Varcuzzi natürlich zu, „Yippie-Ya-Yeah, Schweinebacke“ würde Bruce Willis jetzt sagen.

Sizilien, Ragusa

Ich fahre Caro zu ihrem nächsten Termin in der Oberstadt, wieder ein Notaio mit einem großen, sauber polierten, in der Sonne glänzend Messing-Schild, diesmal allerdings nicht in einer Villa mit Park, sondern in einem stattlichen Wohnhaus mit großem hölzernem Tor und kleinerer hölzerner Türe daneben, wieder dasselbe Spiel wie am Vortag, Caro springt mit ihrer absurd großen Handtasche aus dem Wagen, klingelt, kommuniziert kurz mit der quäckenden Gegensprechanlage auf Italienisch, die Tür öffnet sich mit einem Summen, Caro deutet mir, mich zu schleichen, tritt in das Haus ein, während sie entschwindet programmiere ich Navi neu (zwei Ziele auf einmal hintereinander kriegen wir in das Scheiß-Ding nicht programmiert) und mache mich auf die Suche nach dem Hotel. Diesmal führt sie mich nicht – wie angesichts der zentralen Lage des Hotels eigentlich erwartet – in’s Altstadt-Gewirr, sondern auf die Umgehungsstraße entlang des Fußes der Altstadt im Tal. Das Hotel aber soll nicht hier unten, sondern da oben sein. Ein paarmal fahre ich ratlos hin und her, schließlich halte ich mitten auf der Straße an dem Punkt, kurz bevor Navi immer sagt „Wenn möglich, bitte wenden.“ So langsam dämmert es mir, warum das Hotel bei seiner Anfahrtsbeschreibung keine exakte Adresse angibt, sondern die Geo-Positionsdaten. Alles, was ich sehe, ist ein schmaler, steiler Weg den Berg hinauf, durch eine Art kleinen blühenden Berggarten, zu einem deutlich höher gelegenen kleinen Platz mit einem Eingang in besagte abweissagenden Mauern, auf dem ich nie und nimmer mit dem Wagen fahren kann. Entnervt rufe ich bei der Rezeption des San Giorgio Palace an, das hier eigentlich ganz in der Nähe sein sollte, nur sehen tut man nix, kein Eingang, kein Schild, kein Hotelparkplatz, kein nix. Nachdem ich meine missliche Lage geschildert habe sagt mir die junge Frau am Telephon, offensichtlich die Rezeptionistin des Hotels, ich sei genau richtig, sie sehe mich auf dem Monitor – erst jetzt nehme ich die Kameras auf hohen Stangen entlang dieses Straßenabschnitts wahr –, ich könne dort am Straßenrand stehen bleiben, die Parkplätze seien für das Hotel reserviert, oder etwas weiter abwärts sei rechts der Straße auch ein Hotelparkplatz, die Kette davor könne ich von Hand öffnen und meinen Wagen auch dort abstellen, nur dort seien leider noch keine Kameras. Also entschließe ich mich, hier am Straßenrand stehen zu bleiben, wird mir schon keiner den eingeklappten Seitenspiegel abfahren. Was mit meinem Gepäck sei, frage ich die junge Frau. Ja das möge ich doch bitte, antwortet sie, den schmalen, steilen Weg den Berg hinauf zu dem deutlich höher gelegenen kleinen Platz mit Eingang in besagte abweissagende Mauern schleppen, dort würde sie mir dann per Fernbedienung eine Tür öffnen, dahinter könne ich den 30 Meter langen Tunnel zu einem Lift gehen und mit selbigem zu ihr in den soundsovielten Stock fahren, wo sie mich dann zum Einchecken erwarte. Bei Gottfried, hätte ich gewusst, was „Du hast wohl den Arsch offen, weißt Du, wie heiß es ist, wie steil dieser Weg ist und wieviel Gepäck ich habe?“ – natürlich, Caros Reisetasche bleibt mal wieder an mir hängen – auf Englisch oder Italienisch heißt, ich hätte es gesagt! Auch wenn ich nicht weiß, was solcherlei Kraftausdrücke auf Englisch oder Italienisch heißen, ich kann der jungen Frau wohl trotzdem nachdrücklich verdeutlichen, dass ich nicht gedenke, die zwei Reisetaschen und meinen ungemein praktischen Rucksack – ihre absurd große Handtasche hat Caro ja zum Glück mit auf Ihrem Termin – diesen Berg hinauf zu schleppen, jedenfalls heißt sie mich, ich möge kurz an Ort und Stelle warten, mir würde sogleich geholfen. Nach kurzem Warten erscheint oben am Eingang zu besagten abweissagenden Mauern eine junge, zierliche Frau, es ist die Rezeptionistin vom Telephon, eilt zu mir herab, schleppt ächzend unsere Taschen nach oben, den Rucksack nehme ich – ganz Gentleman – selber, aber ich habe keinerlei Veranlassung, bei einem Haus dieser Kategorie selber Gepäck den Berg in sengender Hitze hoch zu schleppen. Oben angekommen betreten wir besagten Tunnel, imposant durch den massiven Stein gehauen, die Kühle tut gut, fahren mit dem Lift nach oben und landen in einer kleinen fensterlosen Halle mit langem, weißen Rezeptions-Counter und ein paar historischen Ornamenten an den sonst weißen Wänden. Die junge, mittlerweile sichtlich verschwitzte Dame in ihrer weißen Bluse, knielangem, engem, dunkelblauem Rock und passender Jacke checkt mich kurz ein, schleppt unsere Taschen auf’s Zimmer, ich gebe ihr – fast habe ich jetzt doch ein schlechtes Gewissen – einen Schein als Trinkgeld und verschwinde unter der geräumigen Regendusche in dem recht großen, mit braunem Stein – ich glaube, kein Marmor – raumhoch gefliesten Bad; erst danach stelle ich fest, dass es ein zweites Bad mit kleiner Whirlwanne, aber leider ebenfalls ohne Fenster gibt. Das Zimmer – Dank eines Vorraums mit Notsofa und des zweiten Bades nennt es sich Suite – ist in der Tat geräumig, der kurze Teppichboden stört, ansonsten sehr sauber, modern, nicht allzu geschmacklos möbliert, sehr gute Matratze, gute Leinenbettwäsche, gute Frotteehandtücher, kein Deko-Tinnef, gute, leise Klimaanlage, schnelles Internet, zu wenig Steckdosen am Schreibtisch, unbequeme Stühle, überraschend gutes Lichtdesign, hübsche Terrasse zum Tal mit Blick auf karge Hügel und gelben Baukran … es sind halt irgendwann immer wieder dieselben 10, 15 Punkte, die einem wichtig sind und auf die man achtet, ich habe keine Ahnung, wie viele Deutsche Programme es im Fernsehen gegeben hätte, welche Leistung der Fön gehabt hätte oder welche Öko-Bilanz das Zimmer aufweist, alldieweil das alles Dinge sind, die mich schlicht weg nicht interessieren. Frisch geduscht mache ich mich daran, mal wieder durch Ragusa Ibla zu laufen, das letzte Mal war ich als Durchreisender hier, und das außerhalb der Saison, ich war einmal durch die Stadt gelaufen, hatte besagte Trattoria ausprobiert und war weiter gefahren. Bei meinem Weg durch das Hotel lerne ich, dass es zwei in den Berg gebaute, irgendwie zusammengewachsene / zusammengelegte alte Gebäude sind, ein Wohnhaus und ein Kloster, weiße Wände wechseln sich ab mit grob gemauerten, unverputzten Kalksteinmauern und romanischen Bögen, moderne Gänge und alte Säle, alles gekonnt und sorgfältig renoviert und gut in Schuss, eine stilistisch kuriose, aber nicht unhübsche Melange, garniert hier und da mit einheimischen Kacheln mit den typischen blauen Mustern oder alten Ausgrabungsstücken; es gibt aber weder Pool noch SPA, nur ein Kellerloch mit ein paar Fitnessgeräten. Aber dank der dicken Mauern ist es überall angenehm kühl. Ich lerne auch, dass es das Hotelrestaurant längst nicht mehr gibt, auch das San Giorgio Palace ist nur noch ein Hotel Garni, selbst ohne Bar, ohne Treffpunkt für die Gäste, ohne Hotelleben. Irgendwie haben wir auf dieser Reise damit kein Glück. Das kommt davon, wenn man seine neue Sekretärin ohne Erläuterung heißt, das beste Haus am Platze mitten in der Stadt zu buchen, denke ich mir erneut. Schließlich lerne ich noch, dass die arme Rezeptionistin die einzige Angestellte im Haus ist, wie jeden Mittag, Nachmittag und Abend, Nachts ist das Haus ganz verwaist, late arrival nur bedingt möglich, Hotelschlüssel keinesfalls vergessen. Nur des Morgens gibt es eine Kaltmamsell und zwei Servicekräfte für das Frühstück, Reinigungskräfte und einen externen Hausmeister und externe Gärtner, die mal nach dem Rechten schauen, ansonsten teilen sich zwei Rezeptionisten in zwei Schichten die Betreuung des Hotels, kein Zimmerservice, kein Doorman, kein Page, kein Barkeeper, kein Koch, kein zweiter Rezeptionist, falls einer mal Pipi muss, kein Sicherheitspersonal, kein dauernd besetztes Backoffice: das nenne ich mal Minimalismus in der Personalpolitik. Lukrativ für die Betreiber sicherlich, schön für die Gäste sicherlich nicht.

Sizilien, Ragusa

Dergestalt schlauer geworden verlasse ich missvergnügt das Hotel, und zwar durch den Haupteingang auf der Etage der Rezeption, und ich stehe, doch zu meiner Verwunderung, direkt auf einem kleinen Gässchen im pittoresken Altstadt-Straßen-Gewirr der Unterstadt, hoch oben auf dem Berg. Noch ein paar Treppen, und ich stehe auf dem Domplatz mitten in der Altstadt. Die Häuser sind schön. Aber ich sehe kein Café, wo ein Einheimischer einen Espresso trinken würde, kein Restaurant, wo Einheimische essen würden, keinen Supermarkt, in dem Einheimische Nudeln und Klopapier kaufen würden, keinen Marktstand, an dem Einheimische Fisch und Kräuter kaufen würden, kein Eisenwarengeschäft, wo Einheimische einen Topf und einen Hammer kaufen würden, kein Schreibwarengeschäft, wo Einheimische ihren Kindern ein Schulheft kaufen würden, keinen Schuster, wo Einheimische ihre Schuhe reparieren lassen würden, kein Kleidergeschäft, wo Einheimische ihre Klamotten kaufen würden, … Klar, es gibt jede Menge Geschäfte, Restaurants, Cafés, Läden, das alles ist rein auf Touristen, ihre nied‘ren Bedürfnisse, ihren Sonne- und Wein-geschwächten, ohnehin schon schwachen Verstand und ihre relativ hohe Kaufkraft abgestimmt: Disney-Land in Italy. Jedenfalls, wenn ich in Bottrop in eine ordentliche Pizzeria gehe, sind da mehr Italiener als Gäste als hier in Ragusa Ibla. Nochmals missvergnügter stapfe ich durch die Gassen. Jetzt runter in die Neustadt zu fahren hat auch wenig Sinn, ich weiß nicht, wann Caro kommt, und dass die Trattoria i Varcuzzi heute zu hat, hatte die verschwitzte Rezeptionistin bereits im Hotel für mich in Erfahrung gebracht. Caro abholen habe ich auch keine Lust, wartend vor dem Haus rumlungern ist nicht Meins. Espresso und Scotch im Straßencafé verbessern meine Laune auch nicht. Ich stampfe weiter, ein paar Minuten später stehe ich fast am Giardino Ibleo – der kleine Park am Ostende des Hochplateaus – vor einem kleinen Lebensmittelgeschäft, das doch halbwegs vertrauenerweckend aussieht, dazu ein Kreuz an der Wand, also auch Christenmenschen. In einer kleinen Kühltheke liegen ein paar Wüste, Schinken, Käse, dazu Tomaten, Mandeln, Brot, ein paar heimische Weine, … Ich schicke Caro eine SMS „Scheiß Stadt. Salumeria auf der Terrasse?“ Überraschend schnell kommt die Antwort – sollte die Frau nicht arbeiten? – „OK, und Wein, viel Wein. Heute Rot.“ Ich erstehe Fenchelsalami, gekochten Parma-Schinken, Mortadella, Ragusano (obwohl mir bei Rohmilchkäse auf Sizilien nicht wirklich wohl ist, aber was soll’s, Caro ist der Käse-Fan von uns beiden), Büffel-Camembert und Taleggio, Grissini, Brot, Gemüse, Nüsse und Trockenfrüchte, dazu Wasser, ein paar Flaschen Cerasuolo di Vittoria, der Verkäufer versichert mir immer wieder, dies sei einer der exzeptionellsten Rotweine, die Sizilien zu bieten habe, zur Sicherheit nehme ich noch zwei J&B, die letzte Flasche haben wir beim letzten Absacker gehimmelt.

Ragusa, Sizilien

Schwer bepackt schleppe ich alles die 10 Minuten zurück in’s Hotel, zum Glück bergab, räume auf dem Zimmer die Minibar aus, verstaue stattdessen Wurst, Käse und Wein dort (wie weiland Umberto Eco mit seinem geschenkten Lachs, denke ich mir), setze mich mit einem Scotch auf die Terrasse in den Schatten und harre der Dinge, die da kommen mögen. Ich habe gerade harrend den ersten Schluck genommen, da kommen die Dinge zuerst in Form lauten Klopfens an der Tür, dann als total durchgeschwitzte Caro im kleinen Schwarzen mit ihrer absurd großen Handtasche. „Das ist ja ein Act, hierher zu finden und dann noch reinzukommen!“ „Ha-ha“, antworte ich lapidar und fahre lügend fort: „Was soll ich da sagen, mit zwei Reisetaschen den Berg hoch.“ Sie soll ruhig ein wenig schlechtes Gewissen haben, das mit der verschwitzten Rezeptionistin erzähle ich ihr nicht. „Warum hast Du nicht angerufen? Ich hätte Dich auch abgeholt.“ lüge ich weiter. „Wer kann denn ahnen, dass das ausgerechnet dieses Hotel ein wahres hide out ist?“ Sie blickt kurz aus dem Fenster, ist von Terrasse und Ausblick sichtlich angetan, spricht „Dusche, Scotch!“, reißt sich förmlich die Klamotten vom Leib und verschwindet im Bad. Ich gieße ihr einen großen J&B ein, folge ihr ins Bad, reiche ihr das Glas unter die Dusche, sie trinkt mit einigen Verrenkungen, um den Whisky nicht zu verwässern, stellt das Glas auf die Seifenablage und duscht weiter, während ich ihr zusehe. „Spanner!“ sagt sie. „Was dagegen?“ frage ich. „Nö, ganz im Gegenteil!“ sagt sie. „Magst Du nicht mitduschen?“ Später, auch Caro hat keinen Bock auf Sight-Seeing in Ragusa, sitzen wir auf der wirklich recht schönen Terrasse, die Füße wie Cowboys nicht auf’s Geländer, das wäre zu hoch, sondern auf die Blumenkübel gelegt, blinzeln in den Abendhimmel, trinken J&B straight, ich schimpfe über Deutsche Touristen, Caro schimpft über Italienische Agrarier, am meisten aber über ihren hiesigen Amtskollegen, ihr Tag wäre wohl fast zum Fiasko ausgeartet, es ist ein richtig harmonischer Abend. Caro erledigt ihre Aufzeichnungen, Post, Telephonate – diesmal keines im Bad –, ich mache mich irgendwann daran, meine Jagdbeute auf einem Tischchen auf der Terrasse auszubereiten, später essen wir essen Wurst, Schinken und Käse aus dem Papier, dazu Brot und Grissini, wunderbare Tomaten, Nüsse und Trockenfrüchte, der Cerasuolo di Vittoria von 2012 ist wirklich sehr lecker, eigentlich sollte er rubin-rot sein, dieser ist tiefschwarz, vielleicht liegt’s am Sonnenuntergang, irgendwie schmecken wir beide Gummibärchen, vor allem aber Kirsche, Granatapfel, Erdbeere, ich bin froh, dass ich ihn zumindest ein wenig in die Kühlung getan habe, zum Glück gibt es Weingläser auf dem Zimmer, wohl für den Inhalt der Minibar gedacht, nun aber trefflich zweckentfremdet. Irgendwann kommt das eigentlich sehr ungezwungene Gespräch auf unsere Nicht-Beziehung, bzw. auf das, was zwischen uns ist, vor allem aber bemühen wir beide uns nach Kräften, zu betonen, dass da für den jeweiligen von uns eigentlich so gut wie nichts ist, man ist ja schließlich cool, dann artet das Ganze aus zu einer dieser „Was wäre wohl wenn …“-Diskussionen bzw. Gedankenspiele, es dauert etwas, bis wir beide merken, in was wir uns da gerade mal wieder kommunikativ hineinreiten und dass wir beide auf just dieses Thema gerade so gar keinen Bock haben, gekonnt und oft geübt schwenken wir um, ich schimpfe weiter über Deutsche Touristen, Caro schimpft weiter über Italienische Agrarier, am meisten aber über ihren hiesigen Amtskollegen, und unsere Welt ist wieder in Ordnung, Problem elegant umgangen, und doch ist uns beiden klar, dass wir eines Tages sowas von volle Möhre unausweichlich auf diese Klippe knallen werden, und dann wahrscheinlich total unvorbereitet und hilflos. Wir ahnen diese Hilflosigkeit und steigen vom Wein wieder auf Scotch um, mittelfristig auch keine Lösung, und dazu noch ungesund. Als es kühl wird, ziehen wir uns von der Terrasse in die alten Klostermauern zurück, …

Ragusa, Sizilien

Die Frühstücksräume – die wahrscheinlich früher auch mal das stillgelegte Restaurant beherbergten –sind mit ihren alten Tonnengewölben und teilweise Blick in’s Tal recht hübsch, natürlich sind alle Plätze am Fenster besetzt, das Frühstücksbuffet mager und Kuchen-lastig, der Kaffee lässt auf sich warten, viele der Italienischen Gäste gehen einfach zur Theke und holen sich ihren Espresso dort selber, als wir dann mal bedient werden gibt es wirklich hervorragenden Cappuccino, da beißt die Maus keinen Faden ab. Diesmal zahlt Caro tatsächlich, wir gehen wir gemeinsam durch den Tunnel und den abschüssigen Weg zum Wagen unten auf der Straße, die Reistaschen schieben mächtig den Berg hinab, hier ist Bremsen angesagt, das Auto ist tatsächlich noch da.

Sizilien, Ragusa

San Giorgio Palace Hotel
Via Avvocato Giovanni Ottaviano
97100 Ragusa RG
Italien
Tel.: +39 (9 32) 68 69 83
E-Mail: info@sangiorgiopalacehotel.it
Online: www.sangiorgiopalacehotel.it

 

Trattoria i Varcuzzi
Via Dante Alighieri, 102
97100 Ragusa RG
Italien
Tel.: +39 (3 34) 7 82 75 19
Keine Website

 

La Botteguccia Salumeria Formaggi Prodotti Ragusani
Via Caporale Bellini n. 2
97100 Ragusa Ibla RG
Italien
Tel.: +39 (3 30) 67 85 96
Keine Website

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