Marginalie 77: Die Andalusische Hausfrau

Caro war in Spanien, genauer in Linares, einem Kaff in Andalusien, sie hat da mit irgendwelchen Automobilzulieferern zu tun, die nach Meinung ihrer Großkunden ein nicht ganz koscheres Geschäftsgebaren an den Tag legen, und Caro sollte dort mal auf den Busch klopfen, sowas kann sie gut, meistens verlässt alles Ungeziefer danach freiwillig und fluchtartig den Busch. Aber darum geht es hier nicht, vielmehr hat Caro eine sehr schöne Geschichte von dort unten mitgebracht, nämlich die Geschichte von der Andalusischen Hausfrau, und die geht so:

Die Andalusische Hausfrau lädt lange vor der Zeit Gäste ein, viele Gäste, Familie, Freunde, Nachbarn, selbst Bekannte, zu einem ausgedehnten, rauschenden Festmahl. Zuerst holt sie die großen weißen Leinentischdecken und Servietten aus den Truhen, wäscht und stärkt sie und hängt sie blütenweis auf, poliert das reichliche Familien-Silberbesteck penibel, wäscht und poliert auch das  Familien-Porzellan und die schweren Kristallgläser nochmals. Dann schlachtet die Andalusische Hausfrau allerlei Getier, weidet es aus, kocht, räuchert, verwurstet, pökelt es, dazu erntet sie Gärten und Felder, plündert großzügig die Speisekammern, kauft üppig auf den Märkten ein und beginnt zu kochen und zu backen, mehr als eine Woche bereitet sie Kuchen, Brote, Gebäck, Suppen, Terrinen, Pasteten, Eintöpfe, Braten, Ragouts, Saucen, Gemüse, Salate, Konfekt, Kompotte, Kekse und weiß der Geier was sonst nach alles zu. Einen Tag vor dem großen Fest heißt sie die Männer, aus allen Tischen des Hauses und mit geborgten Tischen von den Nachbarn eine große, lange Tafel mit reichlich Stühlen im Hof aufzubauen, die Mädchen schickt sie in Gärten und Wiesen, um üppigen Blumenschmuck zu sammeln und zu binden, sie selbst deckt den Tisch mit dem weißen Leinen, dem Porzellan, dem Kristallglas und dem Silberbesteck, dazu Kandelaber, Blumenbouquets, persönliche Tischkarten, Karaffen, Platten, Schüsseln, Terrinen, … die Tische biegen sich schon ohne die Speisen unter der prachtvollen Aufmachung. Am Tage des Festes – die Andalusische Hausfrau steht mit den Nachbarinnen und Töchtern schon seit dem frühen Morgen geschäftig in den Küchen – versammeln sich die Gäste im Hof, freudig und artig begrüßt vom Hausherrn, die Söhne bringen einen Willkommenstrunk, die Gäste überreichen Geschenke, es wird umarmt und geplaudert und gelacht, bis sich alle an die lange, prächtig gedeckte Tafel setzen, am Kopfende der Hausherr und seine Gattin, die Andalusische Hausfrau. Wenn alle Gäste Platz genommen haben und ein jeder ein erstes Glas Wein vor sich hat, noch bevor der Hausherr seine lange einstudierte, salbungsvolle Begrüßungsrede halten kann, stößt die gute Andalusische Hausfrau scheinbar versehentlich, sehr wohl aber sehr absichtlich, vor aller Augen ihr volles Glas Rotwein um und beschmutzt das Tischtuch, sie, die diese ganze bewundernswerte Pracht erst geschaffen hat, ist auch die erste, die sie wieder verunreinigt. Tja, und von da an tafeln und schmausen und zechen und genießen die Gäste ungehemmt und ohne schlechtes Gewissen weiter, denn die Tischtücher sind ja jetzt sowieso schon schmutzig und niemand braucht mehr Sorge zu haben, etwa der Erste zu sein, dem der unausweichliche Fauxpas passiert, das hat ja die wahrhaft fürsorgliche  Gastgeberin bereits für alle übernommen.

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