Marginalie 31: Löcher sind gut für Beitrittsverhandlungen

Nun also Belgrad. „Warum ausgerechnet Belgrad?“ hat mich ein Freund gefragt. „Warum nicht Belgrad?“ habe ich ihm geantwortet. Caro und ich sind den ganzen Tag durch die Stadt gelaufen, nun gut, es mag schönere Städte geben, Städte mit mehr geballter Geschichte und historischen Gebäuden, Städte mit mehr Shopping-Möglichkeiten, Städte mit mehr touristischer Infrastruktur (sprich: tote Städte). Belgrad ist spröde, Belgrad war immer schon spröde. Kuk-Architektur, sozialistischer Größenwahn und Pragmatismus, orthodoxe Elemente, muslimische Relikte … jeder aufrechte Serbe würde mich für diese Bemerkung wahrscheinlich hauen, aber irgendwie ist Belgrad auch multi-kulti, unter Tito noch mehr als heute. Das zeigt sich auch daran, dass sich die Stadt offensichtlich nicht entscheiden kann, ob man die kyrillische oder die lateinische Schrift verwenden will. Belgrad prostituiert sich nicht, nur weil Touristen EURO in der Tasche haben, ganz anders als etwa Wien und Budapest. Und die Belgrader haben, so finde ich immer wieder, einen Arsch in der Hose. Die Wahlplakate dort sind zum Beispiel von einer ganz anderen Qualität als hier, das geht schon mal richtig unter die Gürtellinie des politischen Gegners, das ist kein weichgespültes Gutmenschen-Wattebällchen-Werfen wie im besetzten Merkel-Deutschland.

Ich mag die Belgrader Festung, Kalemegdan geheißen, bis 1876 in Osmanischer Hand. Die Bauformen sind hier so vielfältig und doch irgendwie harmonisch; besonders mag ich den Blick auf die Donau von dort oben, sie ist wunderbar. Ich kenne den Fluss fast durchweg von Donaueschingen, diese kleine, gebrechliche Rinnsal, das dann auch noch verschwindet, sich unter der Erde quält, das meiste Wasser fließt unterirdisch zum Rhein ab („Die Donau mündet in den Rhein.“ – wahrscheinlich eine garantierte 6 in jeder Erdkundearbeit), sich wieder empor kämpft, träge, voller Schilf, immer größer werdend, lange noch nicht schiffbar, nur ein wenig schippern in Ulm, dann Wehre, Schleusen, Handelsschiffe, Touristenboote, Tanker, Staustufen, größer und größer werdend, Passau, Wien, Budapest, ein wahrlich majestätischer, ein wahrlich europäischer Fluss. Irgendwann muss ich die Donau noch von Belgrad bis zu ihrem Delta entlang fahren, vielleicht mache ich das tatsächlich mit dem Schiff.

Abends sitzen Caro und ich in einem kleinen Restaurant, Sumadija geheißen, in der Kneza Milosa, mitten in der Stadt, keine zehn Vierer-Tische links und rechts in dem schmalen, länglichen Raum, saubere karierte Tischdecken, Papierservietten, Blechbesteck, grobschlächtiges Gastronomieporzellan, alles recht rustikal, aber proper. Auf der großen Fensterfront zur Straße prangt in lateinischen Lettern „srpske kuhinje“, so gut ist selbst mein Serbisch noch, als dass ich verstehe, dass hier Serbische Küche verheißen wird. Die Speisekarte, dazu noch eine handgeschriebene Tageskarte auf einer großen Wandtafel, sind konsequent in Serbisch, nicht zu denken an eine Englisch- oder gar Deutschsprachige Karte für Touristen. Hier sind nämlich gar keine Touristen, die Gäste scheinen – außer uns beiden – durchweg Serben zu sein. Unser Tischnachbar bemerkt unsere Probleme mit der Speisekarte und der Sprache und fragt freundlich in fast tadellosem Deutsch, ob er uns helfen könne. Rasch übersetzt er die Speisekarte für uns, natürlich gibt es Cevapcici, daneben Krautrouladen, mit Frischkäse gefüllte Karadjordje-Schnitzel, ein paar Eintöpfe, gefüllte Paprika oder Reisfleisch, dazu heimisches Jelen Bier, aus einer Brauerei in Apatin, die bereits 1756 gegründet wurde, wie uns unser Nachbar stolz erklärt. Aber es gibt keinen „Belgrad-Burger“, kein „dry aged Sumadija-Steak“ und kein „Straußenfilet auf serbische Art“, es gibt noch nicht einmal Pommes Frites – und das ist gut so. Das Bier ist eiskalt und dünn, das Fleisch frisch gegrillt, groß portioniert und fettig, die Salate und Zwiebeln sind frisch und knackig, das Brot reichlich und etwas lätschert, … um uns herum essen alle Gäste ähnliches wie wir, wir scheinen gerade richtig authentisch serbisch zu essen, und das wollten wir ja. Derweil kommen wir mit unserem Tischnachbarn ins Plaudern, er war lange Jahre in Gelsenkirchen als Gastarbeiter, daher auch sein gutes Deutsch, jetzt ist er zurückgekehrt und arbeitet bei seinem Schwiegervater in dessen Schlosserei, die er irgendwann einmal auch übernehmen wird. Er redet gut über Deutschland und die Deutschen, und dass wir uns von den Amis und den Engländern in den sogenannten Kosovo-Krieg – weder ein Verteidigungs-Bündnisfall noch von einem UN-Mandat gedeckt, sondern schlichtweg ein Angriffskrieg gegen andere Völker unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe, sagt unser serbischer Gesprächspartner – hätten hineinziehen lassen, das sei ja verständlich, letztendlich sei Deutschland ja bis heute ein besetztes Land mit unvollständiger Souveränität. Fast schwingt ein wenig Mitleid mit, als er dies sagt. Was das für ein Bürogebäude mitten in der Stadt sei, mit dem riesigen Loch über mehrere Stockwerke mittendrin, will Caro wissen. „Das“, entgegnet unser Gesprächspartner, „ist das ehemalige Verteidigungsministerium. Das wurde von der NATO Ende April 1999 zerbombt, nach dem Rundfunkgebäude und dem Fernsehturm, und vor unseren zivilen Kraftwerken und der Chinesischen Botschaft. Aber ich bin Euch nicht böse, das waren damals Britische Bomber.“ Der Serbe grinst uns spitzbübisch an. Warum das Gebäude noch immer ausgebombt mitten in der Stadt rumstünde, will Caro wissen. „Ach, das lassen wir stehen. Das hilft uns bei unseren Beitrittsverhandlungen in die EU. So was macht ein schlechtes Gewissen bei Euch, und das ist gut für unsere Verhandlungsposition.“ Deshalb sind Löcher gut für Beitrittsverhandlungen.

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