Kongressbesuch in Las Vegas. Viele Kongresse und Messen finden in Las Vegas statt, nicht nur, weil das Las Vegas Convention Center eines der besten und modernsten der USA ist, sondern auch weil Las Vegas über nahezu unbegrenzte Bettenkapazitäten verfügt, und die Hotelzimmer sind dazu noch spottbillig, alldieweil die Hotels ihr Geld nicht mit Übernachtungen verdienen, sondern vor allem mit den Hotel-eigenen Spielcasinos, in denen die Reisenden meist viel mehr Geld lassen als sie je für Übernachtungen ausgeben würden. Ich mag Las Vegas nicht, ich konnte der Stadt nie etwas abgewinnen, diesem Kunstprodukt im Wüstensand von Nevada. Zweimal bin ich mit exakt 100 US$ zum Spielen in die Casinos gegangen, Automaten, Roulette, Black Jack, Würfel, ich habe sogar bei einem Kartenspiel gesetzt, von dem ich weder wusste wie es heißt noch wie es geht (ich dachte, das bringt vielleicht Glück), irgendwann hatte ich sogar 198 US$, satte 98 US$ Gewinn, aber ich hörte nicht auf, bis das Geld weg war. Eines weiß ich nach diesem beiden Casino-Erlebnissen ganz gewiss von mir: Spieler bin ich keiner, zu keinem Zeitpunkt verspürte ich das berühmte Kribbeln im Bauch, Adrenalinausstöße, Schweißausbrüche oder sonstige Anzeichen der Erregung. Ich fand es ein interessantes, auch lehrreiches, vor allem aber teures, jedoch sehr schnell auch langweiliges Erlebnis, das ich gewiss nicht öfter brauche.
Eingeflogen zu meinem Kongress war ich ganz normal mit der Lufthansa Nachmittagsmaschine aus München über O’Hare International (das geht wesentlich schneller als über Los Angeles), und von dort weiter mit der United nach McCarran. Den Rückflug hatte ich mir von San Francisco aus buchen lassen, mit der United nach Washington D.C. und dann mit der Nachtmaschine der Lufthansa zurück nach München. Der Kongress endete – wie praktisch – an einem Freitagmittag (natürlich war am Freitag niemand mehr auf den Veranstaltungen, außer den Veranstaltern selber) , ich hatte mir noch ein paar Tage Urlaub genommen und fuhr mit dem Mietwagen in’s Death Valley, weiter in die Geisterstadt Gold Point und von dort auf der 120 quer durch den Yosemite National Park nach San Francisco. Eines Abends machte ich irgendwo bei Bridgeport in einem Motel Station. Fußläufig fand ich ein tatsächlich einheimisches Lokal mit echter Küche und nicht nur Fast-Food-Scheiße, dazu machte sich eine Band daran, ihre Instrumente aufzubauen um Western- und Country-Weisen zu spielen. An der langen Theke saßen vorwiegend Männer, blue und white colour worker einhellig nebeneinander eiskaltes Bud aus der Flasche trinkend, manche an kleinen Wassergläser voller Bourbon nippend, Weibspersonen auch, aber deutlich in der Unterzahl. Die Bohnensuppe war höllisch scharf, das Steak mit den mashed potatoes riesig, auf den Punkt rosa und durchaus lecker, die mashed potatoes bestanden vorwiegend aus Butter und Sahne, der New York cheese cake zum Nachtisch an Schwere, Süße, Gehalt und Kalorien nicht zu übertreffen – typisch imperial-amerikanisch halt. Bald schon wurde ich als „Fremder“ identifiziert und so kam ich rasch mit den Eingeborenen (Eingeborene sind das ja eigentlich nicht, es sind Zuwanderer, Migranten, die gekommen waren, um zu bleiben, die Nachkommen der überlebenden Einheimischen wohnen heute in Reservaten, vielleicht könnte man es auch Ghettos nennen, meist unter erbärmlichen Verhältnissen) in’s Gespräch, zutraulich sind sie ja, die Amis. Wo ich denn herkäme, was mich in diese Gegend verschlüge, wo ich hinführe, was ich beruflich täte, wieso ich solch einen Nordstaaten-Akzent spräche … all diese Fragen halt, die man in lockerer Plauder-Atmosphäre einem Fremden stellt, und ich antwortete brav. Wirklich weltläufig waren sie nicht, die freundlichen Leute aus der Gegend von Bridgeport, der Eine hielt Österreich für einen Teil von Deutschland, der Andere verwechselte ständig NATO und EU, der Dritte machte gar Paris zur Deutschen Hauptstadt, aber sei’s drum, wie viele Deutsche kennen die Hauptstadt von Pennsylvania, wie viele den Unterschied zwischen OAS und NAFTA? Aber es kam noch weitaus bunter: einer wollte tief im 21. Jahrhundert wissen, ob die Versorgungslage im von den Kommunisten der DDR eingeschlossenen Berlins zwischenzeitlich besser sei und wie es um die Luftbrücke stünde, einer wetterte unaufhörlich über Stalins Greul und dass der Kerl doch endlich weg müsse, der nächste – ein Weltkriegsveteran – beglückwünschte mich zur Kampfstärke und Moral der SS, er habe selber gegen sie gekämpft, und ob es innerhalb des Deutschen Militärs auch heute noch so etwas wie eine SS gäbe, das sei doch sicherlich eine wichtige Stütze jeder Regierung, ob wir es wirklich gefallen ließen, dass uns die Kommunisten die gesamten Ostgebiete abgenommen hätten, und wann und wie wir sie zurückbekommen gedächten, fragte der Nächste. Den Vogel ab schoss allerdings ein alter Hillbilly wie er im Buche steht: nachdem er wenigstens drei Wassergläser Bourbon lang aufmerksam zuhörend und still an der Theke gestanden hatte drängte er sich zu mir, deutete mir, mein Ohr in die Nähe seines Mundes zu bringen, und dann flüsterte er „Tell me one thing: is Hitler still your Chancellor?“
Und diese Leute wählen den Mann (oder die Frau) der/die den Finger am Knöpfchen der Atombomben hat. Glibs …