Liwanzen, das ist Bauernküche in Reinkultur: außer Zucker, Salz und Zimt wird alles auf dem eigenen Hof hergestellt. Liwanzen, das sind kleine Hefepfannküchlein, die mit Zucker, Zimt und Butter mit der Hand in exakt zwei Bissen gegessen werden. Liwanzen sind sättigend und hoch-kalorisch, genau das Richtige für einen schwer körperlich schuftenden Feldarbeiter; der Umkehrschluss ist wahrscheinlich zutreffend: genau das Falsche für einen körperlich kaum mehr geforderten Kopfarbeiter.
Liwanzen, das sind Kindheitserinnerungen vom Feinsten. Wenn Großmutter Liwanzen machte und sich alle fünf Enkel einträchtig in ihrer Küche einfanden um zu schlingen, was das Zeug hält. Vorher gab es vielleicht ein Kartoffel- oder ein dünnes Fleischsüppchen mit Bruchreis (Großmutter war sparsam, aber Bruchreis, das ist hartes und zugleich breiig-schleimiges Zeugs, wohlfeile beim Polieren zerbrochene und aussortierte Reiskörner), bei dem sich alle zurückhielten, alle sparten sich den leeren Magen so weit als möglich für die Liwanzen auf. Daran hat sich bis heute wenig geändert; die Jungs sind meist sehr vernünftig, was das Essen anbelangt, aber bei Liwanzen können beide bis heute richtig unvernünftig sein.
Aber, nachdem ich jetzt Münder wässerig gemacht habe, außer Ben und Luc kann heute kaum mehr ein Mensch Liwanzen backen, und man muss seeeeeehr lange suchen, bis man ein Restaurant findet, das richtige und gute Liwanzen auf der Speisekarte hat. Bei der Vertreibung aus dem Sudetenland 1946 hat meine Großmutter die Familien-Bibel aus dem späten 17. Jahrhundert zurück gelassen (jeder Vertriebene durfte nur Eigentum mit sehr beschränkten Gewichtsumfang mitnehmen); die große, gusseiserne Liwanzenpfanne mit 8 Vertiefungen hingegen nahm sie mit: die Frau konnte Prioritäten setzten. In unserer Familie sind heute zwei schmiedeeiserne Liwanzenpfannen aus der ehemaligen Tschechoslowakei im Einsatz (dort wurden oder werden diese Teile tatsächlich noch hergestellt) und eine gusseiserne Pfanne mit vier Vertiefungen aus Schweden, die dort als Eierpfanne verwendet wird, hier aber zuweilen als Liwanzenpfanne vertrieben wird. Tatsächlich ist eine Schwedische Eierpfanne nur sehr bedingt ein Liwanzenpfannen-Ersatz, alldieweil die runden Vertiefungen, in denen die kleinen Hefe-Pfannküchlein gebacken werden, mit ca. 9 cm Durchmesser zu groß sind, Liwanzen haben einen maximalen Durchmesser von 7 bis 7,5 cm. Wenn man „Liwanzen-Pfanne“ googelt, dann werden auch noch Pancake-Pfannen angeboten sowie Pfannen mit Vertiefungen, die am Boden rund sind, etwa Poffertjes-, Augen- oder Krapfenpfannen: gehen alle nicht für Liwanzen. Auch wenn man versucht, in einer normalen großen Pfanne vier kleine Teighäufchen nebeneinanderzusetzen und zu backen, klappen Liwanzen nicht. Für Liwanzen braucht man eine möglichst schwere Pfanne mit runden, unten flachen Vertiefungen mit je 7 bis 7,5 cm Durchmesser und ca. 0,5 cm Tiefe. Punktum. Keine Pfanne – keine Liwanzen.
Liwanzen werden bei relativ starker Hitze im Akkord gebacken, im Backofen kurz warmgehalten und dann serviert. Dazu wird viel geschmolzene Butter auf einem Stövchen gereicht sowie reichlich Zucker und Zimt. Jeder Esser legt sich drei oder vier Liwanzen auf den Teller. Dann bestreut er sie dick mit Zucker. Danach kommt dick flüssige Butter über den Zucker, bis der Zucker mit Butter getränkt ist. Zum Schluss erst streut man Zimt auf jede Liwanze (so lautet der Singular von Liwanzen); Zimt übrigens erst zum Schluss, da dieser ansonsten den Zucker quasi imprägnieren und die Butter abperlen lassen würde (stimmt tatsächlich). Sodann nimmt man eine Liwanze zwischen Daumen und Zeigefinger, klappt sie zusammen, führt sie über dem Teller (wenn man alles richtig gemacht hat beim Zuckern und Buttern, dann triefen jetzt Zucker und Fett aus dem Pfannküchlein heraus) (jetzt nicht an Kalorien denken, sonst ist alles kaputt!) zum Maule und verschlingt die Liwanze ganz oder in maximal zwei Bissen. Ein, zwei Liwanzen pro Person hält man pur zurück, um damit nach der Orgie noch Butter, Zucker und Zimt von den Tellern zu wischen. Puristen könnten jetzt auch alternativ eine Sauce aus Powil (Pflaumenmus,) z.B. etwas verlängert mit Rum und Wasser, abgeschmeckt mit Nelken und Zitronenschale oder eine Sauce aus kurz in Wasser aufgekochten, dann evtl. passierten Beeren, leicht gezuckert und evtl. mit etwas Maisstärke gebunden servieren – aber das wäre dann keine richtige Sünde mehr.
Die unten stehende Menge reicht … je nachdem. Nach einem guten, reichlichen Eintopf vielleicht als Nachtisch für Vier. Nach einem kleinen, klaren Süppchen können auch zwei gute Esser diese Menge vertilgen. Und nach einem Drei-Stunden-Spaziergang im Schnee bei klirrender Kälte schafft man diese Menge knapp (nicht ganz) alleine, zusammen mit einem guten Grog.
Zutaten
Für den Teig
- 4 Eier
- 8 gehäufte Eßl. Mehl
- 1 Eßl. Zucker
- 1 Prise Salz
- Lauwarme Milch (ca. 200 – 300 ml, je nach Mehl)
- 1 Pkg. Trockenhefe oder ½ Würfel frische Hefe*
- Zum Backen neutrales Pflanzenöl
Zum Servieren
- Geschmolzene Butter (durchaus 250 g oder mehr)
- Zucker
- Zimt
Zubereitung
- Aus Eiern, Mehl, lauwarmer Milch, Zucker, Salz einen dickflüssigen Pfannkuchenteig** machen, ruhig 10 Minuten rühren
- Wenn der Teig die richtige Konsistenz hat (und auch noch handwarm ist) Hefe dazu geben (frische Hefe vorher im Dampferl auflösen und vorgehen lassen, Trockenhefe direkt unterrühren), nochmals durchrühren, Schüssel mit einem Tuch abdecken und an einem warmen, zugfreien Platz ca. 1 Stunde gehen lassen***
- Teig sollte beim Gehen sein Volumen verdoppeln
- Teig nochmals durchrühren, Liwanzenpfanne gut (aber nicht „volle Pulle“) erhitzen, Backofen auf 110° vorheizen, große Porzellanplatte auf die mittlere Schiene hineinstellen, 50 ml neutrales Pflanzenöl in einen Kaffeepott geben, in den vom Durchmesser ein Siliconpinsel passt
- Nebenbei 250 g Butter auf kleiner Flamme schmelzen lassen (wer mag, kann die Butter auch noch klären)
- Wenn die Pfanne heiß ist, jede Vertiefung mit einem Siliconpinsel sehr dünn mit Pflanzenöl auspinseln, sofort einen kleinen Klecks Teig in jede Vertiefung geben, Pfanne dann so am Stiel schräg drehen, dass sich der Teig komplett über den Boden der Vertiefungen verteilt (aber nicht darüber hinaus! Zefix!). Der Boden soll mit Teig bedeckt sein, aber die ganze Vertiefung soll nicht bis zum Rand mit Teig gefüllt sein, das Zeugs geht ja noch auf (hoffentlich). Ich schätze mal, pro Vertiefung drei bis vier Esslöffel Teig – aber nicht mit Esslöffel-Löffeln anfangen, die Zeit hat man beim Backen nicht (dann wären die Ersten verbrannt bis die Letzten hineingelöffelt sind), sondern beherzt die mittelgroße Kelle mit Teig genommen, wacker und flink gegossen und dann Pfanne zum Behufe der Teigverteilung rasch geschwenkt.
- Liwanzen auf einer Seite hellbraun backen****, wenden, fertig backen, im Backofen warmhalten, bis aller Teig verbacken ist (oder einer macht den Backdeppen und liefert ständig frische Liwanzen, während die anderen tafeln und schlemmen)
* Also, ganz persönlich mag ich die Liwanzen mit der doppelten Menge Hefe, nicht etwa, weil sie dadurch mehr aufgingen, sondern weil sie dadurch einen leicht säuerlich-hefigen Geschmack bekommen, und dieses Spiel von Zuckersüße und Hefesauerheit, in Verbindung mit Butter und Zimt, hat durchaus etwas Ansprechendes – zumindest für mich, Ben und Luc protestieren laut bei zu viel Hefe.
** Wie soll man rein sprachlich „dickflüssigen Pfannkuchenteig“ genauer spezifizieren? Da helfen einfach nur Ausprobieren und Erfahrung. Für perfekte Liwanzen – ebenso übrigens wie für perfekte Pfannkuchen – müssen zwei Komponenten perfekt zusammenspielen: zum einen der Viskositätsgrad des Teigs und zum anderen die gewählte Betriebstemperatur der Pfanne. Je heißer die Pfanne, desto dünnflüssiger muss der Teig sein; wäre er zu dickflüssig, so würde der Teig bereits nach dem Hineingießen vor dem völligen Verteilen über den Pfannenboden stocken und ließe sich nicht weiter bis zum Rand verteilen. Im Umkehrschluss heißt das auch, je kälter die Pfanne, desto dickflüssiger kann der Teig sein und sich ohne zu Stocken über den kompletten Pfannenboden verteilen lassen. Ist der Teig zu dickflüssig und die Temperatur gleichzeitig zu hoch, so kommt noch das nette Phänomen hinzu, dass der Teig auf der Unterseite verbrannt ist während die Oberseite noch flüssig ist und sich der Pfannkuchen daher nicht – oder nur mit einer unsäglichen Sauerrei in der Küche – wenden lässt. Und unabhängig von dem jeweiligen Herd und seinen Einstellungen ist die individuelle Betriebstemperatur fast jeder Pfanne nochmals unterschiedlich – selbst bei identischem Herd mit identischen Einstellungen. Bei Pfannkuchen wie bei Liwanzen muss man ganz einfach die richtige Teigviskositäts-Pfannen-Temperatur-Kombination durch trial and error selber herausfinden, irgendwann hat man’s dann aus dem Handgelenk drauf. Etwas einfacher machen es sich unsere französischen Nachbarn mit ihren Crêpes – der Teig wird mechanisch mit einer kleinen Holzrolle direkt auf der Bratfläche verteilt, hier muss das Zusammenspiel von Hitze und Viskosität nicht so ausgeklügelt sein.
*** Man kann den Teig auch am Morgen zubereiten und dann z.B. den ganzen Tag über ganz langsam in Kühlschrank gehen lassen; persönlich finde ich die Ergebnisse aus diesem langen Gärungsprozess immer besser als die übliche Ein-Stunden-Blitz-Gärung.
**** Wenn die Liwanzen unten hellbraun sind und der Teig oben kleine Luftlöcher zeigt und gerade gestockt-fest ist (und beim Wenden nicht mehr fließt und die Küche verschmutzt), tja, dann hat man den perfekten Viskositätsgrad erwischt. So einfach ist das …
Lang gesucht und endlich gefunden: das unverkünstelte Dalkenrezept. Auch ich habe sie in meiner Kindheit geliebt. Meine Mutter, Grosseltern und Grosstante waren auch Sudetendeutsche – aus Mariasorg (Marianska). Vielen Dank für das Rezept. Die Pfanne ist zwar verschwunden, doch lasse ich mir von einem Freund eine aus Tschechien mitbringen.
Guten Appetit wünsche ich!