Lamm Illingen: traditionelle schwäbische Küche ohne Highlights und ohne Abgründe, cought in the middle

Summa summarum: obwohl der Internetauftritt des Lamms in Illingen weder spektakulär noch reißerisch ist, sondern eher bieder-seriös-informativ, fährt man dann mit großen kulinarischen Erwartungen auf eine traditionelle, regionale, handwerklich gut gemachte schwäbische Küche in’s Lamm, was dort dann kommt ist zumeist weder lobens- noch tadelnswert, sondern ordentlich gemachtes Futter, aber eben nicht mehr, „Basst schoo.“ würde der Bayer sagen.

Das Leben ist zuweilen eines der Seltsamsten. Ich musste geschäftlich in’s tiefste Schwäbische, hinter Stuttgart. Die Ochsen Post in Tiefenbronn, die schon lange auf meiner To-do-Liste steht, hätte zwar ein Zimmerlein für mich gehabt, aber für maximal zwei Stunden einen Tisch für’s Abendessen, dann hätte ich fertig sein und mich trollen müssen; alternativ hätte ich auch erst um 20:30 Uhr einen Tisch bekommen können, bei dem Annahmeschluss um 22:30 Uhr wäre das weitgehend gehupfelt wie gesprungen gewesen. Dabei hatte ich mich so auf Wildterrine, Entenleberterrine, Beef-Tea, Burgunderschnecken, geschmälzte Maultasche mit Kartoffelsalat, saure Linsen mit Saiten und Speck, Zwiebelrostbraten mit Filderkraut und Maultasche gefreut, Nachtisch noch gar nicht mit eingerechnet, und irgendwie hätte ich das auch geschafft … aber nicht in zwei Stunden. Im neuen Jahr, wenn die vermaledeiten Weihnachtsfeiern vorbei sind, werde ich mir mal ein komplettes Wochenende für die Tiefenbronn nehmen, vielleicht kann ich Caro dazu animieren, mitzukommen, und zwei Leute und zwei oder drei Tage sind für dieses kulinarische Pensum eh‘ besser.

Derart zurückgewiesen von der Ochsen Post machte ich mich also relativ ratlos an die Gasthofsuche im Schwäbischen. Die Krake listete mir brav Gasthof um Gasthof auf, ich studierte Online-Speisekarten im Accord und wurde zusehends missmutiger … bis ich meine Suchstrategie änderte: in Google Maps gab ich mein Reiseziel – Vaihingen an der Enz – ein, Rechtsklick auf die Karte, Menü-Punkt „In der Nähe suchen“ ausgewählt, „Restaurant handgeschabte Spätzle“ eingegeben, und zack, da war es, das Lamm in Illigen, einem Nachbarort von Vaihigen, zusammen mit einigen anderen Restaurants und Gasthäusern in der Umgebung. Ein paar Online-Speisekarten und Photo-Strecken (ebenfalls über die Krake verfügbar) der Gasthäuser, ihrer Speisen, ihrer Gästezimmer später war es klar, das Lamm in Illigen würde es werden. 15 Gerichte auf der Standardkarte, acht Gerichte auf der Saison-Karte, mehr nicht. Keine kulturellen Aneignungen von Burgern und Couscous, fast nur traditionelle schwäbische Speisen: Fleischbrühe mit diversen Einlagen, Zwiebelrostbraten, Filet-Töpfchen, Hirschragout, Schnitzel, Nieren, Maultaschen, Käsespätzle, Siedefleisch, Ofenschlupfer, … so hat auch Omma anno dunnemals gekocht, da sind keinerlei exotischen, eingeflogenen Zutaten ersichtlich, das Chili con carne und die hausgemachten Kürbis-Nocken mit Ratatouille sind die „exotischsten“ Gerichte auf der Speisekarte. Dazu ein wahres Feuerwerk an Buzz-Words auf der Webpage: Familienbetrieb, echte Tradition, seit über 100 Jahren, bodenständig, saisonal, frisch, Lieferanten aus der Region, selbst angesetzte Saucen, … you name it: wer könnte da widerstehen?

So weit zur Papier- bzw. Internet-Form des Gasthauses. Nach einer deprimierenden Fahrt über die Alb im späten November bei Nebel und ersten Schneeflocken erreiche ich Illingen gegen 15:00 Uhr. Städtebauliche Juwele, historische Monumente, prosperierende Wirtschaftszentren, architektonische Spitzenleistungen, pulsierendes städtisches Leben … sehen alle gewiss anders aus, selbst für „gemütliches, heimeliges, verschlafenes, aufgeräumtes Kleinstädtchen“ reicht das Stadtbild Illingens bei weitem nicht. Enge Durchgangsstraße, schmucklose, alte Bausubstanz, oft Fachwerk oder gesichtslose Nachkriegs-Funktionsbauten, graue Fassaden, blinde Fenster, viel Leerstand, teilweise schon Verfall, Billig-Discounter, aber vor jedem zweiten Haus dicke, frisch polierte Nobelkarossen aus dem nahen Stuttgart, die hier in der Gegend wuchern wie Unkraut.

Das schmucklose zweieinhalb-geschossige Gebäude des Lamms fügt sich recht gut in dieses traurige städtebauliche Ambiente ein, direkt an der – auch des Nachts gut befahrenen – Durchgangsstraße gelegen, vis-à-vis auf der anderen Straßenseite liegt das Gästehaus des Lammes, wahrscheinlich ein umgebautes Vier-Familienhaus, in dem heute die moderneren Gästezimmer untergebracht sind, während die Zimmer im Haupthaus wohlfeiler und älter sind. Die Zimmer sind funktional, hinlänglich groß, nachträglich eingebaute winzige Bäder, wohlfeile, stabile, schmucklose Systemmöbel, eine Matratze, so weich, dass man bereits beim Hinlegen die unvermeidlichen Rückenschmerzen am nächsten Morgen spürt, dünnes Kopfkissen, zerschlissene Bettwäsche, winziger Schreibtisch, kleiner Flachbildschirm, Sessel und Notbett in einem, offener Kleiderschrank, Kofferablage, Blick auf die Durchgangsstraße: zum Schlafen reicht so eine Behausung (sofern man nicht geräuschempfindlich ist), der Wohlfühlfaktor geht gegen Null, das sind Monteurszimmer, wie die zahlreichen Handwerker-Kleinlaster auf dem Parkplatz sowie die Bekleidung und Gespräche beim Frühstück zeigen, aber sei’s drum, ich bin ja primär zum Essen hier.

Früher einmal gehörte eine eigene Metzgerei – Schwerdtle-Frey – zum Lamm, die ist längst geschlossen und verwaist. Der Gastraum des Restaurants ist … aufgeräumt. Blanker Fliesenboden, Butzenscheiben, Massivholzmöbel, Esche, glaube ich, kleiner Schanktresen, freistehendes Salatbuffett, abgetrennter Nebenraum, insgesamt vielleicht ein gutes Dutzend Tische, kaum Deko-Müll, robuste, beige Tischwäsche, Stoffservietten, Blechbesteck, einfaches Geschirr, Brauerei-Gläser: das ist alles eine unaufgeregte, solide, vielleicht etwas sehr schlichte/kalte gutbürgerliche Gaststätte, und mehr will man auch gar nicht sein. Die Speisekarte, wie bereits geschrieben, ist sehr übersichtlich, sehr regional, sehr traditionell, sehr vielversprechend. Die Chefin bedient selber mit einer Hilfe, der Service ist tadellos, flott, freundlich, obwohl das Restaurant bis auf den letzten Tisch proppenvoll ist.

Was dann zum Essen kommt, ist tadellos – tadellos, aber keinesfalls extraordinär. Die Fleischbrühe ist kräftig, leicht fettig (was sie auch sein soll, diese total entfetteten Süppchen sind modernistischer Schnickschnack, Fett ist Geschmacksträger, Punktum) und heiß, die Flädle selbst gemacht und nicht zermatscht, die Schnittlauchröllchen auf der Suppe frisch geschnitten, passt alles. Die selbst gemachten Maultaschen sind dann eher zwei Tranchen eines Nudel-Fleisch-Strudels mit viel frisch gebratenen Zwiebelchen obendrauf und einem kräftigen braunen Bratensößchen untendrunter, daneben ein gutes Löffelchen pochierter, recht weicher Gemüsewürfelchen, irgendwo zwischen Macédoine und Brunoise, dazu ein Näpfchen des hoch angepriesenen hauseigenen schlorzigen Kartoffelsalates mit guter Rindsbrühe. Allora, weder die Maultaschen noch das Bratensößchen noch der Kartoffelsalat sind in irgendeiner Form „unzulänglich“, „schlecht“, gar „tadelnswert“, alles ist gut und lecker und sättigend, die Maultaschenfüllung vielleicht etwas zaghaft gewürzt, aber ich habe schon besser schmeckende Maultaschen, Bratensößchen und schlorzige Kartoffelsalate gegessen; bei diesem Essen stellt sich Sättigung ein, aber keine Begeisterung (aber immerhin zuverlässig auch kein Ärger). „Basst schoo.“ würde ein alter Bajuware in solch einem Fall wohl murmeln. Nämliches Bratensößchen, nämliche Macédoine/Brunoise Gemüsewürfelchen und nämliche gebratene Zwiebelchen (diesmal allerdings nicht als Würfelchen, sondern als Ringe) treffe ich später auf dem Teller mit dem Zwiebelrostbraten wieder; das Fleisch ist geschmacklich sehr gut, auf den Punkt rosa gebraten, zart – das kann man getrost als sehr gut und herausragend bezeichnen; die Spätzle dazu sind tatsächlich unübersehbar handgeschabt, reichlich portioniert, teilweise recht dick und groß, aber ihre Oberfläche ist sehr glatt, nicht porös (wie sonst so oft bei handgeschabten Spätzle), so dass die Spätzle die Sauce kaum aufnehmen können; aber die Extra-Portion Bratkartoffeln dazu entschädigt für Vieles, mit die besten Bratkartoffeln, die ich seit langem in Süddeutschland gegessen habe; die ebenfalls angepriesene Salatbar mit hausgemachten Salaten enttäuschend. Der Ofenschlupfer zum Abschluss schließlich trocken, wahrscheinlich aufgewärmt, belanglos, Vanillin-schwanger, Vanillesauce und Beerenkompott dazu Convenience. Was von diesem Abendessen bleibt, ist sehr viel Vorfreude, ein ziemliches gutes Fleisch beim Zwiebelrostbraten, ziemlich gute Bratkartoffeln und ansonsten ein gebrummtes „Basst schoo“. Das Frühstück ist ordentlich: es gibt zwar keinen Lachs, frisches Obst oder sonstige Spezereien, aber dafür Bäckerbrötchen, Metzger-Wurst, selbstgemachte Marmeladen, Eierspeisen à la minute von einer freundlichen Kaltmamsell, guten frischen Kaffee.


Lamm Illingen
Schwerdtle & Frey GmbH
Vertreten durch die Geschäftsführer Marei Wiegele und Michael Wiegele
Vaihinger Straße 19
D – 75428 Illingen
Tel.: +49 (70 42) 8 16 77 55
E-Mail: info@lamm-illingen.de
Online: www.lamm-illingen.de/

Hauptgerichte von 14,80 € (geschmälzte Maultaschen, Kartoffelsalat) bis 29,80 € (Rücken und Filet vom Lamm, Ratatouille, Kartoffelkrapfen), Drei-Gänge-Menue von 25,20 € bis 46,40 €

Doppelzimmer (Übernachtung/Frühstück) von 96 € bis 106 € (pro Zimmer, pro Nacht)

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