Kommentar zum Kommentar zum Schweizerhof

Der Herr Daab, offensichtlich ein treuer, in Restaurant-, Hotel-, Lieferanten- und Küchen-Sachen kompetenter, aber durchaus kritischer Leser von opl.guide, hat meinen Jammer-Artikel über die aus meiner Sicht mehr als unbefriedigende Küchenleistung des Schweizerhofs bei Villingen-Schwenningen trefflich und doch nicht treffend kommentiert. (https://opl.guide/schweizerhof-bei-villingen-schwenningen-selten-so-schlecht-gegessen/) Ich möchte hier weder eine Verteidigungsrede schwingen noch in einen Sängerstreit über „richtige Hotels und Restaurants“ abgleiten, denn Recht hat er ja, der Herr Daab, in gewisser Weise, aus seiner Sichtweise; nur ist meine Sichtweise, meine Herangehensweise eine etwas andere, da unterscheiden wir uns halt, ganz wertneutral.

Herr Daab schreibt mir:

„Guten Tag Hr. Opl,
in Villingen-Schwenningen hätte ich Ihnen das Romantik-Hotel Rindenmühle empfohlen!

https://www.rindenmuehle.de/zimmer/

Es verwundert jedoch, dass Sie immer wieder in nicht besonders guten Restaurants landen.
Viele Grüße
R. Daab“

Nun, Restaurants und Hotels wie die Rindenmühle sind relativ einfach zu finden, man muss nur in den einschlägigen Führern nachschauen, vier DEHOGA-Sterne, drei Bestecke im Schlemmeratlas, sechs von zehn Pfannen im Gusto, eine Haube im Gault&Millau, 84 Punkte im falstaff, zwei Diamanten beim Varta Führer. Das sind alles noch keine Anzeichen für exzeptionelle „Hochküche“, aber schon durchgängig recht ordentlich. Dann schaue ich mir die aktuelle Speisekarte von der Rindenmühle an. Dort finde ich z.B. „Wasserbüffeltartar (sic!) mit Creme von schwarzem Knoblauch“, „Rahmsuppe von Steinpilzen, Basilikum, Rindercarpaccio, Pecorino“, „Nordsee-Seezunge, ganz und am Stück gebraten, Aprikosen-Mandel-Kapernbutter, zweierlei Kartoffeln“ und zum Dessert „Variation von der Lavendel-Pannacotta“. Das mögen alles hervorragende, auch hervorragend gemachte Gerichte aus besten Zutaten zu sein, nur was hat sowas mit traditioneller badischer Küche zu tun, just diese Speisefolge könnte auch auf einer anspruchsvolleren Speisekarte auf Sylt oder in Frankfurt stehen, wirklichen Regionalbezug finde ich – vielleicht mit Ausnahme der Schwarzwaldforelle und der Lammmaultasche – nicht wirklich, selbst der Käse wird aus Erlangen rangekarrt. Aber ich habe die Rindenmühle nicht zu kritisieren, ich war nicht da.

Ich wollte da auch nicht hin. Ich suche etwas anderes, ständig. Wahrscheinlich liegt das in meiner Sozialisation begründet. Meine Eltern neigten eher zur gehobenen Gastronomie und Hotellerie. Schon als kleiner Bub wusste ich, dass man protestieren muss, wenn der Kellner beim Filetieren der Forelle Blau nicht auch die Bäckchen des Fischleins herausoperierte und mitservierte. Ich erwähnte es sicherlich schon einmal, jahrelang logierten wir in den Siebzigern zum Skiurlaub auf der Schatzalp in Davos, damals noch ein respektables Grandhotel alten Stils. Dort gab es zwei Speisesäle, den einen für Leute in korrekter Abendkleidung und die sich bei Tisch zu benehmen wussten, den anderen für die Gäste ohne Abendkleidung oder mit Hunden oder unbotmäßigen Kindern oder mangelnden Tischmanieren. Als wir am ersten Abend mit Anzug und Krawatte in den „edlen“ Speisesaal stapften, raunte mir mein Vater zu „Wenn ich wegen Dir in den anderen Speisesaal muss, geht die Welt unter.“ Mann, war das ein entspanntes Schmausen (aber wir flogen immerhin nicht raus, ganze drei Wochen lang). Zur Wehr-, Studenten-, und Staatsdienst-Zeit war dann eher Schmalhans Küchenmeister, zumindest was Restaurants und Hotels anbelangte. Aber danach, die dreißig Jahre in der freien Wirtschaft, waren dann wieder durchaus üppiger bis sehr üppig, sowohl was das Spesen-, als auch das Gehaltskonto anbelangte. Mir liegt es fern, hier jetzt irgendwie angeben zu wollen, war halt so, ein Geschäftsessen macht man nun mal nicht in’ner Dorfkneipe, Vertragsverhandlungen finden nicht einer Jugendherberge statt, wenn man transatlantisch in der Holzklasse fliegt, ist man nach der Landung am Morgen eher weniger gesellschafts- und verhandlungsfähig, Firmen-Retreats werden doch selten in Landgasthöfen abgehalten, auf Geschäftsreisen erwartet man von Hotels ganz einfach einen gewissen Standard und vor allem eine gesicherte Funktionalität, das muss kein Luxus sein, aber ein gewisser Komfort schon (ich rede hier nicht von Pool und Hotelbar, ich rede von sowas wie Late Check-In, um Mitternacht noch was halbwegs akzeptables zu essen bekommen, Sekretariatsservice, zuverlässiger Schlaf, sowas halt), und da werden es in der Regel doch immer wieder die gesichtslosen, aber verlässlichen internationalen Fünf-Sterne-Ketten. Irgendwann schwappt das dann in’s Privatleben rüber, zumindest war’s bei mir so. Aber diese Zeiten sind jetzt zum Glück vorbei: Sterne, nein danke.

Wenn ich nun in ein Haus wie die – zweifelsohne alles andere als schlechte – Rindenmühle gehe, was erwartet mich da? Gehobene Ausstattung, Park, Pool, SPA, Fitnessraum, hübsches Ambiente, geschliffenes Personal — und eben eine Speisekarte, die es auch auf Sylt oder in Frankfurt geben könnte. Und wen treffe ich da? Touristen, Geschäftsreisende, Tagungsteilnehmer, reisende Gourmets, vielleicht noch einen örtlichen Apotheker und einen Architekten, mit viel Glück noch eine Hochzeits- oder Geburtstagsgesellschaft aus der Region. Das ist eben mein Knackpunkt. Ich will die Menschen vor Ort erleben, kennenlernen, will sehen und selber schmecken, was sie essen und trinken, woher sie ihre Rohprodukte beziehen und wie sie sie verarbeiten, wie die Wirtsleute ihre Gasthöfe und Kneipen gestalten, wie sie mit ihren Gästen umgehen, wie die Gäste miteinander umgehen, sowas alles halt. Die Mehrzahl der Gäste sollen schon Einheimische sein, nicht Durchreisende oder Sommerfrischler. Die „schicken, hippen, luxuriösen, enthobenen“ Destinationen interessieren mich nicht mehr (oder nur noch selten, aber wer könnte nicht dann und wann mal in die Traube nach Tonbach oder in’s Atlantic nach Hamburg wollen?). Das ist auch der traurige Grund, warum Südtirol seit einigen Jahren für mich gänzlich gestorben ist: tolle Locations, tolle Hotels, toller Service, tolles Futter … nur kaum Einheimische, selbst im Service werden sie langsam rar, als Gäste findet man sie in den dortigen Hotels sowieso nicht, maximal noch als Besitzer, und die meisten Dörfer und Städtchen sind längst touristisch gentrifiziert, nur die Bar im Laurin in Bozen hält sich wacker als Treffpunkt der heimischen besseren Gesellschaft.

Das ist eben mein Ansatz und mein Problem: authentisches örtliches Leben suche ich, und authentisches örtliches Futter, und da greift man halt zuweilen auch mal in’s Klo, das Risiko nehme ich gerne in Kauf, ich will primär lernen und erleben, erst dann kommt der kulinarische Genuss … oder eben sehr oft auch nicht, aber das war’s mir dann meist auch wert. Aber jammern – nein, nennen wir’s „berichten“ – tue ich darüber unverdrossen. Was ich betreibe, ist vielleicht weniger Gastrokritik als vielmehr gastrosophische Ethnologie. Das führt dann und wann schon mal zu einer Abmahnung eines auf Krawall gebürsteten Provinzanwalts im Auftrag eines vor Wut schäumenden Dorfwirts, bisher konnte ich alle bis auf eine abwehren, da hatte ich das Essen als „Dreck“ bezeichnet, das war eine gerichtsmassige Formulierung, mit „meines Erachtens Dreck“ wäre ich durchgekommen. Aber wenn ich mit Caro unterwegs bin, bin ich ja sowieso immer auf der sicheren Seite.

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