Summa summarum: echtes schwäbisches Dorfgasthaus mit authentischer, sehr guter, einfacher Dorfwirtshausküche.
Wenn wir ehrlich sind, so müssen wir doch zugeben, dass wir in einer Zeit leben, in der nichts Besonderes etwas durch und durch Besonderes ist. Aichwald, tiefstes Schwaben, ein Kaff auf halbem Weg zwischen Göppingen und Stuttgart an der L1201 gelegen, nicht mehr so richtiger Speckgürtel, noch eher ländlich geprägt, hier findet man als Fremder nur her, wenn man dem Navi sagt „Autobahnen vermeiden, kürzeste Route.“ Mein Navi jedenfalls ist in solchen Fällen unerbittlich, führt mich stur die kürzeste Route wählend über Stock und Stein, sogar über Aichwald, und sowas sind die schönsten Fahrten. Das Dorf ist ein typisches „basst scho‘“ (vulgo: „Das passt schon irgendwie.“), nicht wirklich hübsch, nicht wirklich hässlich, nicht wirklich tot, aber auch nicht wirklich lebendig, nicht richtig klein, aber auch nicht richtig groß, nicht historisch-alt, nicht super-modern, nicht heimelig, aber auch nicht abstoßend, Aichwald steht für den Durchreisenden für beliebigste Beliebigkeit (aber vielleicht – wer weiß? – hat es ja seine verborgenen Reize …). Und mittendrin dann der Landgasthof Hirsch, direkt an der Durchgangsstraße gelegen, ein unscheinbares zweigeschossiges Gebäude (nicht verlockend, nicht abweisend), daneben eine alte Scheune, wohl für Festivitäten umgebaut, die Signale dieses Ensembles sind durchaus zwiespältig, irgendwelche Motoraddeppen-Schilder und Erdinger Bier im tiefsten Schwaben, das gemahnt zum raschen Weiterfahren, das Schild „Meister Vereinigung Gastronom e.V.“ und die pikobello Speisekarte samt saisonaler Karte in der Vitrine vor dem Haus raten zum Bleiben. Der Hunger ist größer als die Fluchtreflexe, also geblieben und immer nur hinein in’s schwäbische Dorfwirtshaus. Im Hausflur begrüßt allerlei Tinnef den Gast, ausrangierter Holzofen, alte Küchenutensilien, Häckeldeckchen, vergilbte Photos, solche Art von Tinnef halt, links geht’s wohl in einen Saal, links hinten die Klos, der lange schmale Gang zum Herren-WC so eng, dass ein Beleibterer als ich seine Probleme haben dürfte, hindurchzukommen, an der Stirnseite des Flurs Eingang zur Küche und Treppe nach oben, rechts schließlich der Eingang zu den Gaststuben, drei hintereinander an der Zahl, die vorderste die älteste und kleinste und gemütlichste mit altem Schanktresen, Holzvertäfelung und Durchgang zur Küche, dahinter zwei eher kühle Fünfziger-/Sechziger-Jahre-Anbauten.
Einerlei, es ist gemütlich hier, zünftig, dörflich, altfränkisch in seiner besten Bedeutung, traditionell, die verfluchte Moderne in Form von Großbildfernsehern und Mittwochs-alle-Schnitzel-für-7,99, Burger- und Veganismus-Karten, Geldspielautomaten und Totrenovierung hat noch keinen Einzug gehalten, hier könnte man heute ohne große Veränderungen einen Sechziger-Jahre-Krimi drehen. Auch an der Speisekarte scheint sich seit Adenauers Zeiten wenig verändert zu haben, sieht man einmal von dem Fitness-Salat, der Karotten-Orangen-Suppe mit Ingwer oder dem Carpaccio von der Schwarzwurst mit Balsamico Vinaigrette und Parmesan einmal ab. Es gibt Suppen, geschmorte Schweinebäckchen, Saure Nieren, Schnitzel, Gulasch, Ente, Zwiebelrostbraten, Wurstsalat, … als Beilagen selbst gemachte Spätzle mit geschmälztem Semmelbröselhäufchen oben drauf, sehr guten, schlorzigen Kartoffelsalat, Semmel- und Kartoffelknödelknödel, Salzkartoffeln, mit die besten Bratkartoffeln, die ich je in Süddeutschland gegessen habe, Filderkraut, frisches jahreszeitliches Gemüse (nicht dieses aufgewärmte TK-Zeugs), dazu verschiedene selbst gemachte Sößchen, Trollingersauce, Bratensauce, Ochsenschwanzsauce, Pfefferrahmsauce, … Das macht alles sehr viel Spaß, ist ausgesprochen lecker, frisch zubereitet bzw. lange geschmort, die Saucen sind kein one-fits-all aus dem Convenience-Bottich, sondern offensichtlich allesamt unterschiedlich selbst gemacht, das ist beste traditionelle schwäbische Dorfwirtshausküche. Weit bekannt ist der Hirsch in Aichwald für seine ebenfalls selbst gemachten Maultaschen, die in knapp einem Dutzend Zubereitungsarten – von der Maultaschensuppe über geschmälzte Maultaschen mit Kartoffelsalat bis hin zu panierten Maultaschen angeboten werden, und die sind richtig-richtig-richtig gut. Dass die Portionen auch noch groß bis riesig sind, braucht man kaum zu erwähnen. Das Publikum ist einheimisch-dörflich-freundlich, hier ist und isst man unter sich, man kennt und grüßt sich, es geht fast familiär und behäbig zu. Fettes gutes Leben.
Landgasthof Hirsch
Inhaber: Werner Schöllkopf
Hauptstraße 14
73773 Aichwald
Tel.: +49 (71 13) 6 35 11
Email: hirsch-aichwald@freenet.de
Online: www.hirsch-aichwald.de/
Hauptgerichte von 10,90 € (Wildschweinbuletten mit Preiselbeeren, Spätzle, Kartoffelsalat)) bis 28,90 € (Rinderfilet mit Ochsenschwanzsauce, Kartoffelrapfen, Marktgemüse), Drei-Gänge-Menue von 18,70 € bis 42,50 €; Mittagstisch 8,50 €