Hipstar am Herd

Mitte Februar. Ein paar schmutziggraue Schneereste gammeln noch am Straßenrand rum. Den ersten Sonnenstrahlen des Jahres aber können die Menschen nicht widerstehen. Sämtliche Bänke um den Görlitzer Wilhelmsplatz sind besetzt, Jacken und Mäntel offen, die Hälse zum Himmel gereckt. Tom Hockauf blinzelt erschrocken, als er aus seinem Lokal auf die Straße tritt und nestelt eilig eine Sonnenbrille aus dem Rucksack. Urban Style. Coolnessfaktor 8 von 10.

Ein Eiscafé in der Innenstadt schlägt er vor für das Gespräch. „Die haben super schlechten Kaffee, aber man kann so schön fremde Leute beobachten.“ Ob er nicht gerade genug Leute direkt vor der Nase gehabt hätte, frage ich ihn, zur Stoßzeit im voll besetzten „Jakobs Söhne“. „Das sind keine Fremden, für die ich koche. Das ist alles Familie.“ Wir einigen uns, dass schlechter Kaffee keine gute Idee ist und ein Spaziergang dem feinen Wetter angemessen.

„Was habt ihr heute verkauft?“ „Die vegetarische Soljanka ging super. Alle Pastavariationen. Pasta läuft immer. Und Thai-Curry.“ Im Schnitt 60, in der Spitze 80 Portionen reichen Tom und seine Leute jeden Mittag über den Tresen und lassen sich dabei ganz genau auf die Finger gucken. Front-Cooking, direkt vor den Gästen, da braucht es schon ein gesundes Selbstbewusstsein. Tom grinst und nickt. „Das haben wir.“

1988 wird er in Zittau geboren. Mit einem in der Region bekannten Familiennamen. Frieda Hockauf, seine Urgroßtante, Weberin aus einfachsten Verhältnissen, war von der SED medienwirksam inszenierte Planübererfüllerin und staatlich ausgezeichneter Held der Arbeit. Tom wächst auf dem Dorf auf, spielt wie alle seine Kumpels Fußball. Tiere, die Natur, Pflanzen, die man bedenkenlos pflückt und essen kann sind für ihn eine Selbstverständlichkeit. Und ganz früh, wird ihm seine Mutter später erzählen, quengelt er in der Küche rum, weil er mitmachen will.

Als der Vater die Familie Richtung München verlässt und die Mutter Vollzeit arbeitet, gehen die Schulnoten in den Keller. „Keiner hat auf mich aufgepasst. Das Busgeld hab ich für Videospiele ausgegeben.“ Mit Ach und Krach schafft er ein Dreier-Abitur, geht zur Armee und muss schlagartig lernen, mit der strengen Hierarchie zurecht zu kommen. Was ihm erstaunlich gut gelingt.

Seine Mutter arbeitet inzwischen in der Schweiz und erzählt ihm von einer privaten Hotelfachschule mit exzellentem Ruf in Luzern. Nach einem Besuch ist Tom so begeistert, dass ihn auch die Aussicht auf 7.000 Euro Schulgeld pro Semester nicht schreckt. Er sucht sich nach Ende des Wehrdienstes eine Stelle in der Gastronomie. Er fängt als Praktikant an, wird nach wenigen Wochen als so begabt angesehen, dass er selbständig auf einem Posten arbeiten darf. Als das Haus kurz darauf vom Restaurantführer Gault Millaut als Aufsteiger des Jahres ausgezeichnet wird, feiert der Neue in der Küche mit dem ganzen Team. „Sowas vergisst Du nicht.“

In der Schule läuft es anfangs fantastisch. Die Regeln sind streng. Täglich rasieren. Anzugspflicht. Tom gibt das Halt und fachlich ist er weit vorn. Er wohnt auf 12 qm im Keller, ein Besuch beim Friseur frisst sein halbes Monatsgeld. Nach dem ersten Semester geht er zum Praktikum in das Hotel Schwanen am Zürichsee. Bei gutem Wetter spülen die Ausflugsboote mittags hunderte hungriger Gäste an. 90 Bestellungen gleichzeitig auf der Bonleiste zu haben, ist keine Seltenheit. „Du musst unglaublich präzise und schnell sein, um da nicht abzusaufen.“

Er säuft nicht ab und verlängert sogar um ein halbes Jahr. Das nächste Semester auf der Schule ist nicht seins. Schwerpunkt Service. Nach einer Woche Theorie der erste Einsatz bei einem Prominenten-Ball im Hotel Dolder Grand Zürich. An seinem Tisch sitzt der Motorsport-Millionär Peter Sauber. Der 22jährige schenkt Weine ein, die er sich in zehn Jahren nicht wird leisten können. Egal. Zähne zusammenbeißen und durch. Er sucht sich eine weitere Kochstelle, schafft es, in einer Sterneküche angenommen zu werden. Zur Schule will Tom nicht zurück. Aber in die alte Heimat. Der Liebe wegen. Als er hier in einem eher bodenständigen Lokal anheuert, kommt er sich vor wie ein arroganter Fatzke. Vom Schweizer Sternehimmel in die raue Zittauer Wirklichkeit. Und wieder hält er durch. Zwei Jahre lang kloppen sie im Akkord Schnitzel, Würste und Kartoffelsalat raus.

Dann kommt der Ruf nach Görlitz. Die Liebe ist inzwischen erloschen, er ist frei und nimmt die Stelle als Alleinkoch in einem Feinkostladen an. Endlich sein eigener Herr. Als die Inhaber nach nicht mal einem Jahr aufgeben, bleibt er einfach da und wird im neuen Lokal „Jakobs Söhne“ Küchenchef einer kleinen internationalen Brigade. Alles Weltenbummler, alle mit herrlich verrückten Biographien und alle stolz auf ihre Arbeit. „Wir sind komplett authentisch. Wir lächeln nicht freundlich, wenn ein Gast unhöflich ist. Wer keinen Respekt vor dem hat, was wir machen, soll draußen bleiben.“ Er sei, sagt Tom Hockauf, nicht arrogant. Er sei realistisch. „Wenn uns was besonders gut gelingt, feiern wir uns. Wenn was nicht klappt, sind wir am Boden. So sieht’s aus.“

Ist er angekommen? Wird er bleiben? Der blonde Strubbelkopf weiß es nicht. Er will irgendwann seine ganz eigene Küchen-Handschrift kreieren. „Das wollen alle, die meisten bleiben irgendwo auf der Reise hängen.“ Für den Moment ist er zufrieden. Im letzten Januar war er in Wien zum Praktikum bei Paul Ivic, dem Weltstar der vegetarischen Küche. Ende des Jahres hat er sich ein paar Wochen lang in Neuseeland umgesehen. „Wenn ich von den Reisen zurückkomme, fehlt es mir hier an nichts. Ich bin ein glücklicher Mensch.“

Foto: Paul Glaser www.unbezahlbar.land

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