Grandhotel des Grauens: Grandhotel du Hohwald

Früher, hier im Grandhotel du Hohwald gibt es wenigstens zwei Früher, ein ganz früher und ein jüngst früher. Le Hohwald liegt in den tiefsten Vogesen, 40 Minuten südwestlich von Straßburg, also in einem okkupierten Teil Deutschlands, daher auch der Name (die Orte der Umgebung heißen Breitenbach, Neumelkerei, Reichsfeld, Heiligenstein, Eichhoffen), abseits in einer Art Hochtalkessel, sehr idyllisch mitten im Wald, der hier überreichlich vorhanden ist. Die 500 Einwohner lebten und leben von Landwirtschaft, Holz und Wild. Um 1850 kamen dann auch noch Touristen hinzu, ein paar Hotels entstanden, allen voran 1857 das Grandhotel, ich würde sagen im Stile eines rustikalen Historismus, und ein paar Ferienhäuser. Bessere Leute verbrachten hier, bei Fuchs und Hase, in aller Stille, ohne großen Bade-, Kur- und Kulturrummel ihre Sommerfrische, Sarah Bernhardt etwa, oder die Niederländischen Königin, de Gaulle hatte hier sein Ferienhaus, Adenauer fuhr im Sommer regelmäßig – welch ein Zufall aber auch – nach Le Hohwald. Das war ganz früher. Das jüngere Früher begann Anfang des Jahrtausends, da war das Grandhotel dann schon arg ramponiert und wurde behutsam general- aber nicht luxus-saniert zu einem sehr respektablen Drei-Sterne-Haus, ich hätte dem Schuppen damals auch Vier Sterne gegeben, mit mittelmäßigem, aber seinen Zweck erfüllendem Restaurant in dem recht hübschen großen alten Speisesaal, Bar, Billardzimmer, die alten Salons waren ebenfalls hergerichtet und dienten als gediegene Aufenthaltsräume, gelegentlich auch für Meetings, bewirtschafteter Terrasse hinter dem Haus, recht schönem SPA mit Schwimmbad, Whirlpool, Sauna und Dampfsauna, Liegen, alles gut beheizt und hübsch, die Zimmer schließlich meist klein, aber damals neue, ordentliche Massivholzmöbel, Minibar, Flachfernseher, Tresor, akzeptable Bäder, teilweise Balkone, freundlichem, reichlichem, kompetentem Personal, nur das ständige Free-Jazz-Gedudel nervte tierisch. In dieser jüngst früheren Zeit waren wir öfters als junge Familie hier, ein bezahlbares, kinderfreundliches Grandhotel, wenn auch nur mit drei Sternen, aber darum ging’s und geht’s nicht, ein Hotel soll Spaß machen und bezahlbar sein, egal mit wieviel Sternen, die Jungs konnten draußen und im Wald toben, man konnte Wandern gehen, in SPA und Salons rumlümmeln, Back Gamon und Billard bei einem ordentlichen Drink spielen, einmal haben wir sogar Weihnachten hier verbracht, ein paar Kilometer den Berg rauf gibt’s einen Kletterpark und im Winter Schnee, der zumindest für Langlauf reicht, und lange, sehr lange Laufen kann man hier, ein paar Kilometer den Berg hinunter nette Elsässische Städtchen, Lokale, Boulangerien, Patisserien, Spezereien jeder Art,  im Winter romantische, nicht Touristen-überlaufene Weihnachtsmärkte (wie in Colmar oder Straburg, grässlich), und die Elsässische Weinstraße mit vielen Gelegenheiten, Wein beim Winzer zu kosten und zu kaufen, in Le Hohwald selber gibt es drei Minuten die Straße hoch ein Lokal mit genialem, originalem, wohlfeilem Flammenkuchen, und die Männer, die am Tresen stehend ihren Wein trinken, sprechen noch immer Elsässisch, dieses Mischmasch aus Französisch und  Deutsch, das auch meine Großmutter noch sprach, und drei Minuten die Straße runter ist ein richtig gutes, gediegenes französisches Lokal mit Foie Gras, Schnecken, Pasteten und so’nem Zeugs halt. Im jüngsten Früher war Le Hohwald toll, erholsam, lecker, entspannt, bezahlbar, das Grandhotel war unser persönliches hide out, in das wir dann und wann einfach abtauchten.

Tja, und neben dem früheren Früher und dem jüngsten Früher gibt’s auch noch ein Hier und Jetzt in Le Hohwald, in dem ich gerade mitten drinstecke. Und das ist einfach nur erbärmlich. Nach Jahren bin ich wieder mal hierhergefahren, weil ich ganz einfach meine Ruhe haben will. Aber das Grandhotel ist dermaßen heruntergekommen, dass es ein Trauerspiel ist. Heute ist das schöne alte Hotel in den Klauen einer Kette, die sich Popinns nennt, offensichtlich in ganz Frankreich Zwei- und Drei-Sterne-Häuser betreibt und angeblich schon 1,6 Millionen Gäste beherbergt hat , also anscheinend was Größeres. Aber was diese Verbrecher mit Le Hohwald machen, ist unglaublich. Hier wurde seit Jahren garantiert kein Cent mehr investiert, die nudeln das Haus einfach aus, bis eine Bauruine draus geworden ist. Heute werden hier noch Seminare und Tagungen abgehalten, und ein paar Wanderer verirren sich in dieses Grandhotel garni. Denn das Restaurant und die Bar sind vollkommen geschlossen, statt dessen stehen ein Heißwasserkessel, ein Glas Nescafe, Plastikbecher, Zucker und Kaffeeweißer in der Halle, ansonsten gibt es nach dem Frühstück keinerlei Verköstigung mehr im Haus. Das SPA existiert zwar noch, ist aber ebenso wie das Wasser im Pool recht kühl, in den Whirlpool hat man eine Plastikpalme „gepflanzt“, die Sauna ist kalt, die Dampfsauna ganz verrammelt, alles sehr schlecht geputzt. Die  Salons sind geschlossen, das Billard kaputt, die Terrasse voller Unkraut, genau genommen wächst überall um das Haus Unkraut, … Eigentlich kann man jetzt die kompletten Schimpfkanonaden, die enttäuschte Pauschaltouristen, die 2 Wochen Malle all inclusive mit Flug für 399 EURO gebucht hatten und dann den einen oder anderen Mangel in dem Hotel, das vielleicht mal 20 EURO pro Tag an diesen Herrschaften verdient, gefunden haben und dies bei ihrer Rückkehr lautstark und rechtsschreibschwach auf Tripadvisor & Co. öffentlich kundtun, en bloc zitieren, denn fast alles, was diese enttäuschten Pauschal-Deppen bemängeln, dürfte sich in der einen oder anderen Form heute auch im Grandhotel du Hohwald finden. Wenn ich eine Liste aller theoretisch möglichen Hotelmängel erstellen sollte, so würde ich wahrscheinlich im Grandhotel du Hohwald anfangen und hätte ratz-fatz eine Liste mit fast allen möglichen Mängeln beisammen. Alors: Farbe und Putz blättern innen wie außen von den Wänden und Decken, die Fenster sind dreckig, die Wände abgestoßen und mit schwarzen Striemen verschmiert von angedotzten Koffern, die Ecken abgeschrammt, die Teppichböden im gesamten Haus sind verdreckt, voller Flecken, man empfindet das komplette Hotel als schmuddelig, die Stoff-bezogenen roten Stühle im  Speisesaal, der heute nur noch als Frühstücksraum dient, sind oft voller Dreck, Wasserflecken (hoffen wir, dass die Flüssigkeit wenigstens Wasser oder Wein war) und Löchern (so ein Stuhl ist auch pars pro toto auf dem Titelbild),  in einem der Lifte riecht es penetrant und ständig nach Moder, die Möbel auf den Zimmern wurden nie erneuert oder restauriert, zwischenzeitlich sind sie heruntergekommen, verbraucht, alt, zerschrammt, knarzend, auch hier die Stuhlbezüge dreckig-versifft, in den teils windschiefen Kleiderschränken kunterbunte Kleiderbügel-Sammlungen, Klimaanlage/Heizung tot, auf den durchgenudelten Sprungfedermatratzen spürt man jede Sprungfeder, die Zimmertresore gib es noch, aber sie sind nicht mehr in Betrieb, können nicht mehr verschlossen werden (was ja gemeinhin als Sinn und Zweck eines Tresores angesehen wird), ebenso die Minibars, die auch noch vorhanden, aber leer, ungekühlt und verschimmelt sind, auch in den Bädern gedeiht fröhlich der Schimmel, der Kitt bröselt aus den Fugen, defekte Fliesen sind mit einem Holzbrett darüber geflickt, aufgequollene Holzwaschtische, verkalkte Duschen, die Lüfter in den Bädern arbeiten nicht mehr, auch nicht in den fensterlosen Bädern, in einem Bad ist die Türe der Dusche undicht, so dass Wasser in’s Bad läuft, und zwar Richtung Badezimmertür, und die ist dadurch nicht nur aufgequollen und das Furnier abgesprungen, die Türe ist derart aufgequollen, dass sie sich nicht mehr auch nur annähernd schließen lässt, da braucht ein Paar im Doppelzimmer schon sehr viel Intimität, bei einem offenen Klo, in einem anderen Bad fehlt der Stöpsel in der Badewanne, was das Befüllen derselben mit warmem Wasser zum Behufe eines Bades in Ermangelung des avisierten Whirlpools doch sehr mühsam macht, das W-LAN ist ein Glücksspiel, mal ist es da, mal ist  es weg, außerdem unendlich langsam, bei den Zimmern zur Straße hat man die Wahl zwischen offenem Fenster mit meistens wunderbarer Stille und Vogelgezwitscher, dann unvermittelt ein sehr laut verbeidonnernder Laster oder Motoraddepp, tagsüber im 5-Minuten-Rhythmus, nachts im 20-Minuten-Rhythmus, oder geschlossenem Fenster mit meistens wunderbare Stille, keinem Vogelgezwitscher, schlechter Luft, aber dann unvermittelt ein nur laut, nicht sehr laut verbeidonnernder Laster oder Motoraddepp, tagsüber im 5-Minuten-Rhythmus, nachts im 20-Minuten-Rhythmus.

Das Bild dieser technischen Meisterleistung an der Wand meines Zimmers und der versiffte Stuhl mögen als Belege reichen, ich habe keine Lust, hier jetzt noch seitenlang Bilder von bröckelndem Putz, verkalkten Duschköpfen, abgestoßenen Möbeln, Unkraut und fleckigen Böden zu veröffentlichen; dokumentiert ist alles bildlich (schon zu meiner Sicherheit), aber ich verweise getrost auf den Text, dort steht alles ausführlich beschrieben.

Bei all diesem Gemecker muss ich aber zugeben, dass das Frühstück für französische Verhältnisse überraschend gut ist: 4 gute Weichkäse in großen Laiben, 4 Schnittkäse, 4 Wurstsorten, sehr gutes Baguette und Croissants, ein paar Cerealien, Marmelade, Nutella, Tetrapack-Säfte, Kaffee muss man selber aus einer Warmhaltekanne oder Maschine holen, Butter, Joghurt und Milch stehen – wo sonst – in einem ganz konventionellen Kühlschrank mitten im eigentlich wunderschönen Speisesaal, es gibt warmgehaltenes Rührei, manchmal sogar mit Schnittlauch,  und als Obst – liebenswert – kleine, offensichtlich heimische Äpfel und Birnen. Das ist für Französische Verhältnisse schon überdurchschnittlich.

Auszüge aus der Web-Page der Popinns-Gruppe über ihr Grandhotel du Hohwald

Gemanaged wird dieses ganze Trauerspiel von einem vielleicht fünfzigjährigen, freundlichen, hilfsbereiten und fleißigen Mann mit Dreitagebart. Er macht die Rezeption und das Frühstück, manchmal ist er im Haus unterwegs, dann muss man ihn antelephonieren, wenn man an der meist unbesetzten Rezeption ist und etwas braucht, Nachts ist das Hotel komplett ohne Angestellte, um ins Haus zu kommen, muss man einen Code eingeben, und es gibt eine Handy-Notfallnummer: ganz schön spooky. Dann gibt es noch ein Zimmermädchen, eine ebenfalls freundliche, scheue – darf man das  noch schreiben? – Mulattin, die sich den Job offensichtlich abwechselnd mit einer stämmigen, robusten, vielleicht vierzigjährigen Französin teilt, und dann und wann gibt es noch eine vierte junge Frau mit irritierendem Dekolleté an der und um die Rezeption, mehr Personal habe ich in der ganzen Zeit hier nicht gesehen, 89 Zimmer mit 2 ½ Angestellten, das ist sportlich und bringt den Eigentümern viel Geld. Denn der Truppe hier vor Ort kann man nicht böse sein. Der Hotelmanager hat mehr etwas von einer tragischen Figur, er weiß, dass er auf verlorenem Posten steht, dass aus der Zentrale keine Hilfe kommen wird, sondern nur immer mehr Forderungen  gestellt werden, er weiß, dass er mit seiner kleinen Truppe nur noch das Elend verwaltet, und dass das Hotel irgendwann so abgenudelt sein wird, dass tatsächlich keine Gäste mehr kommen und keine Profite mehr gemacht werden, und das Hotel als Ruine geschlossen wird, und er als der Manager, unter dem das Haus vor die Hunde ging, wahrgenommen wird, und er und seine Truppe die Jobs verlieren, und trotzdem macht er treu und unbeirrbar weiter, versucht, das Beste daraus zu machen, wohl wissend, dass der Erfolg mäßig ist und mit jeder weiteren gebrochenen Fliese, die nicht ersetzt werden kann, weil alles Geld in die Zentrale abgezogen wird, geringer wird.

Die wirklichen Schuldigen für dieses Trauerspiel sitzen wahrscheinlich in der Zentrale dieser ominösen Popinns-Gruppe. Hotels eine Zeitlang zu betreiben, alle Gewinne einzusacken und nichts in den Unterhalt und die Renovierung der Häuser zu stecken, bis sie nur noch Bauruinen sind, kann ein sehr einträgliches Geschäft sein. Die durchschnittlichen 36% Personalkosten im Hotelgewerbe werden heute in Le Hohwald keinesfalls erreicht, und die 5 bis 8% Instandhaltungskosten werden hier wohl komplett eingespart und fließen als Reingewinn (vor Steuern) an die Eigentümer.  Das durchschnittliche Vorsteuerergebnis von Hotels, das tatsächlich nur magere 2 bis 5% im Branchendurchschnitt hergibt, kann durch diese Art von Einsparungen leicht auf 10 bis 20% hochgejubelt werden … kurzzeitig, danach ist das Hotel von der Ausstattung und vom Image her nur noch ein Trümmerhaufen, und die Betreiber müssen sich neue Opferhäuser suchen. Unglaublich auch, mit welcher Dreistigkeit die Popinns-Gruppe dieses Spiel werbeseitig betreibt. Dass das Grandhotel du Hohwald auf der Homepage der Gruppe in den höchsten Tönen gelobt und dazu noch vorteilhaft photographiert wird, das ist  klar, das ist normales Marketing-Sprech. Gleichzeitig wird aber auf der Homepage definitiv und nachweisbar gelogen, dort werden Restaurant, Bar, Hammam, Jacuzzi  des Grandhotels angepriesen, und all sind definitiv alles Lügen und falsche Versprechungen, und da fragt sich der zwischenzeitlich übellaunige, frustrierte Reisende schon, wo Falschinformation aufhört und wo vorsätzlicher Betrug anfängt …

Dieses vertrauenserweckende, von 2 Schrauben gehaltene Riegelchen verschließt des Nachts die völlig im Dunkeln liegende Hintertüre des Personal-freien Hotels. Wenn das nicht spooky ist, dann weiß ich’s auch nicht …

 

Grand Hotel du Hohwald by Popinns
12 rue Principale
67140 Le Hohwald
Tel.: +33 (38 80) 8 36 00
Online: https://hohwald.popinns.com/
E-Mail: ghh@popinns.com

Doppelzimmer mit Frühstück 100 bis 140 € (pro Zimmer, pro Nacht)

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