Gintare Marcel: „L’art de la Table – Mediterran kochen und genießen“: Nett gemacht und überflüssig.

Was passiert, wenn eine in einer der schönsten Ecken der Schweiz arbeitende, mit einem Franzosen verheiratete und in den Niederlanden wohnende Photographin und Regisseurin aus Litauen, die davon lebt, zugegebener Maßen recht hübsche Werbebildchen für den Accor Konzern, Max Chocolatier, Revol, Salvatore Ferragamo Group, Betty Bossi und Biogaran zu knipsen, daneben aber auch bar jeder Moral für die Wasserkrake Nestlé industrielle Lebensmittel in’s rechte Licht rückt, plötzlich auch noch selber ein Kochbuch macht?

Nun, es entsteht etwas sehr Persönliches. Dominiert werden die 288 Seiten von Photographien, gut geknipsten, hübschen, stimmungsvollen Photographien von mediterranen Landschaften, Dörfern, Straßen, Märkten, Menschen, Lebensmitteln, aber ohne Struktur, Abfolge, Erzählmuster, es ist einfach ein Sammelsurium von Bildern, man kann es durchblättern, in Erinnerungen vom letzten Urlaub schwelgen, sich an’s Meer sehnen, es hübsch finden, nicht weniger, aber auch nicht mehr, denn bei den Bildern fehlen Struktur und erläuternde Texte, wo man denn diese schönen Ecken finden könnte und was genau da geknipst wurde, auch wenn das Buch kein Reiseführer sein will, wäre ein wenig Zusatz-Information schon hilfreich.

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Ebenso weitgehend strukturlos sind die Rezepte in dem Buch, die Mittelmeer-Region ist die gemeinsame Klammer, es gibt zwar eine grobe Gliederung von Frühstück, Apéro, verschiedenen Hauptgericht-Kategorien, Nachspeisen und Grundrezepten, aber viel bringt das alles nicht. Klar, hier werden keine Länderküchen systematisch dargestellt oder Garmethoden akribisch abgearbeitet oder Kochtechniken gelehrt oder Hausfrauen fit gemacht für den familiären Küchenalltag oder Studenten in die kulinarische Kleinkunst eingeweiht. L’art de la Table ist eine ganz persönliche Zusammenstellung – Sammelsurium? – von eigenen Lieblingsrezepten aus dem großen Mittelmeerraum, ohne Zwänge, ohne große Struktur, so leicht – unstrukturiert? – wie das Leben in der Méditerranée selber. Als Standard-Nachschlagewerk – „Wie war doch noch gleich das Rezept für …?“ – taugt das Buch gewiss nicht, will es aber auch nicht sein. Solch ein Buch blättert man an einem lauen Frühlingstag auf der Terrasse mit ein, zwei Gläsern Champagner oder Campari Soda durch, freut sich an den Bildern, nimmt hier und dort vielleicht eine neue Kochidee mit, die man demnächst mal auf den Tisch bringen könnte, ärgert sich aber auch über überflüssige Banalitäten wie Anleitungen für Kir Royal oder Brötchen und über Phantasierezepte wie Süßkartoffel-Humus oder in Lapsang Souchong Tee mariniertem Hähnchen, und man ärgert sich darüber, dass das Buch zwar bis obenhin voll mit Bildern ist, aber längst nicht zu jedem Gericht wenigstens ein Photo liefert, was heute eigentlich Standard in einem Kochbuch sein sollte, zumal in einem von einer gelernten Photographin. Aber man wird wieder versöhnt durch wirklich interessante Rezepte wie Graupensalat mit geschmorter Möhre oder Jakobsmuscheln mit Kastanien und Topinambur oder Blumenkohl-Couscous mit pochiertem Ei oder der eintausendsten garantiert authentischen Arancini-Variante. Die Rezepte selber, auch das muss man zugeben, sind gut aufgebaut, logisch geschrieben, leicht verständlich, vollständig in den Zutaten und einfach nachkochbar, ohne Küchenlatein, kulinarischem Hokuspokus und auch ohne logische oder kochtechnische Patzer (was heute längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist, gerade Kochbücher, die mit hohem Anspruch und viel Geschwafel daher kommen, strotzen zuweilen von Fehlern). Dafür wurde L’art de la Table 2016 mit dem renommierten, in seiner Entscheidungsfindung aber längst nicht immer nachvollziehbaren Gourmand World Cookbook Award  ausgezeichnet.

Alles in allem ist das ein technisch gut gemachtes, und doch sehr persönliches Kochbuch, ohne dass sich die Persönlichkeit dahinter – Gintare Marcel – wirklich zeigen würde, bzw. sie zeigt sich in ihren Bildern und in ihren Lieblingsrezepten, bleibt ansonsten aber anonym. Das kann man als Autor so machen und das kann man als Leser mögen, muss man aber nicht, ich mag es jedenfalls nicht, ebenso wie ich das ganze Buch rein subjektiv nicht sonderlich mag, aber das Urteil ist rein geschmäcklerisch. Meiner reichen, kultivierten, saturierten Großtante, die schon alles hat und der man sowieso kaum was Passendes schenken kann (zumindest nichts, was ich mir leisten könnte), würde ich dieses Büchlein allerdings jederzeit als adäquates Präsent mitbringen und dort gewiss ein wenig Freude, vielleicht sogar echte damit erzeugen.

 

Gintare Marcel: L’art de la Table – Mediterran kochen und genießen. Deutsch von Birgit van der Avoort. Lifestyle BusseSeewald im frechverlag, Stuttgart 2017, ISBN 978-37724-7439-2, 288 Seiten (Original: L’art de la Table, Aerial Media Company, HB Tiel, 2015)

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