Auch wenn man mal einen Whisky zusammen mit einer Heavy Metal Band kreiert, ist die Brennerei Ziegler in Freudenberg am Main eher weniger für Sperenzchen, Marketingstrohfeuer, Mainstreamgötzendienst und sonstigen Scheiß bekannt, sondern für gradlinige, ehrliche, höchstwertige, mehr konservative Destillate. So gesehen ist der neue GinT eine Gradwanderung. Einerseits, die Basis ist der altbekannte Ziegler Gin3, ein handwerklich ordentlicher Dry Gin mit 45% und signifikanten Wachholder- und Zitrusnoten, der mich persönlich – bei aller Begeisterung (Begeisterung!) für Ziegler – noch nie wirklich vom Hocker gehauen hat. Andererseits wirken in diesem GinT quasi als zusätzliche Botanicals die Ingredienzien des Ronnefeld Morgentau Tees, einem großblättrigem grünen Sencha mit Rosen-, Ringelblumen-, Kornblumenblüten und diversen Aromen („Aromen“, da wird unsereins ja schon wieder hellhörig), der in den neunziger Jahren vom Ronnefeld-Chef-Tee-Tester Friedrich Rapp entwickelt wurde und sich heute bei Pseudo-Teetrinkern großer Beliebtheit erfreut (Pseudo deshalb, weil nach meinem Dafürhalten ein echter Teetrinker niemals aromatisierten Tee trinken würde, aber ich weiß, dass ich mit dieser Meinung gänzlich alleine dastehe). Dabei werden die Teeblätter in den Gin eingelegt, offensichtlich ohne Destillation, und was bei dieser Symbiose aus Gin und aromatisiertem Tee herauskommt, ist ganz kurios und doch auch famos. Ein 45prozentiger, tee-brauner Gin, tatsächlich mit deutlicher Tee-Note und leichter Bitterkeit im Abgang einerseits, deutlicher Wachholder-Note vom Gin andererseits, die sich ganz vorzüglich mit den Zitrus-Aromen, die sowohl der Gin als auch der Tee mitbringen, ergänzen, dabei signifikant süßlich, ich kann wirklich nicht beurteilen, ob diese Süße nur von den Blütenblättern im Tee kommt oder ob hier jemand zur Zuckerdose gegriffen hat, Anklänge an den Old Tom von Tanqueray sind jedenfalls nicht zu leugnen. Insgesamt muss man sagen, dass dem Lebensmitteltechniker Max Kirchner und dem Brenner Paul Maier von Ziegler hier wirklich ein rundes, stimmiges, innovatives Produkt gelungen ist, für das +/- 40 EURO pro Flasche fair sind und das sich damit im gemäßigten mittleren Preissegment für Gin bewegt.
95% Prozent aller neuen Gins, die seit Jahren im Wochenrhythmus oder noch öfter auf den Markt geworfen werden, sind überflüssig, vollkommen überflüssig. Und die Marketing-Geschichten dazu waren zuerst nur lächerlich, langsam aber werden sie widerlich in ihren verlogenen, aus der Luft gegriffenen, frei erfundenen Fabulierungen und Wiederholungen, man kennt sie zur Genüge: Da ist zum Beispiel die Geschichte von dem lange verschollenen und wiederentdeckten großväterlichen geheimen Gin-Rezept, das der Enkel oder Urenkel jetzt plötzlich nachbrennt . Oder die Geschichte von dem kleinen, unendlich erfahrenen, handwerklichen Brenner in der zehnten Generation im tiefen Wald, mit dem städtische Hipster in jahrelanger Entwicklungsarbeit einen neuen, kolossalen, grandiosen Gin kreiert haben, auf den die Welt schon immer gewartet hat. Oder die Geschichte vom regional verwurzelten Gin, der eigentlich schon immer in der Region gebraut wurde, in Vergessenheit geriet und just jetzt wieder auflebt. Dann die Geschichten von den regionalen Kräutlein, die den Gin so besonders machen, da kippt man Hopfen, Waldmeister, Tannennadeln oder Riesling in den Grundalkohol, und nennt das dann Münchner, Berliner, Schwarzwald oder Saar Gin. All diese Geschichten haben eines gemeinsam: sie sind großes, verficktes, widerliches Marketing-Blubb, und ganz oft wird dabei mehr in die Entwicklung und Ausschmückung Geschichte als in die Entwicklung des Produkts selber investiert. Nicht so die Zieglers aus Freudenstadt. Da ist keine große Marketinggeschichte um den GinT aufgebauscht worden. Hier sagen ausgewiesene Destillier-Fachleute einfach: „Wir hatten eine Idee, haben ein wenig rumexperimentiert, und hier ist das Produkt.“ Punktum. Und allein, dass um den GinT herum keine Lügenmärchen erzählt werden, macht ihn sympathisch. Das Produkt selber ist eine Gratwanderung: handwerklich perfekt gekonnt – ja; innovativ, wirklich neu und nicht nur ein Kräutlein dazu geworfen und guru-guru gerufen – ja, ebenfalls; lecker – bedingt, trotz der Süße, sowohl pur als auch als Martini Cocktail gut trinkbar, als Gin Tonic braucht der GinT ein wirklich leichtes Tonic-Wasser, sonst wird’s rasch zu viel des Guten, zum Beispiel ein Dr. Polidori’s Dry Tonic Water oder das Golden Monaco Tonic Water aus Goldenen Bar in München, selbst ein einfaches Schweppes tut’s hier, und doch habe ich die Befürchtung, dass man dieses spezifischen Geschmacks recht schnell überdrüssig werden kann, nachdem die erste Begeisterung verflogen ist. Man wird sehen, meine Flasche ist noch ¾ voll.