Gasthof Wittmann in Neumarkt/Oberpfalz: Sorry, aber große Klappe und kulinarisch nix dahinter …

Summa summarum: ordentliche Zimmer in rustikaler Umgebung in der tiefen Provinz, gute Bedienung, ordentliches Fleisch in meist lausiger Zubereitung mit ebenso lausigen Beilagen, aber marketing-kräftiges Tam-Tam drum herum.

 

Neumarkt in der Oberpfalz, nicht gerade Mekka der Feinschmecker, Hot Spot der Party-Szene oder touristisches high-end hide-out. Hier tickt das Leben noch anders. Obwohl Mittelzentrum, tragen viele Burschen hier Samstagabend noch Lederhose, die Mädels Dirndl, die jungen Weibspersonen treffen sich gackernd zu einem Eisbecher beim Italiener am Stadtplatz, die Jung-Monna trinken das eine oder andere Bier im Oberen Ganskeller, später in der Nacht werden sie gewiss noch zueinander finden. In wenigstens zwei Kneipen gibt es Live-Musik, Rums-Ta-Ta im Mittleren Ganskeller samt Schwof mit Anfassen, Yea-yea-yea in der Bahnhofstraße. Die Huddels-und-Muddels, Olivers, K+L’s und wie sie alle heißen mögen haben den lokalen Einzelhandel noch nicht komplett platt gemacht und übernommen, es gibt zahlreiche einheimische Geschäfte, sogar wenigsten zwei deutsche Gemüsehändler (ein Marktsegment, das sonst gemeinhin kampflos den südländische Neubürgern überlassen wird), und in der gesamten Innenstadt keinen einzigen Mc-Kotz (glückliches Neumarkt). Kulinarisch gibt es die witzige „Perlenkette“ von Oberem, Mittleren und Unteren Ganskeller entlang der Markstraße, quasi von ehemaligem Nord- zum Süd-Stadttor, das Lehmeier, das Mehl, neuerdings das Weißglut und die W3-Lounge am Maybach-Museum (ja, Neumarkt hat in der Tat ein – für provinzielle Verhältnisse – stattliches Maybach-Museum), aber die sind hier allesamt nicht das Thema.

An das Ohr des Grantlers drang die Kunde von einem famosen Gastronomen, dem Metzgermeister Norbert Wittmann, in eben jenem Neumarkt in der Oberpfalz. Familienbetrieb in der zweiten Generation, Der Feinschmecker, Guide Michelin und Slow Food lassen sich zu lobenden Erwähnungen herab, beste Weißwurst ever heißt es im Netz, Metzgerei-Museum und Weißwurst-Akademie, gar eine leibhaftige Königin der Weißwurst, Original Neumarkter Münsterschinken  (kreiert 2015 anlässlich der Erhebung der Neumarkter Kirche „St. Johannes der Täufer“ zum einzigen Oberpfälzer Münster durch Bischof Gregor Maria Hanke – wo waren doch gleich die umfallenden Reissäcke in China?), zu Tode gekitzelte Schwäbisch-Hällische Bio-Schweine, Boef de Hohenlohe, Bio Wagyu, Dry Aged Beef heutzutage sowieso, das alles klingt nach fulminanten frugalen Freuden.

Fährt man von Süden kommend nach Neustadt hinein, so liegt am Rande der Innenstadt linke Hand der Gansbräu mit seinem einladenden Biergarten, dahinter beginnt das recht schöne, historische, weitgehend unzerbombte, verkehrsberuhigte Zentrum des Städtchens, instinktiv zieht es den Reisenden dorthin, denn alldorten vermutet man die authentischen einheimischen Gasthäuser und Hotels.  Aber diesmal weit gefehlt, der Gasthof Wittmann liegt rechter Hand, Richtung Bahnhof. Die Bahnhofsstraße wird gesäumt von ein paar kleineren historistischen und neoklassizistischen Bürgerhäusern, dazu gesichtslose, funktionale Neubauten, und dazwischen gänzlich unscheinbar Metzgerei und Gasthof Wittmann, dominiert von den großen Schaufenstern der Metzgerei, fast übersieht man die Tür zum Gasthof auf der rechten Hausseite. Der Eingangsbereich ist düster, eine kleine Rezeption neben dem stattlichen Schanktresen, dahinter die Küche, Tageslicht dringt allein durch die Wanddurchbrüche zum Anbau herein, eine Art verglaster Wintergarten unmittelbar neben dem Parkplatz. Es riecht nach … Blut, ein Geruch, der fremd geworden ist in unserer antiseptischen Zeit, in der wir Fleisch und Wurst in klinisch sterilen Umgebungen – sei es die Metzgerei, sei es die Verkaufsstelle, sei es der Supermarkt, sei es die Selbstbedienungstheke mit eingeschweißtem totem Tier – kaufen, in denen nichts daran erinnert, dass für das leckere Steak ein Rind getötet, ausgeweidet und zerlegt werden muss, diesen Teil des Fleischgenusses blenden wir zumeist aus, und die Konsumindustrie tut das ihre, uns dieses Ausblenden so leicht als möglich zu machen. Nicht so bei Wittmann, hier riecht man eben, dass im hinteren Teil des Gebäudes bis auf den Tag gemetzelt wird, früher war dieser Geruch selbstverständlich, heute  ist das ungewohnt, aber nicht schlecht oder abstoßend, authentisch halt. Wo Feuer ist, da ist auch Rauch; und wo totes Tier frisch verarbeitet wird, da ist eben dieser Geruch.

Ein junger Mann in Lederhose mit nackten Waden und Haferlschuhen begrüßt uns freundlich, der Check-in ist kurz und problemlos, die Gaststube um 17:00 Uhr gespenstisch leer. Das Zimmer im ersten Stock (ohne Lift) ist mit über 30 qm erfreulich groß, nur in das funktionale, nachträglich eingebaute kleine Bad passen zwei Personen nicht gleichzeitig rein, aber die Basisc sind da, mit Dusche, Handtuchwärmer, Fön, zwei Seifenspendern an der Wand, sonst keine Pflegeartikel, Handtücher von der Marke Rau & Kratz, aber alles blitzsauber. Möbel funktional, neuwertig, ordentlich, Schreibtisch mit zwei Steckdosen, super Matratze (wirklich richtig gut), weiße Leinenbettwäsche, sauberer Teppichboden, kleiner Flatscreen, Minibar wird nur auf Wunsch aufgefüllt, aber eine Flasche Mineralwasser auf Kosten des Hauses – soweit ist das Zimmer nicht nur ok, sondern für ein Drei-DEHOGA-Sterne-Haus ziemlich gut. Wäre da nicht das einzige Fenster, das direkt auf eine Art Dachgarten mit Lounge-Möbeln aus Ratan-Imitat und Feuerschale unter einem Dach aus durchsichtigem Wellplastik, gehalten von einer grob gezimmerten Holzkonstruktion hinausgeht. Jeder in diesem Dachgarten kann direkt durch das Zimmerfenster schauen bzw. hineinklettern, und Dank des Wellplastik-Daches ist das Tageslicht im Zimmer stets düster-diffus, wie an einem wirklich grauen, nebligen Tag kurz vor Sonnenuntergang. Nun ja, die Vorhänge sind von guter Qualität und verdecken die Aus- und Einsicht gut, und eigentlich brauchen wir das Zimmer ja nur zum Schlafen, hoffentlich zum trägen, wohligen in’s-Bett-Fallen nach trefflichem Schmaus.

Trefflicher Schmaus, nun ja, das hat sich herausgestellt, ist so eine Sache im Gasthof Wittman in Neumarkt in der Oberpfalz, trotz des vielfach veröffentlichten Lobes. Zuerst einmal muss man wählen, ob man in den düsteren, fensterlosen Eingeweiden des Hauses Platz nehmen möchte oder in dem erwähnten Wintergarten-artigen verglasten Anbau direkt neben dem Parkplatz. Platz ist allemal, denn der Gastraum ist am einem Freitagabend gähnend leer, ebenso am darauffolgenden Samstag, gerade mal drei Tische sind besetzt, ein älteres Ehepaar Teilt sich eine Portion Lachs mit hausgemachten Kartoffeltalern, drei Handwerker, noch in Berufskleidung, essen Schnitzel mit Pommes, einer von ihnen, mit Schlägerkappe und vielen Tattoos an den kräftigen Oberarmen, zeigt seine Funke herum und gibt dabei zu verstehen, dass dies ein Photo seiner Exexexexexexex-Freundin sei, seine Kumpel pfeifen anerkennend, und man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, welcher Natur das Photo wohl sein mag, weiter hinten im Lokal füllt sich ein Tisch mit einer Rentnerrunde, die allesamt nichts essen, sondern nur ein, zwei Bierchen trinken, der Lautstärkepegel ihrer Gespräche lässt vermuten, dass sie allesamt ihre Hörgeräte daheim vergessen haben. Später kommen noch ein dänisches Paar, wohl auf der Durchreise und zwei Freunde des Hauses, die mit Bussi-Bussi begrüßt werden, sonst ist nicht viel los im Gasthof Wittmann. Gut so, denken sich die hungrigen Reisenden, dann haben Küche und Service mehr Zeit für uns. Wie herzerfrischend naiv … Die Bedienung ist tatsächlich den gesamten Abend flott, freundlich, aufmerksam, da beißt die Maus keinen Faden ab. Aber das Essen, das Essen …  Das Tartar vom Hohenloher BIO Weideochsen ist tadellos frisch durchgedreht, mit ganz leichtem Fettanteil, aber es kommt bereits als angemachter Fleischquader an den Tisch, penetrant süßlich im Geschmack, gebettet auf einen Riesen-Flatschen verschmierten Senfs (wozu genau das? Tartar mit Senf? oder soll’s einfach hübsch aussehen, rot und gelb?), mit einer gequälten Garnitur aus Rosmarin- und Majoranzweiglein, ein paar angewelkte Salatblättchen, Zwergtomaten-Vierteln und  vertrockneten Schnittlauchöllchen obendrauf, auf dem Teller die heute wohl unverzichtbaren braunen Schmieren von industriellem Balsamico-Essig-Creme-Imitat, die wohl irgendwie als „schick“ gelten und doch nur nach verschmierter Scheiße aussehen. Butter dazu abgepackt, unstreichbar kalt-hart, mäßiges Labberbrot. „Oma ́s beliebte Gulaschsuppe vom Ochsen mit Holzofenbrot in unserer BIO METZGEREI auch im Glas erhältlich“ (Original-Zitat Speisekarte) stammt ganz gewiss rasch aufgewärmt aus Letzterem und entpuppt sich als dickliche, süßliche, braune Pampe mit winzigen, verkochten Fleischstückchen, Kartoffelwürfeln und Paprikastreifen und … guess what: vertrockneten Schnittlauchröllchen als Garnitur. Also, entweder konnte Oma Wittmann ganz und gar nicht kochen oder hier wird mit ihrem Erbe gehörig Schindluder getrieben. Das Schnitzel Wiener Art sind zwei Handteller-große Stückchen guten Schweinfleisches, saftig, fett- und sehnenfrei, guter Eigengeschmack, in einer blassen, fettigen, am Fleisch klebenden Panade, dazu kurz in die Fritteuse geworfene TK-Pommes; selbst der billigste Ketchup kann dieses Gericht nur noch aufwerten. Die hausgemachte Bratwurst im Kunstdarm, gute Körnung, hoher Fettanteil, total unterwürzt bis geschmackfrei, gut gebräunt, auf ordentlichem Sauerkraut (das ja bekanntlich durch wiederholtes Aufwärmen nur besser werden soll). Besser soll die Weißwurst sein; da ich – auch nach 30 Jahren in Bayern – dieses Zeugs bis heute nicht mag und insofern parteiisch bin, will ich zur Bewertung von Wittmanns Weißwurst – die angeblich eine der besten in ganz Bayern sein soll – einen unparteiischen Gewährsmann bzw. –frau heranziehen, nämlich „Rosl und Bertl’s Weißwurtsblog“ (woher die Leute nur immer die Genitive und die Apostrophen hernehmen …): „Die Weißen sind unvergleichlich. Helle Marmorierung mit ausreichender Petersilienverteilung. Feine Brätnote in der Nase. Kein fremder Rest. Leichter Zitrusanklang(!). Flaumig, wollige Textur. Nichts (mehr) für Zuzler. Die Würze ist perfekt ausgewogen. Und natürlich geht es ohne Geschmacksverstärker! Note 1. Solche Weißwürste sind fast einzigartig im weiß/blauen Land und sind schlicht und einfach als genial zu bezeichnen.“ (Und da sage jemand nochmal, ich hätte eine blumige Sprache!) Nicht nur pur gibt es diese kulinarische bajuwarische Ikone beim Wittmann, es gibt eine ganze Weißwurstkarte mit kuriosen Gerichten wie Suppe, Carpaccio, Ragout, Gröstl oder Schnitzel von der Weißwurst. Na ja, wer’s mag … Ein Desaster dann schließlich das in der Speisekarte mit viel Tam-Tam avisierte Böfflamott: eine verkocht-faserige, gänzlich geschmackfreie  Scheibe toter Kuh in einer dunkelbraunen, dicklichen, Mehl- und Glutamat-schwangeren, süßlichen Sauce, bedeckt mit zwei großen Löffeln billiger, süßer Preiselbeermarmelade, garniert mit – Gesetz der Serie – vertrockneten Schnittlauchröllchen; wenn dieses Machwerk frisch gekocht aus dem Reindl auf den Teller kam, so will ich Hieronymus geheißen werden. Der begleitende Semmelknödel dazu angetan, aus einer Kanone abgefeuert so ziemlich jede Wand in Schutt und Asche zu legen; außerdem hatte ich testhalber einen Kartoffelkloß und eine Georgsnocke – welch ominös-verlockender Name – bestellt: Kartoffelkloß aus rohen Kartoffeln, relativ grob gerieben, wie in der Oberpfalz üblich, durchaus ok; die Georgsnocke ein Klumpen frittierter, zäher Kartoffelbrei mit deutlicher Muskat-Note, eine unförmige Monster-Krokette ohne Panade – wer braucht denn sowas? Durchaus ordentlich dann schließlich der Zwiebelrostbraten vom Hohenloher Roastbeef, gut abgehangenes, zartes, Fleisch, auf den Punkt medium-rare gebraten, die Jus dazu mal wieder süßlich (jemand sollte endlich mal die Zuckerdose verräumen, in der Küche vom Wittmann, zefix!), die – tatsächlich hausgemachten – Reiberdatschi unförmige, fette Kartoffel-Flatschen.

Das Frühstück, um dies auch noch zu erwähnen, ist so la-la. Ordentliche Marmelade, kleines Wurst- und Käse-Angebot aus der hauseigenen Metzgerei, dazu Convenience-Grausamkeiten in Öl (mit Frischkäse gefüllte Mini-Paprika, Artischocken, getrocknete Tomaten), Tetra-Pack-Säfte, kein frisches Obst, die Brötchen sind billige Backlinge, am Sonntag gibt’s aufgebackene aufgebackene Backlinge, Eierspeisen à la minute, und auf Wunsch – das finde ich wiederum sehr gut – alle Arten von Würsten aus der angrenzenden Metzgerei – Wiener, Weißwurst, Debreziner, … – frisch erwärmt auf den Frühstückstisch, schließlich Blümchenkaffee, der selbst mit einem zusätzlich reingekippten Espresso noch immer Blümchenkaffee bleibt. (Wer in Dreiteufelsnamen mag diesen Kaffeevollautomaten eingestellt haben, so dünnen Kaffee zu produzieren? Ein Schotte?)

Da sind wir nun 150 Kilometer erwartungsvoll gefahren, um einfach nur lausig zu essen. Ärgerlich.  Sehr ärgerlich. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Gasthof über ein hauseigenes Weißwurst- und sogar über ein „Bayrisches“ Metzgereimuseum auf der Rückseite des Gebäudekomplexes verfügt, marketing-wirksame 140 Quadratmeter mit ein paar ausrangierten Fleischer-Maschinen und ein paar alten Doku-Filmchen zum Metzger-Handwerk. Sogar eine eigene, autochone Weißwurst-Königin hat man sich allhier gebastelt … äh, erkoren, es gibt Tagungs-Fazilitäten mit Beamern, Tagungs-Pauschalen und Team-Building-Events mit gemeinsamer Weißwurstherstellung und –verkostung unter sachkundiger Anleitung des Herrn Metzgermeisters Norbert Wittmann. Lassen Sie es mich so ausdrücken: wenn mein Chef mich zu solch einer Veranstaltung in diesem Etablissement als Incentive einlüde, so hätte ich zweifelsohne meinen persönlichen Kündigungsgrund gefunden.

 

Metzgerei Hotel Gasthof Wittmann GmbH
Bahnhofstraße 21
92318 Neumarkt
Telefon: 09181/907426
Telefax: 09181/296187
E-Mail: info@hotel-wittmann.de
Internet: www.hotel-wittmann.de

 

Hauptspeisen von 10,50 € (Schweinsbraten) bis 18,00 € (Zwiebelrostbraten)

 

Übernachtung im Doppelzimmer mit Frühstück von 112 bis 250 € (pro Zimmer)

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