Die Zeit geistert in Freudenberg

Die Entwicklung – oder sollte ich schreiben den Niedergang? – der einst legendären Brennerei Ziegler in Freudenberg in Churfranken beobachte ich nun schon etliche Jahre. Im August 2017 schrieb ich noch „So gänzlich unprätentiös gibt sich Deutschlands vielleicht beste Brennerei“, im März 2019 warnte ich „Ziegler: dem Vermarktungstod nahe“, und im Februar letzten Jahres klagte ich dann „Wieder ein Stück töter …: die regionale Traditionsmarke und die Juppies“. Seitdem die Truppe um Andreas Rock in Freudenberg am Ruder ist, hat sich sehr viel geändert. Die Webpage des Unternehmens liest sich zwischenzeitlich wie ein Bullshit-Bingo mit populären Versatzstücken aus der Mainstream-Meinung: „Qualitätsdenken und traditionelles Handwerk“ steht da, ja, das ist gut, aber dann geht es weiter „Als Gestalter und Vordenker umarmen wir das Individuelle, das Anderssein.“, „Wir sehen uns als Botschafter eines mit Liebe gepflegten Kulturguts.“, „Für Ziegler ist Nachhaltigkeit kein Lippenbekenntnis, sondern gelebte Wirklichkeit.“ Für mich ist das alles zeitgeistiges Marketing-Sprech pur.

Womit wir beim eigentlichen Thema wären: Zeitgeist, so heißt das neuste Produkt aus dem Hause Ziegler, ein Aperitif aus heimischem Obst und Kräutern, „Quasi ein Lebensgefühl in Flüssigform. Unsere Gesellschaft verändert sich: wird noch bunter, noch offener und immer weniger bitter.“ Mit dieser Mixtur verlässt Ziegler erstmals das konsequente Hochpreis-Segment. Meine Flasche Zeitgeist habe ich von der Werbe-Palette beim Billig-Discounter erstanden, für 16,99 EURO (24,27 EURO pro Liter). Billig muss ja nicht zwangsläufig schlecht sein, aber für mich ist das Marken-Harakiri, ich meine, so einen Schmarren trägt die altehrwürdige Marke Ziegler nie und nimmer, sondern er beschädigt sie nachhaltig. Nach einem Öko-Sermon von „natürliche Zutaten“, „klimaneutral“, „Recyclingglas“, „Graskartons“, „nachhaltig“ schreiben die Macher auf ihrer Webpage: „Der einzige Müll, den wir produzieren werden, sind die Barkarten der Republik, die neu geschrieben werden müssen.“ Also, ich habe bei meinen nicht gerade seltenen Besuchen von Cocktailbars mal bewusst darauf geachtet: ich habe den Zeitgeist außer beim Billig-Discounter noch in keinem Bar-Regal, noch auf keiner Bar-Karte gesehen. Sei’s drum, vielleicht war ich ja in den falschen Bars.

Jenseits der Markenführung und des zeitgeistigen Marketing-Sprechs, was kann er denn, der Zeitgeist? „Kirsche. Apfelblüte. Stachelbeere. Ringelblume. Heimische Zutaten. Direkt von den Wildwiesen der Republik.“ enthält er, zarte 15 Prozent bringt er mit, in einer unscheinbaren, wenig wertigen Flasche kommt er daher, mit giftgrünem Etikett, grün ist dieser Tage per se immer gut. Pur geht der Zeitgeist für mich überhaupt nicht, weder mit noch ohne Eis, mich erinnert er an in Wasser aufgelöste Gummibärchen mit einem ordentlichen Schuss Rindergalle. Als Longdrink mit Soda ist er für mich auch nicht besser, maximal in einem Mischungsverhältnis von 1 zu 10 oder 15, so als unterschwelliges Aromat im Wasser. Früchte helfen hier auch nix, außer vielleicht ein paar Heidelbeeren oder leicht angedrückte Schwarze Johannisbeeren, die dieser bitteren Gummibärchenbombe etwas entgegensetzen können. Tonic verhunzt dieser Zeitgeist für mich ebenso wie einen Crémant oder einen trockenen Weißwein.

Für mich nehme ich aus meinem Zeitgeist-Tasting zwei Dinge mit. Erstens: je mehr verdünnt, desto besser bzw. desto weniger schlecht. Zweitens: ja, der Zeitgeist aus Freudenberg entspricht dem Zeitgeist in der Republik, süßlich, künstlich, keinerlei Feinheiten und Nuancen, sondern einfach nur brachial, wahrscheinlich ebenso so schnell und dilettantisch zusammengestoppelt wie ein Heizungsgesetz, angepasster Mainstream-Trittbrettfahrer, ohne Wumms, alte Werte mit Füßen tretend, so überflüssig wie ein Kropf, und am Ende einfach nur billig-bitter, aber dafür – Hauptsache! – billig.

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3 Comments

    • Dieser Zeitgeist war definitiv die letzte Flasche Ziegler, die ich gekauft habe. Verraten Sie mir Ihre definitiv besseren Brennereien in Churfranken? Bin gerade in einem Dorfgasthof im Badischen und habe Gin aus Villingen-Schwenningen erstanden. Man wird davon lesen. Beste Grüße E. Opl

  1. Reinhard Daab

    Hallo Hr. Opl,

    nennen möchte ich im Grunde genommen nur eine:

    Adrian Edelbrände GmbH
    Sitz: Industriestraße 7
    Büro: Hauptstraße 31
    63920 Großheubach

    Bekannt gemacht wurde mir diese Brennerei durch einen Geschäftsmann in Miltenberg, der mit Hr. Ziegler und Hr. Adrian befreundet war. Adrian wird heute durch die Tochter geführt, eigentlich sollten Sie diese Brennerei kennen, denn es ist nicht weit weg von der Krone in Großheubach.

    Wohl bekomme es
    R. Daab

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