Die neue Widder Bar & Kitchen in Zürich

Die Meetings in Zürich hatten bis in den frühen Freitagabend gedauert, danach alte Freunde in der gerade wieder eröffneten Widder Bar treffen, nach dem Umbau jetzt „Widder Bar & Kitchen“ geheißen, nun gut, die Theke, an der zu Stoßzeiten chronisches Gedränge herrschte und offensichtlich noch immer herrscht, ist jetzt 1,5 Meter länger, es gibt einen direkten Zugang zum Hotel, das sagenhafte, nur leider in weiten Strecken kaum bezahlbare Whisky-Angebot ist geblieben, diese dämlichen Schnick-Schnack-Pseudo-Luxus-Drinks mit Trüffel und altem Rum für 3.000 und mehr Franken vom letzten Jahr sind – Gott sei Dank – wieder von der Karte verschwunden, dafür spielt jetzt die Speisekarte des über der Bar liegenden, nun durch eine breite Treppe besser erschlossenen, mit viel Show-Kitchen-Equipment vollgestopften Restaurants verrückt: das Buzz-Word lautet „Followers of Flavour“, und damit meint man heute im Widder „Saisonale Geschmacksexplorationen mit den besten Zutaten, die die globale Küche zu bieten hat.“ In den Worten des lokalen Züricher Food-Blogs HarrysDing.ch hört sich das dann so an:

„Mit dem Essensangebot hat das Widder eine mutige Wahl getroffen. Statt auf Mainstream zu setzen, beschreitet die Küchencrew einen progressiven neuen Weg – mit Sharing-Plates und einer nach Geschmacksprofilen aufgebauten Karte. Die Idee dahinter: Statt sich für eine Speise zu entscheiden, wählt man ein Geschmacksprofil. Zum Beispiel Curry, Basilikum oder Trüffel.“

Halleluja, die Küchenwelt ist neu erfunden! Naja, wenigstens sind sie lokalen Lokal-Blogger ehrlich: „Bei unserem Besuch noch vor der offiziellen Eröffnung konnten wir uns frei durch die Karte probieren.“ Wie sollte man bei solcher Gastfreundschaft des Hauses auch etwas Negatives schreiben wollen? Zumal, wenn man in anderen lokalen Häusern wieder zu derart frugalen, wohlfeilen Pre-Openings geladen werden will. Die Bar-Karte des Widder mit Clubsandwich, Tatar, Burger und Currywurst ist zum Glück weitgehend unangetastet geblieben, aber die avisierte neue „Globale Küche“ entpuppt sich als eine tour de force durch die gerade populären Küchen dieser Welt vom Grünen Curry mit Thai Basilikum über Ochsenschwanz-Ravioli mit Trüffel, Pulpo mit Chorizo, Ceviche, Sashimi vom Lachs, Dim Sum, Dal mit Okraschoten, Lamm-Tajine bis hin zu Steak und Spareribs. Das einzig Erfreuliche an diesem kulinarischen Sammelsurium ist die Tatsache, dass die meisten Gerichte nur noch zwischen 10 und 20 Franken kosten, maximal mal über 30 Franken, und das ist für Zürich geradezu phänomenal wohlfeil; andererseits, bei der Größe der Portionen braucht man auch schon vier bis fünf Gänge, bis man überhaupt ein Gefühl der Sättigung erahnt, auch nichts prinzipiell Schlechtes, aber damit wären wir in Summe wieder beim üblichen Zürcher Preisniveau. Welcher Tausendsassa von Koch diese tour de force durch die gerade populären Küchen dieser Welt tatsächlich kompetent kochen können sollte, ist mir schleierhaft. Ob Tino Staub, der seit ein paar Jahren sehr vernünftig, bodenständig und lecker in der hauseigenen Boucherie August kocht, auch für diese weltumspannende Küchen-Irrfahrt verantwortlich zeichnet, konnte oder wollte mir niemand vom Service-Personal sagen, na-ja, ich jedenfalls würde meinen Namen nicht für dieses gesichtslose Mainstream-Futter hergeben, diese heimatlose Cross-Over-Küche, die nun seit Jahren die Speisekarten hoch und runter gekocht wird, ursprünglich kommend aus den großen Hotels und Kreuzfahrtschiffen, wo die Notwenigkeit besteht, zahlende Gäste aus aller Herren Länder mit einer Karte zu befriedigen, und plötzlich unter dem Slogan cross-over zur „neuen Küchenrichtung“ und gar „Kunstform“ erhoben. Und bleibt doch Schrott. Schrott vielleicht noch nicht einmal, aber un-authentisch. Einen Leit-Geschmack oder ein Leit-Gewürz über eine Speisefolge zu stellen, ist einerseits gewiss nicht neu, andererseits gewiss nicht ehrenrührig, aber letztendlich auch nicht der Brüller: Geräucherte Rote Bete, geräucherte Entenbrust, Spareribs mit rauchiger BBC-Sauce, Pralinen mit rauchigem Whisky, Digestiv-Drink mit geräuchertem Trockenfleisch, über das ganze schreiben wir jetzt als Motto „Smoke Signs“, schreien Guru-Gur, verlangen 95 Franken dafür und alle sind glücklich … bis auf mich. Einerseits, Rote Bete mit Ziegenfrischkäse gut, Entenbrust mit Kürbiskernöl ein no-go, dazu noch harte Ente, Spareribs 08/15, BBC-Sauce zu heftig, nicht nuanciert im Geschmack, einfach nur brachial, statt Pralinen wäre mir ein Gläschen alter Lagavulin mit einem Stücklein guter Zartbitterschokolade lieber gewesen, dieser abschließende Drink schließlich aus Bourbon, Whiskey-Likör, aufgepimptem Martini Rosso und toter Trocken-Kuh geht ja nun gar nicht; andererseits, selbst wenn die Speisen durchweg gut gewesen wären, so werden fünf Gänge „rauchig“ einfach irgendwann mal ermüdend für Zunge und Gaumen, und genau hier – meine ich – ist das zweite Problem dieses Speisekartenkonzepts: systematisch durchgehalten wird es sehr rasch ermüdend und langweilig, man muss hier geradezu quer durch die Leit-Aromen essen, will man seine Zunge nicht in den Tiefschlaf versetzen.

Die Widder Bar hingegen ist immer noch unschlagbar gut, obwohl Dirk Hany die Bar Anfang des Jahres verlassen hat, um sich wieder als Promotor zu verdingen, diesmal bei Pernod Ricard; sein langjähriger Assistent David Bandak (dem seinerseits nun wieder eine gewisse Nähe zu Baccardi nachgesagt wird) macht einen guten Job, das liquide Antiquariat des Widders lässt sich so schnell nun auch nicht aussüffeln, aber vor allem die Basic-Mixgetränke sind handwerklich tadellos, das Personal flott und freundlich, die Atmosphäre ist speak easy, und wer vom Firlefanz im ersten Stock nicht satt geworden ist, der bekommt an der Bar wie vor Jahr und Tag eine Currywurst oder ein Clubsandwich.

 

P.S. Eigentlich wollte ich hier von meinem Ausflug in den Jura berichten, aber irgendwie bin ich schreibenderdings beim Vorabend des Ausflugs hängen geblieben, dabei wollte ich gar nichts über den neuen Widder nach der Wiedereröffnung schreiben (daher auch keine Photos gemacht), bevor ich nicht zwei-, dreimal dort war, aber sei’s drum, man nehme es als „vorläufige Eindrücke“. Vom Jura demnächst mehr …

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