Summa summarum: Uraltes, gepflegtes, authentisches, nicht kitschiges Gasthaus mit echter Patina mitten im hübschen Städtchen Dinkelsbühl, mit einigen historisch-stilvollen, ansonsten 08/15 modernen, funktionalen Zimmern und einem recht gemütlichen Restaurant mit teils anspruchsvolleren, recht ordentlich gemachten internationalen Gerichten und zum anderen Teil solider fränkischer Hausmannskost.
„Ein schönes Paradies. Zum Kotzen schön.“ Mit diesen Worten haderte der Großstadtmensch Otto Dix mit seinem Exil am Bodensee, nachdem ihn die Nazis 1936 aus Berlin vertrieben hatten. Ähnliches könnte man glatt auch über das Mittelfränkische Städtchen Dinkelsbühl sagen. Hier kreuzten an einer Furt über das Flüsschen Wörnitz die Handelswege Ostsee-Italien und Worms-Krakau, 1130 begannen die Staufer, die Stadt zu befestigen, im Heiligen Römischen Reich erlangte Dinkelsbühl Reichsunmittelbarkeit, 1802 verleibte sich das Kurfürstentum Bayern die Reichstadt ein, verschont vom Bombenterror hat Dinkelsbühl bis heute ein außerordentlich gut erhaltenes und dazu auch noch gepflegtes mittelalterliches Stadtbild. Das zieht natürlich reichlich Touristen an, wobei Dinkelsbühl nicht so überlaufen und mittlerweile künstlich ist wie das nochmals idyllischere, benachbarte Rothenburg, in Dinkelsbühl spielt sich auch noch echtes, einheimisches Leben ab, mit Bäckern, Metzgern, Reinigungen, trotz der großen Anzahl von Gastronomiebetrieben fehlen hier die Buden für Tinnef, Kitsch, Tand und Reiseandenken. Das alles macht den Ort sehr schön, und trotzdem muss ich unvermittelt an Otto Dix denken. Aber, nun gut, ich bin ja auch nicht dauerhaft nach Dinkelsbühl verbannt und muss meinen Lebensmittelpunkt nicht hier haben, für dann und wann ein, zwei Tage taugt das Städtchen schon. Die Altstadtgassen hat man in ein paar Stunden komplett abgeklappert, man kann dann vielleicht noch das Wörnitzbad oder das kleine Museum der 3. Dimension mit teils verblüffenden Anaglyphen besuchen oder in Straßencafés und Gastwirtschaften bei Cappu, Bier, Schäufele, Tageszeitung und Buch die Zeit vertrödeln. Aber dann hat sich’s auch schon bald mit den Attraktionen.
Historisch-stilvoll-rustikal nächtigen kann man in Dinkelsbühl im Meiser’s Hotel am Weinmarkt oder vis-à-vis im Deutschen Haus oder um die Ecke im Hezelhof, wobei ich den Hezelhof trotz alter Bausubstanz nicht so mag, innenarchitektonisch finde ich ihn ziemlich verhunzt, und die Küche gibt sich internationalistisch Burger-Steak-Einerlei-mäßig. Im Meiser’s wird die erschlagende Tristesse des Speisesaals wettgemacht durch einen netten Freisitz, wohl die meisten Zimmer sind hier mit historischen Möbeln und modernen Bädern und Technik bestückt, nur leider ist die Speisekarte ein gesichtsloses, sich dem internationalistischen Einheitsgeschmack prostituierendes Machwerk von Thay-Curry-Suppe über vegane Teigtaschen, Surf&Turf, Burger, Panzerotti, Käsespätzle, Dry Aged Steak, Weißwürsten bis hin zu Zwiebelrostbraten, das ist so individuell und originell wie ein All-you-can-eat Buffet in einem türkischen Drei-Sterne-Massentourismus-Hotel. Ich bevorzuge daher bei Aufenthalten in Dinkelsbühl seit Jahren ohne Reue das Deutsche Haus, ein wahrlich historisches Gebäude aus dem Jahr 1440 mit einer prächtigen Spätrenaissance-Fachwerk-Fassade. Die Halle mit kleiner Rezeption und großem Schank-Stehtisch und daneben der Speisesaal im Erdgeschoss sind … irgendwas zwischen düster und heimelig, dunkles Holz, vertäfelte Wände, üppige, historisierende, aber nicht kitschige Decken- und Wandmalereien, alte Stein- und Parkettfußböden, kleine Butzenscheiben, kein Lift, dafür eine uralte knarzende Treppe, große Flure in den oberen Stockwerken, sogar samt echter Ritterrüstung, die Zimmer im Stammhaus sind tatsächlich mit schönen alten Möbeln, aber modernen Bädern ausgestattet, in einem Nebengebäude, das man über eine recht abenteuerliche Mischung aus Balkon und Wehrgang außerhalb des Hauses im ersten Stock erreicht, gibt es modernere Allerwelts-Systemmöbel-Zimmer, nicht wirklich gemütlich, aber funktional und sauber und meist mit hübschem Ausblick auf alte und uralte Bausubstanz. Zusätzliche Annehmlichkeiten wie SPA, Schwimmbad, Bar, Kaminzimmer, Gastgarten gibt es im Deutschen Haus nicht, aber im Sommer stehen vor dem Hotel Tische auf dem Trottoir, man ist sofort mitten im Städtchen mit prallem Kleinstadt-Leben und in fünf oder zehn Gehminuten ist man auch schon an der alten Stadtmauer und in den Wörnitz-Auen (so winzig ist das Kaff).
Im Haupthaus des Deutschen Hauses kann man historisch-stilvoll nächtigen, im Nebenhaus dann eher funktional-08/15-Standard-mäßig und etwas wohlfeiler. Wirklich nett ist dazu das Restaurant des Hauses. Wo sich die meisten anderen Gaststätten des Touristen-Örtchens mit internationalem Scheiß und pseudo-regionalem Nepp geradezu überbieten, wird im Deutschen Haus tatsächlich richtig gekocht, was man zuerst daran merkt, dass hier nicht nur Reisende, sondern offensichtlich auch die örtliche Hautevolee, der Lions Club und der gemeine Dinkelsbühler als solcher gerne und reichlich speisen, ohne Reservierung geht hier oft gar nichts. Es ist eine alte, traurige Wahrheit, dass Touristen-Lokale sehr oft / meist zu miesem, überteuertem Fraß neigen, alldieweil die Kundschaft entweder ohnehin nur auf der Durchreise ist nicht wieder kommt oder weil das Pauschal-Touristen-Publikum auf miesen Fraß steht. Lokale hingegen, die auf Dauer auch von Eingeborenen frequentiert werden, liefern in der Regel eine Qualität und vor allem value for the money, das kann ein faires Schnitzel mit Pommes sein, das kann auch gehobene Küche sein, jedenfalls kommen die Gäste wieder alldieweil sie zufrieden waren. Im Deutschen Haus in Dinkelsbühl liefert Florian Kellerbauer sicherlich gehobene Küche, empfohlen vom Slowfood Convivium Nürnberg, mit einem Bib Gourmand vom Guide Michelin, 2 Diamanten vom Varta Führer, je 4,5 Punkten bei tripadvisor und yelp, aber Gusto und Gault&Millau ignorieren das Haus, nun gut.
Die Speisekarte ist zweigeteilt, in den Abschnitt „Leidenschaft“ und den Abschnitt „Heimat“. Unter „Leidenschaft“ lebt ein Koch seine Profession und Kunst aus, z.B. Krustentierravioli und gebratener Jakobsmuschel mit Hummerkokosschaum, Gurkenrelish und Kichererbsen, oder Atlantik Seezunge an der Gräte gebraten mit Gemüse von Erdartischocke, Winterspargel und Knollenziest, Zitronenschalencreme und Beurre Blanc, oder Rosa braisierter Hüfte, Haxe und Leber von Rhönlamm mit bunten Linsencurry, Paprikareduktion und Zitrone. Das ist durchaus anspruchsvolle Küche. Die Seezunge war tadellos, knackige Gemüse, die Zitronenschalencreme geschmacklich gewöhnungsbedürftig. Der Trüffeljus zum gefüllten Ochsenschwanz ziemlich genial, das ganze Gericht mit Petersilienwurzelpüree und kleinen Möhren sehr stimmig und komplex.
Aber – muss ich zugeben – ich esse selten aus dem Abschnitt „Leidenschaft“, wenn ich schon in Franken bin, dann widme ich mich mit ganzer Leidenschaft dem Abschnitt „Heimat“ auf der Speisekarte, und dort geht es eher unspektakulär, un-gehoben, bodenständig zu, aber das durch die Bank weg aus guten, meist regionalen Zutaten und sehr gekonnt zubereitet. Gebackener Milchner vom Karpfen (das ist das Karpfen-Sperma, falls es jemanden interessiert) und gebratene Blutwurst als Amuse Gueule ist einerseits sicherlich super-regional, andererseits aber nicht wirklich mein Ding; Caro jedenfalls hat’s geschmeckt und sie hat meine Portion zum Glück gleich noch mit verdrückt. Ich habe mir stattdessen eine einzelne fränkische Bratwurst vorweg bestellt (obwohl auf der Speisekarte eigentlich 2 Stück angeboten werden war es kein Problem, nur eine zu bekommen, auch keine Selbstverständlichkeit), die Bratwurst selber grob, sehr deutliche Majoran-Note, einfach lecker, das Sauerkraut dazu sensationell, die Bratkartoffeln ok für bayrische Verhältnisse, aber eigentlich überflüssig, schließlich richtig guter, richtig scharfer frisch geriebener Meerrettich: so fängt ein Essen doch mal gut an. Tafelspitzbrühe mit selbst gemachten Flädle tadellos, gebackene Karpfenstücklein mit Kräuterschmand ebenfalls, Kartoffel-Feldsalat hätt’s dazu für eine Vorspeise nicht gebraucht, schon gar nicht mit geschmacklich dominantem Kürbiskernöl. Der gesottene Karpfen hervorragend, endlich mal nicht muffig (wie sonst so oft), Gemüse noch knackig, Kartoffeln in Butter geschwenkt, frischer Sahnemeerrettich und nicht dieses Glas-Zeugs, alles ziemlich süßlich abgeschmeckt, typisch fränkisch halt. Süßlich abgeschmeckt auch der sehr leckere Sauerbraten, gutes, mageres, mürbes, zartes Fleisch, gute Soße, selbst gemachte Kartoffelknödelchen, da macht regionales Essen Spaß. Ob die Spätzle zu dem ebenfalls guten Rehragout mit einer gehaltvollen Soße tatsächlich selber gemacht waren, würde ich hingegen bezweifeln. Dafür aber zum Abschluss ein sensationell fluffig-schokoladiges Schokoladen Soufflé auf Zitrusfrüchtenfilets und Pistazieneis und tatsächlich selbst gemachte Apfelküchle mit selbst gemachtem Vanilleeis, sowas macht Spaß. Dazu eine kleine, kluge Weinkarte mit Schwerpunkt auf heimischen Weinen und frisch gezapftes Dinkelsbühler Bier.
Ich finde diesen Split der Speisekarte in „Leidenschaft“ und „Heimat“ gut und clever. Wenn ich als Reisender nach Franken komme, brauche ich nicht zwangsläufig Jakobsmuscheln oder Graupenrisotto mit Büdnerfleisch und Hummerschaum, dann ist mir in der Regel nach gut gemachter regionaler fränkischer Küche mit Bratwürsten, Schäufele, Karpfen, Meerrettich und Spargel. Andererseits, wenn ich als Apotheker oder Fabrikdirektor oder Bürgermeister als örtlicher Honoratior auf Dauer in Dinkelsbühl festsäße, so würden mir Bratwürste, Schäufele, Karpfen, Meerrettich und Spargel mit ziemlicher Sicherheit recht bald aus dem Halse hängen und ich würde verstärkt nach Jakobsmuscheln oder Graupenrisotto mit Büdnerfleisch und Hummerschaum verlangen, allein der Abwechslung wegen. Vor diesem Hintergrund ist die Speisekarte vom Deutschen Haus sehr schlau gemacht, und führt auch bei den Gästen zu einem angenehmen Mix aus Einheimischen und Fremden.
Deutsches Haus
Florian Kellerbauer
Weinmarkt 3
91550 Dinkelsbühl
Tel: +49 (98 51) 60 58
Fax: +49 (98 51) 79 11
Email: info@deutsches-haus-dkb.de
Online: www.deutsches-haus-dkb.de
Hauptgerichte von 8,50 € (2 Bratwürste mit Kraut und Bratkartoffeln) bis 32,50 € (Seezunge mit Gemüsen und 2 Saucen), Drei-Gänge-Menue von 22,50 € bis 63,30 €
Doppelzimmer mit Frühstück (pro Zimmer, pro Nacht) 107 € bis 161 €