Deutsches Beefsteak

Heute leben wir ja in einer Zeit des Steak-Fetischismus. Man überschlägt sich gerade mit Kuh-Rassen, deren Herkunftsländern und Haltung, aus denen dann, nachdem sie totgemacht wurden, die begehrten Steaks geschnitten werden. Dann die Fragen aus welchem Teil tote Kuh die Fleischfetzen mit welchem Cut herausgeschnitten werden – Filet, Hochrippe, Roastbeef, Hüfte, Oberschale, Hochrippe, Blume, Bauchlappen, Zwerchfell, sogar Kronfeisch – und wie man die Chose schließlich nennt: Chateaubriand, Clubsteak, Delmonico-Steak, Entrecôte, Entrecôte Château, Entrecôte double, Filet mignon, Filetsteak, Flanksteak, Hochrippenkotelett, Hüftsteak oder Huftsteak, Kluftsteak, Porterhouse-Steak, Prime-Rib-Steak, Rib-Eye-Steak, Rumpsteak, Sirloin-Steak, Skirtsteak, T-Bone-Steak, Tenderloin-Steak, Tomahawk Steak, Tournedos. Und wahrscheinlich habe ich noch längst nicht alle möglichen Bezeichnung und Arten von Steaks aufgezählt. Es geht weiter mit der Reifung – frisch, einfach nur abgehangen, Vakuum oder nicht, dry aged, wet aged. Erst dann folgt die Frage der Zubereitung: Marinade (trocken oder feucht) oder nicht, Sous vide oder nicht, Pfanne (welche Art von Pfanne?), Grill, Beefer oder Ofen, welche Würzung vorab, welche nachhinein, welche Temperatur beim Gerät, welche Bratdauer, schließlich welche gewünschte Kerntemperatur bei dem toten Stück Kuh und welcher Gargrad. Zuweilen könnte man schon meinen, diese Steak-Fetischisten haben ein gehöriges Rad ab.

Mein Problem mag dabei sein, dass ich Steak nicht sonderlich mag, und schon gar keinen blutigen, halbrohen, Sehnen- und Fett-durchzogenen Fetzen – diese gerade gehypten Flanksteaks – oder blank geschabte Kuhrippen größer als mein Teller – diese albernen Tomahawk-Steaks –, aber auch ein medium gebratenes Filetsteak oder Roastbeef löst keine Begeisterungsstürme bei mir aus. Man isst’s halt. Das Beste am Steak sind die Beilagen, und ich meine damit bestimmt nicht Salat, sondern vielleicht ein Pfeffersößchen mit frischem Baguette oder eine Ofenkartoffel mit Sour Cream, dann kriegt man das Fleisch auch runter, wenn es von halbwegs guter Qualität ist und halbwegs ordentlich zubereitet. Aber um ehrlich zu sein, wenn ich die Wahl habe zwischen einem Steak und einer Ofenkartoffel mit Sour Cream oder statt dessen nur zwei ordentlichen Ofenkartoffeln mit ordentlicher Sour Cream, ich nehme dann lieber die beiden Kartoffeln. Mein Problem mit Steaks dürfte aus meiner Kindheit stammen. In den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts waren in meiner Heimat Steaks eine Seltenheit, sowas aßen höchsten die ganz reichen Leute. Als Nordhesse aß man Schweinkottelet, Gulasch, Gepökeltes, Suppenfleisch, Braten, Innereien, natürlich Gehacktes, und Fleischgerichte gab es sowieso nur zwei-, maximal dreimal die Woche. Irgendwann – wohl inspiriert auf eine der zahlreichen Reisen meiner Eltern – begann meine Mutter, Steaks für uns zu braten, oder zumindest das, was sie damals für Steaks hielt, nämlich knapp fingerdicke Scheiben vom Roastbeef, die ordentlich geklopft wurden, um das Fleisch weich zu machen und die sie sodann in der Pfanne solange briet, bis sie gut durch waren (und das in einem Landstrich, wo schon Kleinkinder bedenkenlos mit rohem Schweinefleisch in Form von Gehacktem gefüttert werden), sie sich ob der Fettschicht bogen und im Inneren beim Aufschneiden gräulich waren. Als (Sättigungs-) Beilage gab es – was sonst – Salzkartoffeln, Pommes Frites waren zu dieser Zeit noch nicht erfunden im Weserbergland. Um die ganze wohlgemeinte, teure, aber trockene Sache etwas aufzupeppen, gab es dazu noch ein Gemüse in Béchamel-Sauce, meist Dicke Bohnen, womit man die Kartoffeln trefflich zermatschen konnte, oder Zwiebelringe und Dosenchampignons, die zusammen mit den Steaks scharf angebraten und mit einem guten Stück Butter verfeinert wurden. Ach ja, und Salat – meist Grünen Salat aus dem eigenen Garten mit einem süß abschmeckten Dressing von Süßer Sahne, Schmand und Zwiebeln oder frischen Gartenkräutern (meine Liebe zu Pimpinelle habe ich wohl auch daher und bis heute beibehalten, obwohl Pimpinelle zwischenzeitlich eine Seltenheit ist). Steak war wahrlich keine Delikatesse bei uns daheim, und einen Benchmark aus einem Restaurant konnte ich mir auch schwer holen, da die meisten Restaurants – zumindest die, in denen wir aßen – gar keine Steaks auf der Speisekarte hatten; und selbst wenn sie sie auf der Karte hatten, meine kulinarischen Interessent galten damals anderen Dingen. Meine ersten richtigen Steaks lernte ich dann im zarten Alter von 16 Jahren in den USA und in Canada kennen; gleichwohl diese Fleischfetzen damals wohl den feuchten sexuellen Phantasien der Fleischfresser ziemlich nahe gekommen sein mögen, meine Wollust lösten sie nicht aus.

Wenn schon Steak zu dieser Zeit, dann schon lieber Beefsteak, und zwar Deutsches Beefsteak, wie es meine Großmutter mütterlicherseits – eine alte Hessin mit Wurzeln im Elsass und im Badischen – zubereitete, wenn sie es sich richtig, richtig gut gehen lassen wollte, das war für sie ein weniger küchentechnisch als vielmehr finanziell recht großer Aufwand, den sich eine Flickschneiderin – sie war gelernte Flickschneiderin und sie was stolz darauf; Kleider und Sachen nähen, das war nicht ihr Ding, aber Sachen flicken, das konnte sie wie der Teufel, und damals wurde nicht weggeworfen, sondern geflickt, ich hatte eine Jeans – ursprünglich mal eine Levis 501 –, die eigentlich nur noch aus Flicken bestand, und all meine Klassenkameraden beneideten mich um das Teil, nur mein Vater hasste es – nur sehr selten gönnte / gönnen konnte. Während die Mutter meines Vaters regelmäßig mit wohlfeilen Hackbiazala (s.d.) in großer Stückzahl die Mägen und Herzen der Enkel eroberte, gab es bei der Mutter meiner Mutter selten und dann zelebriert Deutsches Beefsteak.

Das Rezept für Deutsches Beefsteak findet sich schon bei Henriette Davidis:

Beefsteak von gehacktem Fleisch; deutsche Beefsteaks: Man kauft hierzu entweder gutes gehacktes Fleisch, sogenanntes Schabefleisch, beim Schlächter, oder man drückt selbst schieres mageres Fleisch, das ganz frisch sein muß, zweimal durch die Fleischhackmaschine, wobei man alles Häutige und Sehnige entfernt. Hierauf vermischt man das Fleisch mit dem nötigen Salz und Pfeffer und formt es zu Beefsteaks recht glatt und reichlich einen Finger dick. Man kerbt sie auf beiden Seiten mit dem Messerrücken etwas ein und bratet sie nach voriger Nummer mit braun gemachten Zwiebeln oder, wenn der Zwiebelgeschmack gescheut wird, in gelb gemachter Butter etwa 10 Min. auf beiden Seiten. Ganz vorzüglich werden die Beefsteaks, wenn man auf ½ kg Rindfleisch 50-75 g fein gewiegten Nierentalg oder rohes, fettes Schweinefleisch gibt; auch ein Ei, dessen Weißes man zu Schnee schlägt, und ein wenig in Wasser eingeweichtes und wieder ausgedrücktes Weißbrötchen machen die Beefsteaks recht locker.“ (Henriette Davidis: Praktisches Kochbuch für die gewöhnliche und feinere Küche mit besonderer Berücksichtigung der Anfängerinnen und angehenden Hausfrauen)

Auch literarisch kann das Deutsche Beefsteak reüssieren, bei Theodor Fontane mutmaßt Frau Möhring, ihr neuer Mieter könne gerade Deutsches Beefsteak am Bahnhof essen (Theodor Fontane: Mathilde Möhring), bei Hermann Löns wird es tatsächlich verspeist (Hermann Löns: Aus Forst und Flur. Vierzig Tiernovellen – Kapitel 68), und Viktor von Knobelsdorff muss mit 28 Portionen deutschem Beefsteak und Makkaroni in 14 Tagen in Kriegsgefangenschaft traumatische Erlebnisse gehabt haben (Viktor von Knobelsdorff: Unter Zuchthäuslern und Kavalieren). Das Gericht scheint also auch gesellschaftlich tragbar.

Meine Großmutter nahm für ihr Deutsches Beefsteak durchgedrehtes mageres Rindsfleisch aus der Keule oder vom Roastbeef, würzte es mit Pfeffer und Salz, formte Laibchen von ca. 150 g daraus und drückte in die Mitte jeweils ein etwa Mandel-großes (Mandel mit Schale) Stück Butter, wohl wissend, dass schieres Hackfleisch ohne jedweden Fettanteil gebraten doch eine recht trockene Sache wird. Diese Deutschen Beefsteaks –eines pro Person, mehr nicht! – gab es entweder mit Brot und Senf, oder sie schäumte im Bratenfett nochmals Butter auf und servierte sie mit Salzkartoffeln und Bratbutter. Oma und ihre Küche in allen Ehren, aber man kann gar nicht so viel Fett in das magere Rinderhack drücken, dass das Ergebnis nicht trotzdem trocken wäre. Das von Altvorderer Davidis vorgeschlagene Ei im Fleisch finde ich auch nicht so clever, ich meine, auch mit Ei wird der Fleischklops hart und trocken. Aber eingeweichtes, ausgedrücktes Brötchen ist ein altbewährtes Mittel, Bouletten luftig zu machen. Und für den Geschmack nehme ich zusätzlich noch Petersilie und Schalotten, die ich in Butter andünste und vor dem Braten zum Fleisch gebe. Und natürlich das Stücklein Butter in die Mitte eines jeden Fleischküchleins, das bin ich Oma schuldig, Cornelia hat dies stets mit ihrem unvergleichlich vorwurfsvollen Blick ohne jeden Respekt vor der Mutter meiner Mutter und deren Küche kommentiert. Mit ein wenig Vertrauen zum eigenen Metzger ist auch totbraten heute nicht mehr notwendig; bei wirklich frischem Fleisch reicht eine Kerntemperatur von 50° durchaus, mit 68° ist man auf der sicheren Seite. Fingerdrücken hilft bei Deutschem Beefsteak nicht, stattdessen entweder unendliche Erfahrung oder Bratenthermometer, zumindest in einer Bulette als pars pro toto.

Ansonsten ist das Deutsche Beefsteak anpassungsfähig, sowohl was Größe als auch Beilagen anbelangt. Traditionell ist ein Deutsches Beefsteak wohl so portioniert, dass ein Stück für eine Person reicht, also 200 bis 300 g Fleischmasse; man kann allerdings auch kleine Buletten daraus machen, mit 30 g als One-bite-fingerfood oder mit 100 g als Three-bite-Häppchen zum Picknick. Brot und Senf sind immer eine passende Beilage zum Deutschen Beefsteak, Pommes und Ketchup muss man heute wohl auch gelten lassen, wir mögen es mit Kartoffelbrei (natürlich selbst gemacht) und im Bratfett mit viel zusätzlicher Butter gebratenen Zwiebelringen, man furzt danach übrigens wie ein Ackergaul, die Galle tanzt Cha-Cha-Cha und Magen wie Leber schreien nach Hochprozentigem – vielleicht kein Essen, wenn man den Chef das erste Mal einlädt.

Bulette, Deutsches Beefsteak, Henriette , Hermann Löns, Theodor Fontane, Viktor von Knobelsdorff,

Zutaten:

  • 1 ½ altbackenes Brötchen
  • 3 Schalotten
  • ½ Bund Petersilie
  • 150 g Butter
  • 1 kg mageres, frisches Rinderhack
  • Schwarzer Pfeffer aus der Mühle, Piment d’espelette*, Paprika edelsüß, Majoran, Salz
  • Butterschmalz

Buelette, Deutsches Beefsteak, Henriette , Hermann Löns, Theodor Fontane, Viktor von Knobelsdorff,

Zubereitung:

  • Altbackenes Brötchen in lauwarmen Wasser einweichen, bis es vollkommen vom Wasser durchzogen und weich ist; Brötchen aus dem Wasser nehmen und mit den Händen (oder in einem Leinesäckchen) halbwegs trocken pressen
  • 3 Schalotten schälen, in kleine Würfel schneiden; Petersilie waschen, trocken schütteln, Blätter abzupfen, klein hacken
  • 50 g Butter in einer Pfanne mit guter Hitze (8 von 9) aufschäumen, Schalottenwürfel und gehackte Petersilie unter Rühren anschwitzen; Schalotten sollen glasig, keinesfalls braun sein; abkühlen lassen
  • Rinderhack mit ausgedrücktem Brötchen, Schalotten, Petersilie und Gewürzen gut vermengen und durchkneten
  • Aus der Hackmasse 4 Fleischlaibchen formen**, in die Mitte jedes Laibchens ein Stück Butter von ca. 50 g drücken und mit Fleischmasse ummanteln
  • Butterschmalz sehr heiß werden lassen („volle Pulle“) und Fleischlaibchen von jeder Seite ca. 1 Minute anbraten, Hitze reduzieren (7,5 von 9) und auf jeder Seite noch ca. 2 bis 3 Minuten braten lassen
  • Wenn gewünscht, Bratzeit etwas verkürzen, Deutsche Beefsteak bei 90° warm stellen, aus dem Bratensatz ein Sößchen ziehen oder z.B. Butter aufschäumen lassen und Zwiebelringe leicht salzen und darin anbräunen.

Bulette, Deutsches Beefsteak, Henriette , Hermann Löns, Theodor Fontane, Viktor von Knobelsdorff,

 

*`Piment d’espelette kann, muss aber nicht, der leicht rauchige Geschmack kommt jedoch recht gut

** Man kann natürlich auch mehrere kleinere Laibchen formen; die Bratzeit verkürzt sich dann entsprechend.

 

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