Seit Jahren fahre ich nun schon auf meinem Weg von der Züricher Innenstadt am Helvetia am Stauffacher Quai vorbei, seit Jahren hatte ich mir vorgenommen, das Etablissement einmal in Augenschein zu nehmen, seit Jahren hatte ich versagt. Jahrelang war ich einfach aus Bequemlichkeit im Stoller, natürlich auch wegen des Eises, der cosiest bar in town , des Frühstücks auf der Straßenterrasse und der Zimmer mit Balkon zum Friedhof raus. Die Mercure-Gruppe hat nach der Übernahme des Stollers kein Jahr gebraucht, um dieses nette Familien-geführte Haus auf den Hund zu bringen. Seit dem irre ich Hotel-technisch jeden Monat durch Zürich, das Greulich ist ganz nett und stylisch, besonders die Garagen-artigen Junior-Suiten und die Penthouse-Suite, sogar eine – wenn auch düstere – Raucher-Lounge, aber eine gräuliche Speisekarte. Crown Placa (früher eines der wenigen Vier-Sterne Intercontis der IHG-Gruppe), Ramada, Marriott, allesamt gesichts- und herzlose 08/15-Business-Schuppen wie überall auf der Welt, Dolder Grand phantastisch, aber Arsch der Welt, steif und atemberaubende Preise, Dolder Waldhaus halbwegs bezahlbar, aber immer noch Arsch der Welt und alles andere als phantastisch, Baur au Lac und Eden au Lac absolut überteuerte, in den unrenovierten Zimmern in die Jahre gekommene Schuppen, bei denen die Hälfte der Übernachtungspreise auf die Lage geht, und trotzdem ist noch die Straße zwischen Hotels und See, Widder schön schräg, verwinkelt und tolle Whisky-Auswahl, aber katastrophale Parksituation und in viel zu viel Ami-Reiseführern als „Geheimtipp“ gelobt, kurzum, es ist schwierig mit schönen, bezahlbaren Hotels in Zürich.
Nun also das Helvetia. Mitten in der Stadt, ein altes, langes, schmales, türkises Gebäude, von zwei Seiten Hauptverkehrsstraßen, ruhig gelegen geht anders, an einer Seite Terrasse zum Sihl, Bahnhofsstraße, See, Langstraße (wer’s braucht) alles fußläufig, parken um die Ecke im öffentlichen Parkhaus, Straßenbahn vor dem Haus. Das Helvetia ist eigentlich kein Hotel, es ist eine Bar (Ambiente und Atmosphäre sind gut, richtig bar-like, die Drinks allerdings sind mäßig, bleiben Sie bei einem Scotch oder maximal einem Spritz, die – wechselnden – „Barkeeper“, die ich erleben durfte, verstehen ihr Handwerk nicht) mit angeschlossenem (recht gutem) Restaurant und angeschlossener Herberge, die „Reception“ direkt neben der Bar und wird vom Service-Personal nebenbei (und sehr freundlich und zuvorkommend) mitgemacht. Die Zimmer klein, aber individuell und liebevoll eingerichtet, Bäder ohne Tageslicht und Lüftung (Sie müssen Ihre „Düfte“ ins Zimmer entlüften), grauenhaftes, aber stylisches Lichtdesign (man könnte auch sagen, dunkle Löcher mit kleinen Fenstern, vielen Designer-Lampen mit sehr geringer Watt-Zahl), moderner Schnickschnack wie i-Pod-Docking Station, Flachbildschirme (ich weiß nicht, mit welchen Programmen, hab‘ sie noch nicht angemacht), schnelles, kostenloses Internet, gute Matratzen, Klimaanlage, ziemlich sauber (nur mein Zigaretten-Hüllen-Plastik lag nach einem Tag noch immer auf dem Fußboden (böser Test), und mein Nassrasierer neben meiner Zahnbürste im Zahnputzbecher erfreut mich nur wenig), weder Raucherzimmer noch Balkone, es gibt einen Lift, aber nur ein einziges Treppenhaus aus Holz (hier möchte ich nicht im 5. Stock wohnen, wenn’s brennt), aber passt schon irgendwie, dafür ist’s individuell. Geräumig die beiden Business-Suiten unter’m Dach mit Kitchinette, hier kann man’s auch ein paar Wochen auf der Durchreise aushalten.
Was das Helvetia – neben der Lage und der Individualität – ausmacht, sin DIE MENSCHEN. Das Personal jung, wechselnd, ziemlich ausgebildet, zuvorkommend, aufmerksam, freundlich. Die Gäste sind zu – schätze ich – 75% Eingeborene, hier treffen Sie echte Alt- und Neu-Züricher (oder heist’s Zürcher, wie beim Geschnetzelten?), die hier wohnen, die sich hier auskennen und deshalb in’s Helvetia kommen. Vorwiegend junges Volk, urban, kultiviert-ausgelassen-lässig, entspannt im Hier und Jetzt, keine Szenegänger mit albernen Bärtchen, Hütchen und Fächern wie im Kaufleutn um die Ecke. Bemerkenswert authentisch, frisch, regional die Küche von Françoise Wick. Ob sie wirklich 15 Gault-Millau-Punkte wert ist, würde ich noch bezweifeln wollen, aber ambitioniert und nicht überkandidelt, regional verwurzelt, die relative Nähe zu Italien nicht verleugnend. Tadellos das Zürcher Geschnetzelte, der Kellner fragt sogar, ob mit oder ohne Nierchen, ordentlich (aber nicht buttrig, sondern eher trocken) die Rösti dazu. Ziemlich spektakulär das Wiener Schnitzel, tadellos das Tartare (aber warum in Dreiteufelsnamen mit kurz gedörrtem, noch nicht einmal getoasteten Golden Toast aus der Packung, gibt’s in Zürich keine guten Weißbrotbäckereien? Der einzige Anlass, zu dem imperial-amerikanischer Wabbel-Industrie-Toast geht, ist Clubsandwich!), fad und zu grob gehackt das Kalbstartare mit sautierten Pfifferlingen und Schalotten, beschämend die Klare Ochsenschwanzsuppe, die maximal als gute Rindssuppe durchgeht, belanglos die alles andere als al dente hausgemachten Nudeln mit noch sandigen Muschel-Trümmern, die Moelloux de chocolat mit Sauerrahmeis sicherlich die Krönung jedes McDonald’s Menues, mehr aber auch nicht mit pappigem Schokoladen-Soufflee und wässrigem Eis.
Insgesamt durchwachsen, die Küche, ambitioniert, zuweilen erreicht sie gute Standards, potentielle Höhenflüge sind mir verborgen geblieben, 10, 12 Punkte vielleicht und der Vermerk ambitioniert und regional verwurzelt, mehr aber auch nicht. Und dennoch, es sind die Menschen, die das Helvetia ausmachen, die Lage und die – für Züricher (oder doch Zürcher?) Verhältnisse – angemessenen Preise. Da lasse ich es sogar durchgehen, dass ich den Ober bei mittlerweile halbleerer Terrasse zum dritten Male nach der Dessert-Karte frage. Es menschelt halt, im Positiven wie im Negativen, aber es Menschelt, nur wenige oberwichtige McK-Berater-Schnösel, Möchte-Gern-Schicki-Mikies, ungleich schlimmer echte Schicki-Mickies und ähnliches G’schwerl, richtige Menschen halt …