Bayrischer Hof Kempten: sehr schönes Hotel, mäßiges bis schlechtes Restaurant, ausgesprochen freundliche Menschen

Summa summarum: Selten fühlte ich mich beim Schreiben so hin- und hergerissen. Ich habe wunderschön, lebensgefährlich, recht komfortabel und wohlfeil gewohnt, in angenehmer Umgebung grottenschlecht zu Abend gegessen und ziemlich gut gefrühstückt, und ich wurde als Gast nicht nur zuvorkommend und höflich, sondern auch freundlich und herzlich behandelt. Was schreibt man da nun? „Wat schriev mer en su enem Fall?“ heißt ein Lied von BAP, und ich kann diese Probleme nun hautnah nachvollziehen.

Schön gelegen geht anders, sollte man meinen, vor den historischen Toren der Stadt, an der Einmündung der Bundesstraße 309 in die Bundesstraße 19, hinter der Straße die Iller, verbaut mit hohen Hochwasserschutz-Betonmauern, vis-à-vis ein paar schäbige kleine Hochhäuser am Wasser, so präsentiert sich der Bayrische Hof in Kempten auf den ersten Blick dem spontan ganz und gar nicht geneigten Reisenden, obwohl das Gebäudeensemble um 1930 von dem bekannten deutsch-ungarischen Architekten Andor Ákos aufwändig umgestaltet und mit Reliefmalereien des Bozener Malers Rudolf Stolz verziert worden ist. Der Reiz des Komplexes erschließt sich nur peu à peu. Der Hoteleingang liegt in einem der Innenhöfe, der ist vollgeparkt mit Autos, dazu Garagentore, eine Durchfahrt zu einem weiteren Hof, die rückwärtigen Fenster der Küche, ein kleiner überdachter Pavillon für Raucher: auch mondäne Hotelvorfahrt geht anders. Die Halle mit Rezeption klein und freundlich, warme Farben, viel Holz, rechts ein kleiner Lounge-Bereich für Hotelgäste mit Leder-Lümmel-Möbeln und einem in eine Kamin-Attrappe eingebauten Flachbildschirm, der beständig ein loderndes Kaminfeuer zeigt, dazu überall Hirsche in Holz, in Blech, in Plastik, als Bild, echte Geweihe, überhaupt ziehen sich Hirsche als durchgängiges Motiv quer durch’s gesamte Haus. Freundlicher, schneller, problemloser Check-in, ich werde wie selbstverständlich mit Namen angeredet, der Anmeldeschein ist bereist ausgefüllt, ich muss nur noch unterschreiben (ein Service, den ich sehr schätze, schließlich hat das Hotel ja bereits bei der Reservierung alle meine Daten erhalten). Lift, Treppenaufgang, Gänge, Teppichböden, alles in tipp-topp renoviertem, tadellosen Zustand, Landhausstil würde ich es nennen. Das Einzelzimmer im Dachgeschoss selber keine Überraschung, vielleicht 12 qm groß, 90cm Bett mit halbwegs durchgelegener Matratze und schwindsüchtigem Kopfkissen, TV, Radio, kleiner Schreibtisch mit genügend freien Steckdosen, ordentliches W-LAN, kleines Sofa, unkaputtbarer Hotelkleiderschrank mit einem Safe, in den natürlich kein Laptop passt, hässliche Minibar, der große Ventilator lässt ahnen, wie heiß es in diesem Zimmer im Sommer werden mag, soweit alles unspektakulär, aber durchaus ok für 61,50 € pro Nacht mit Frühstück. Erst beim Blick durch’s Fenster bleibt dem zunehmend geneigten Reisenden zum ersten Male die Spucke weg. Vergiss Bundestraße 309 und 19, man blickt in den Chapuispark, eine verborgene, traumhaft schöne, kleine, abgeschlossene Parkanlage mit alten Bäumen, dominiert von einer gigantischen Rotbuche, dazu ein Springbrunnen-Rondell, verschiedene verschwiegene Lauben, Rasen, darauf locker verteilt Sonnen-Liegen und Ess-Tische, bei schönem Wetter fungiert der Park als Restaurant-Garten (dies Biergarten zu nennen wäre ein Euphemismus), unmittelbar dahinter beginnt der weitläufige Cambodunumpark mit den Römischen Ausgrabungen (sogar mit eigenem Eingang). Das zweite Mal bleibt die Spucke weg beim Anblick des steilen, gewundenen Treppchens – Hühnerleiter wäre der treffendere Ausdruck –, das vom Zimmer in das Bad im ausgebauten Dachspitz führt; hier bekommt der Ausdruck „schlaftrunken zur Toilette wanken“ einen lebensgefährlichen Unterton, in zehn Jahren möchte ich diese Treppe nicht mehr gehen müssen, und schon heute auch nur nüchtern. Das Bad selber ist dann wieder geräumig, Tageslicht (diesmal mit Blick auf den Parkplatz-Innenhof), geräumige Eckbadewanne, keine separate Dusche, Handtücher mit mäßigem Flauschfaktor, zwei Seifenspender an der Wand, das ist alles kein Luxus, aber für ein Vier-Sterne-Haus ganz ok, was man braucht, ist da, und vor allem: es ist sauber. Es soll im Haus auch noch weniger halsbrecherische Zimmer und Suiten geben, Fitness und Sauna, Tagungsraum und diverse Räume für Feiern, sogar eine recht nette Kinderspielecke, insofern alles gut. Sehr gut auch das Frühstück mit vielem, was das Herz begehrt: frische Bäckersemmeln (und keine Backlinge), qualitativ und quantitativ gute Auswahl an Wurst und Käse, zwei Sorten ordentlicher Lachs, frisches Obst, Cerealien, Milchprodukte, Marmeladen, Eier leider nur warm gehalten und nicht à a minute, keine frisch gepressten Säfte, Kaffee steht in Warmhaltekannen auf den Tischen, aber freundliche, flotte Bedienungen bringen einem auf Wunsch alles an Kaffee, was die WMF-Industriemaschine herzugeben mag. Zu all diesen positiven Eindrücken noch durch die Bank weg freundliches, aufmerksames Personal, das macht ein gutes Hotel aus.

Dies war die eine Seite. Die andere Seite ist die Küchenleistung des Restaurants, vor zwei Wochen auf der Durchreise zu Mittag, jetzt zum Abendessen. Die Gasträume selber sind sehr schön renoviert, bayrisch-allgäuer Landhausstil, Kastendecken, blanke Holzdielen am Boden, viel Holz, vor allem Kiefer, die Tische und Bänke in dieser Übergangsphase von „noch neu“ und „schon Patina“, aber alles topp gepflegt, wieder Hirsche in allen Materialien und Formen, Herrgottswinkel mit Kruzifix in der Ecke, exakt jeweils drei Spraynelken auf den Tischen, keine Tischdecken, karierte Papier-Servietten, es ist zünftig hier, wenn jetzt der „Herr Rat“ vom Königlich-Bayrischen Amtsgericht die Stube beträte, er fiele nicht weiter auf. Wie gesagt, vor zwei Wochen hatte ich Sontags hier bereits zu Mittag gegessen, ewig lange auf Bedienung und Essen gewartet, hatte grotten-schlecht gegessen (es aber auf den brummend vollen Laden an einem Sonntagmittag geschoben) und gleichzeitig beschlossen, dieses hübsche Hotel mal ein Wochenende lang auszuprobieren. Jetzt bin ich also wieder da, an einem Freitagabend, der Laden ist nicht minder voll, ohne Reservierung geht hier gar nix mehr (aber die habe ich zum Glück). Zuerst ein kleines, frisches Zisch-Pils vom Fass für den ersten Durst, und dann nimmt das Unglück seinen Lauf: total versalzene Tafelspitzbrühe, Brätstrudel und Grießnocke darinnen aufgewärmte Convenience-Ware; die gebratenen Riesengarnelen einwandfreie Aqua-Kultur-Qualität, entdarmt (auch keine Selbstverständlichkeit, heutzutage), nicht zäh gebraten, richtig lecker, auf einem Bett von gut geputztem, frischen Salat mit einem Himbeerdressing, wäre da nicht das breiige Baguette dazu gewesen, so wäre zumindest dieses Gericht einwandfrei; Probier-Portion Spargel von der separaten Spargelkarte ist kein Problem, der Spargel selber ist weitgehend geschmacklose Folienqualität, dazu noch schlecht geschält und viel zu weich, die Kartoffeln aufgewärmt, die Hollandaise darüber immerhin selbst gemacht und von ordentlicher Qualität; das „Wellige Wiener Schnitzel“ erwies sich als Fleischflatschen mit angeklebten Semmelbröseln, da wellte überhaupt nix oder hob sich knusprig ab, die Panade teilweise noch weiß-breiig, teilweise schon bedenklich dunkel (ein Zeichen dafür, dass das Schnitzel tatsächlich in der Pfanne gebraten wurde, aber in zu wenig und anfänglich zu kaltem Fett), der Kartoffel-Gurken-Salat so lala; testweise hatte ich mir noch eine Portion gebackene Kartoffelecken und Bohnengemüse von der Beilagen-Karte der Steak-Karte bestellt, wie erwartet übelstes aufgewärmtes Convenience-Zeugs, wie man es oft in Tex-Mex-Ketten bekommt; abschließend die Buttermilch-Kalamansicreme (eine Citrofortunella-Frucht die vorwiegend auf den Philipinen angebaut wird), dünn bis nicht existent vom Geschmack her, nicht etwa das erwartete Bitter-Süß-Spiel, für die die Kalamansi-Frucht bekannt ist, ich vermute, einfach ein angerührter Tüten-Nachtisch, eine selbst gemachte Creme mit frischen Limonen oder Zitronen hätte zu mehr Ehre gereicht, die marinierten Erdbeeren dazu abschließend wieder ganz gut. Bei dieser – fast durchgängig schlechten – Küchenleistung hilft es auch nichts, wenn Rindvieh- und Vega-Burger (ach, wie trendy …), Hereford- und Galloway-Rind und veganes Modezeugs angeboten werden, basic coocking wäre hier dringlicher angesagt. Der Digestiv-Wagen steht relativ verwaist am Rande des Geschehens, obwohl zuweilen wirklich der eine oder andere Schnaps notwendig wäre; der Monkey 47, ein XO, ein Single Malt und noch ein paar Flaschen wirken dort reichlich verloren, während der gute Botucal und andere Leckereien hinter der Theke stehen. Auch komisch. Die Weinkarte hingegen ist relativ umfangreich und recht klug bestückt, viele offene Weine, Schwerpunkt auf Württemberg, Franken, Österreich, ein paar sehr ordentliche rote Italiener, dazu ein 2010er Chateau Marquis de Terme für unschlagbare 90 €, ansonsten liegen die Flaschen zwischen 20 bis 40/50 € und sind damit ausgesprochen fair bepreist, hier macht Weintrinken Spaß. Wenn man denn mal bedient wird, und das war zweifelsohne schon wieder das Lästigste an dem Abend: die Bedienung ausgesprochen freundlich, zuvorkommend, höflich, … all die Attribute, die man eigentlich für eine gute Servicekraft verwendet … und meistens nicht da. Ich habe selten so lange auf fünf Gänge in einem Restaurant gewartet, und gewartet, und gewartet … Ich glaube noch nicht einmal, dass Unfähigkeit oder böser Wille dahinter steckten, ich hatte schlichtweg den Eindruck, die gesamte Organisation von Küche über Schanktresen bis Service und Spülküche waren – schon zum zweiten Male – komplett überfordert. Ich weiß nicht, ob es an der Personalzahl oder den Abläufen liegt, aber diese Wartezeiten sind inakzeptabel, auch wenn sie noch ein Wenig den nächsten schlechten Gang hinauszögern …

Tja, um nochmals auf BAP zurückzukommen: „Wat schriev mer en su enem Fall?“

Bayerischer Hof Kempten
Nägele GmbH
Geschäftsführer: Diplombetriebswirt Cornel Nägele
Füssener Straße 96
87437 Kempten
Tel.: +49 (8 31) 57 18-0
Fax: +49 (8 31) 57 18-100
Email: hotel@bayerischerhof-kempten.de
Internet: www.bayerischerhof-kempten.de
Hauptgerichte von 12,50 € (Schweineschnitzel mit Kartoffelsalat) bis 26,40 € (Rumpsteak mit Ofenkartoffel), Drei-Gänge-Menue von 24,60 € bis 45,60 €
DZ Ü/F 114 – 141 € (pro Zimmer, pro Nacht)

Das sagen die Anderen:
•    Tripadvisor: 4 von 5 Punkten
•    Holidaycheck: 5 von 6 Punkten, 88% Weiterempfehlungs-Rate
•    Varta: n.a.
•    Guide Michelin: n.a.
•    Gault Millau: n.a.
•    Schlemmer Atlas: n.a.

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