Über Jahre verschlug mich ein grausames Schicksal mehrmals im Monat nach Paris. Dort logierte ich dann aus Gründen, die hier nicht zu begründen sind, meist in einem Etablissement am Place de la République. Einziger Lichtblick in dieser Tristesse war über Jahre eine brasserie alsacienne mit dem hübschen Namen Chez Jenny an der Ecke Place de la République / Boulevard du Temple. Dort gab es seit 1932 typische und sehr gute elsässische Küche, also genau genommen ein deutsches Restaurant inmitten der freudlosen französischen kulinarischen Trübsal. Zwiebelsuppe, Choucroute, Schnecken, Flammkuchen, Gänsestopfleber, Bäckeoffe, dazu Berge frischen Meeresgetiers und eine formidable Weinkarte zum Freuen wurden mitten in einer typischen elsässischen Inneneinrichtung mit Intarsiengemälden des berühmten Tischlers Charles Spindler serviert. Django Rheinart, Lucienne Boyer, Ray Ventura, Jean-Paul Belmondo, Léo Ferré, Silvia Kristel oder Johnny Hallyday feierten hier, und das Chez Jenny war eine Wallfahrtsstätte für alle Pariser Liebhaber guten Sauerkrauts. Ich kann mich nicht entsinnen, das Restaurant jemals leer erlebt zu haben, vorab eine Reservierung durch den Concierge des Hotels war allemal hilfreich bis unbedingt notwendig. Seit dem Sommer 2020 ist damit Schluss, anonyme „neue Eigentümer“ ließen am 29. Juni die gesamte historische Inneneinrichtung des Chez Jenny versteigern und herausreißen. Stattdessen soll hier ein niedrigpreisiges Bistrot namens Bouillon entstehen. Persönlich wünsche ich den Verantwortlichen dafür Furunkel an den Arsch. Aber sei’s drum. Legendär waren im Chez Jenny auch die Baba au Rhum, kleine Hefe-Gugelhupfe, getränkt mit Läuterzucker, gefüllt mit süßer Schlagsahne, garniert mit frischen Früchten; dazu wurde – und das war der eigentliche Clou – ein wohl gefülltes, keinesfalls kleines Fläschlein mit sehr, sehr ordentlichem Rum serviert und der Gast sodann mit dem Napfküchlein und der Rumflasche alleine gelassen, dass er das Küchlein nach Herzenslust mit dem Rum tränke. 6,50 EURO kostete im Chez Jenny ein Solo-Stamperl Rum auf der Speisekarte; in der Flasche, die zum Baba au Rhum serviert wurde, standen somit 60 oder 100 EURO guten Rums auf dem Tisch, an dem sich der Gast unbeobachtet, unbegrenzt, ungeniert bedienen konnte, und ich habe nicht wenige gesehen, die die Flasche leerten, indem sie das Napfküchlein in einen Rum-Kuchen-Brei verwandelten und sodann auflöffelten (oder indem sie sich unverfroren den Rum in’s Glas gossen und pur tranken). Ich habe solcherlei Dinge natürlich nie getan, sondern nur mein Küchlein behutsam mit Rum benetzt. Die Kellner jedenfalls räumten die an anderen Tischen regelmäßig ratzeputze leeren Rumflaschen immer kommentarlos ab.
Zutaten für 12 Küchlein, 80 ml große Formen:
- 150 g backstarkes Mehl
- ½ Päckchen Trockenhefe
- 1 Teel. Zucker
- 1 Prise Salz
- 1 guter Teel. flüssiger Honig
- 50 g weiche Butter
- 3 zimmerwarme Eier, 1 Eigelb
- Nach Geschmack: 1 bis 2 Essl. Rumrosinen
- Neutrales Öl
Für den Sirup:
- 500 ml Wasser
- 400 g Zucker
- Nach Geschmack: fein geriebene Schale und/oder Saft einer Bio-Zitrone oder -Orange*
Für die Glasur:
- 150 g Marillenmarmelade oder 100 g Marillengelée
- Evtl. etwas Sirup
Zum Servieren:
- 150 ml Schlagsahne
- 1 Essl. feiner Zucker
- 1 Vanilleschote
- Obst nach Belieben, es sollte den Küchlein angepasst klein oder klein geschnitten sein, z.B. Himbeeren, Johannisbeeren, Heidelbeeren, Granatapfelkerne, geachtelte Kumquats, geviertelte Physalis, geviertelte Weintrauben, …
- Nach Geschmack 2 Essl. gehackte, ungesalzene Pistazien
- Guter brauner Rum**
Zubereitung:
- Mehl, Trockenhefe, Zucker, Salz vermengen
- Honig, Butter, Eier und Eigelb dazu geben und einen homogenen, zähen Teig kneten
- Nach Wunsch Rumrosinen vorsichtig unter den Teig heben (oder Teig halbieren und nur unter eine Hälfte des Teiges Rosinen heben und so Küchlein halb ohne, halb mit Rosinen produzieren)
- Teig leicht mit Mehl bestäuben, mit einem Tuch abdecken, an einem warmen, zugfreien Ort 45 Minuten gehen lassen
- Während dessen den Sirup kochen: dazu 400 g Zucker in 500 ml Wasser geben und ca. 15 Minuten leicht köcheln lassen
- Nach Geschmack kann man die fein abgeriebene Schale einer Bio-Zitrone oder -Orange und/oder den Saft mitkochen, dann etwas mehr Zucker nehmen
- Hefeteig sollte sein Volumen nach 45 Minuten verdoppelt haben; Teig nochmals durchkneten
- 12 Mini-Gugelhupf-Förmchen (Silikon)*** gut mit neutralem Öl auspinseln und mit jeweils gut 30 g der Teigmasse jeweils gut halb füllen
- Nochmals mit einem Tuch abdecken und an nämlichem, warmem, zugfreiem Ort nochmals 30 Minuten gehen lassen, bis der Teig die Förmchen fast ausfüllt
- Backofen auf 180° Unter- und Oberhitze vorheizen
- Mini-Gugelhupfe auf der zweiten Schiene von unten in 30 bis 40 Minuten goldbraun backen
- Nach 30 Minuten Gar-Probe machen: langes Holzstäbchen ganz in den Teig stechen, wenn beim Herausziehen keine Teigreste mehr am Stäbchen kleben, ist das Küchlein durchgebacken
- Gugelhupfe leicht abkühlen lassen, dann vorsichtig aus Form lösen und auf ein Kuchengitter stellen
- Gugelhupfe großzügig und mehrfach mit einem Silikonpinsel mit dem Sirup bestreichen, bis sie durchgängig (nicht nur die Oberfläche) leicht feucht sind; dazu braucht es wenigstens fünf Pinsel-Durchgänge; den Sirup einfach und ergonomisch über die Küchlein gießen bringt nichts, der Sirup dringt nicht richtig in den Teig ein, sondern läuft runter
- Gugelhupfe sparsam zwei- bis dreimal mit einem Silikonpinsel mit Rum einpinseln
- Marillenmarmelade vorsichtig erwärmen, durch ein feines Sieb treiben, evtl. mit etwas Sirup verdünnen; alternativ Marillengelée erwärmen, hier ist ein Sieben nicht notwendig
- Gugelhupfe mit Marillenmasse glasieren, bis Masse aufgebraucht ist
- Glasur trocknen lassen
- Gugelhupfe mit Frischhaltefolie abdecken, kühl stellen, am besten über Nacht durchziehen lassen
- Zum Servieren 150 ml kalte Sahne mit 1 Essl. feinem Zucker und dem Mark aus einer Vanilleschote steif schlagen
- Insg. 12 Essl. gemischtes Obst nach Wahl waschen, putzen, ggf. klein schneiden
- Jeweils einen Gugelhupf auf je einen Teller stellen, mit Schlagsahne füllen, 1 Essl. Obst darauf verteilen, ggf. mit gehackten Pistazien garnieren
- Mit gutem braunem Rum servieren, bei Tisch kann sich dann jeder Gast nach Wunsch weiteren Rum über den Baba au Rhum gießen
* Ob man Zitrus-Schale und/oder Saft zum aromatisieren des Sirups verwendet, will genau bedacht sein, alldieweil das Aroma später im Kuchen sehr dominant wird, und das mag nicht jeder.
** Man macht sich mit diesem Dessert eine Schweine-Arbeit und billig sind die Zutaten auch nicht, aber das ist es wert, denn am Ende wird es köstlich sei … es sei denn, man glaubt, hier beim Rum sparen zu können, so nach dem Motto „Ist ja nur Koch-Rum“. Mumpitz. Der Alkohol wird hier nicht verkocht oder verbacken, sondern man schmeckt ihn am Ende pur und sehr deutlich. Also, den guten Pott oder Rumverschnitt in allen Ehren, aber hier darf’s was Besseres sein.
*** Hier bietet die Industrie verschiedene Lösungen an, es gibt sowohl einzelne Backförmchen als auch Bleche mit sechs oder acht Gugelhupf-förmigen Vertiefungen. Was auch immer man wählt, unbedingt Backformen aus Silikon wählen. Ich habe verschiedentlich Metall-Förmchen versucht, habe gefettet, habe viel gefettet, habe gebröselt: jedes Mal, wenn ich die Küchlein aus dem Metall-Förmchen holen wollte, gab’s Brösel und einen um den anderen Wutanfall: Silikon ist hier die Wahl der Stunde.