Auf der Suche nach der Deutschen Gastronomie: XX. Burghotel Auf Schönburg in Oberwesel

Tag 9: Köln – Oberwesel, 150 Kilometer, 3,5 Stunden Fahrtzeit, Übernachtung und Abendessen im Burghotel Auf Schönburg in Oberwesel


Das Frühstück in der Dachbar des 25hours ist noch nett, wir packen unsere Sachen, verfransen uns trotz Navi gefühlte zehnmal in Köln, das Navi läuft hier noch immer Amok, und fahren dann immer am Rhein entlang nach Süden, mitten durch Bonn und Königswinter, die ersten ehemaligen Botschaftsfestungen stehen langsam leer, verträumt, wie im Dornröschenschlaf das Petersberg hoch oben am Berg, Siebengebirge, Drachenfels, erste Weinberge, noch immer keine Brücke in Remagen, stur steht Kaiser Wilhelm I am Deutschen Eck, vor ihm Mosel und Rhein, über ihm Ehrenbreitstein, als Koblenz noch wichtige Garnisonsstadt vor den Toren des Regierungssitzes (Bonn war nie Hauptstadt, aber um das Grundgesetzt hat man sich nie viel geschert, in Bonn) war, soll Koblenz die höchste Prostituierten-Dichte pro Kopf in Deutschland gehabt haben, das Tal des Rheines wird enger, die Burgen und Ruinen nehmen Überhand, Lahneck, Stolzenfels, Martinsburg, Der Königsstuhl, Marksburg, Sterrenberg, Kurtrierische Burg, Liebenstein, Maus, Katz, Rheinfels, schließlich Schönburg, vor uns liegen noch Gutenfels, Pfalzgrafenstein, Stahleck, Fürstenberg, Heimburg, Sooneck, Reichenstein, Rheinstein, Ehrenfels, Mäuseturm, Klopp, was die hier rumgebaut haben, ist unglaublich, dazwischen die Loreley reichlich unspektakulär, hinter dem Blücher-Denkmal in Kaub setzen wir mit der Fähre über und fahren nach Oberwesel in’s Burghotel Auf Schönburg. Schon im 12. Jahrhundert wurde begonnen, Auf Schönburg zu erbauen, man weiß nicht mehr, ob als Reichsburg oder vom Magdeburger Erzbischof, ist heute aber auch ziemlich egal. Es folgte das ganz normale Leben einer Burg, Kriege, Eroberungen, Wechsel der Burgherren, teilweise Zerstörungen, erdrosselte Pfalzgrafen-Aspiranten, Wiederauf-, Um- und Anbauten, Kaiser Barbarossa lungerte wiederholt hier herum, das übliche Heckmeck halt. Auf Schönburg saßen die Ritter von Schonenberg , die als Reichsministeriale die Anlage als Ganerbschaft vererbten, d.h. nicht der älteste Sohn erbte alles, sondern jeder Sohn erbte zu gleichen Teilen, was zur kuriosen Situation führte, dass im 14. Jahrhundert 24 Familienstämme mit insgesamt 250 Familienmitgliedern in den drei separaten Wohnbereichen der Burg, aber gesichert von gemeinsamen Außenverteidigungsanlagen, lebten, was auch die beeindruckende Größe der Anlage erklärt. To make a long story short, im Pfälzischen Erbfolgekrieg 1689 wurde Auf Schönburg wie die meisten Burgen im Oberen Mittelrheintal von den Franzosen zerstört, der letzte Schönburger verstarb  1719, in seinen „Briefen an einen Freund“ nannte Victor Hugo „den Schönberg eines der bewundernswerten Schuttwerke, die es in Europa giebt“, und so gammelte die Ruine vor sich hin, bis der Deutsch-stämmige New Yorker Immobilienmakler Major Oakley Rhinelander die Burg-Reste 1885 kaufte und bis zum ersten Weltkrieg mit erstaunlicher historischer Akribie und Genauigkeit wieder aufbauen ließ, optisch dominiert vom südliche Palas in roter Fuggermalerei und gleich drei mächtigen Bergfrieden. Also, wir haben gelernt, Auf Schönburg, wie wir sie heute kennen, hat ein Ami gebaut. Nach dem Zweiten Weltkrieg kaufte die Stadt Oberwesel Auf Schönburg von der Erben Rhinelanders, seit 1957 ist sie mittlerweile in der dritten Genration in Erbpacht der Familie Hüttl, die ebenfalls fleißig weiter auf-, um- und ausbaut, und doch sind noch einige Teile der Anlage noch immer Ruinen.

Mit dem Auto kann man steil und kurvig den Berg von Oberwesel bis vor die mächtigen Außenmauern der Burg fahren, dort muss man den Wagen abstellen und noch ein beachtliches Stück durch verschiedene Tore, immer bergauf, bis in den Burghof stapfen (man kann auch schlau sein, kurz vor der Ankunft die Rezeption des Hotels anrufen und sich vom Hausmeister mit einem kleinen, Traktor-ähnlichen Gefährt, das durch die engen Hohlgänge passt, am Parkplatz abholen lassen).  Das Hotel ist durch und durch historisierend eingerichtet, wenn man nicht wüsste, dass hier vor 150 Jahren nur ein riesiger Schutthaufen herumlag könnte man glatt glauben, der letzte Ritter habe gerade in voller Rüstung die Burg verlassen, um sich auf einen Kreuzzug zu begeben. Mal blanke, dunkle Sandsteinwände, mal Fachwerk, mal Holztäfelung, mal Wandputz, hier würfeln sich die Baustile und –arten bunt und wild durcheinander, man hat den Eindruck, in einem natürlich mit der Zeit gewachsenen Gebäudekomplex zu sein. Alte Möbel aus dem 18. bis 20. Jahrhundert, niedrige Türen, kleine Fenster, meist mit Butzenscheiben und Bleiverglasung, oft meter-dicke Mauern, einfach toll, selbst die zuweilen nachträglich angebauten modernen Balkone stören kaum. Und doch gibt es einen Lift im Haus, denn die engen, gewundenen Stiegen bis in den 5. Stock sind schweißtreibend. Eine freundliche junge Dame begleitet uns auf das Zimmer und erklärt dabei ein wenig das Haus, im Hintergrund kümmern sich unsichtbar die Hausmeister um’s Gepäck.  Wie haben eine Kemenate mit Rheinblick und eigenem Zugang zur Mantelmauer mit hübschem Freisitz. Der Raum selber ist zwar klein, aber es ist alles da: holzvertäfelte Wände, Fenster mit Butzenscheiben, alte Möbel, Bett mit Baldachin, tolle Matratze, ordentliches Linnen, Bad mit Dusche, flauschige Handtücher, Hosenbügler, Bügeleisen, Minibar, Regenschirm, Wasch-, Näh- und Schuhputzzeug, genügend Steckdosen, flinkes, kostenloses W-LAN, Flachbildschirm, Ventilator, sogar ein CD-Spieler mit Sony-Boxen und ein paar schnulzige CDs über die Schönheiten des Rheins und den extensiven Genuss seines Weins. Soweit zur Pflicht für ein Vier-Sterne-Haus. Die Kür besteht aus knackigen Äpfeln, einer Kristallglas-Karaffe mit sehr ordentlichem Sherry als Willkommensgruß des Hauses, einem kleinen, frischen, geschmackvollen Rosengesteck und einem Sprühflakon (einer von der altmodischen Sorte mit dem Bällchen zum pumpen) voll mit Echt Kölnisch Wasser, ein Geruch, den ich seit Jahrzehnten nicht mehr gerochen habe (und der doch unverkennbar ist). Es ist schön hier.

Den Aperitif nimmt man Auf Schönburg am besten auf einer der Terrassen mit Blick ins Rheintal und auf Burg Pfalzgrafenstein mitten im Rhein, eine Flussbiegung von der Loreley entfernt. Auf beiden Seiten des Flusses rattern im Fünf-Minuten-Takt lange Güterzüge, rechtsrheinisch vorwiegend Schüttgut, linksrheinisch Container, wir fragen uns, warum wohl, die paar Personenzüge fallen  dazwischen kaum auf. Dieses Rattern geht unaufhörlich weiter, auch des Nachts und ist selbst in den Zimmern, die nicht zum Rhein rausgehen, laut und störend. Ansonsten ist alles – bis auf die Manieren der reichlichen  us-amerikanischen Gäste – einfach schön. Der Blick auf den Fluss, die Städtchen und Weinberge, vorbeiziehende Schiffe, die warme Abendsonne, ein Fläschchen heimischer Riesling-Winzersekt, es gibt wahrlich Schlimmeres. Unter den Terrassen erststreckt sich der weitläufige Burggarten quer durch die alten Verteidigungs-Anlagen mit Treppchen, Brunnen, Grotte, Teich, Häuschen, ein wahrlich verwunschener Ort, der nur den Hausgästen vorbehalten ist.

In der Regel bin ich von so wundervollen Orten – lassen wir Hugenpoet und Bensberg einmal außen vor – eine schlampige, lieblose, oft auch lausige Küche gewohnt, weil die Orte allein so schön sind, dass die touristischen Massen wie von selber strömen und dann klaglos essen, was man ihnen überteuert vorsetzt. Auf Schönburg hatte ich in der Vergangenheit andere Erfahrungen machen dürfen, hier kann / konnte (?) jemand kochen, keine abgehobene Sterneküche, aber eine recht ambitionierte, gehobene, gutbürgerliche Küche, die sich zuweilen leider auch zu kulinarischen Spinnereien hinreißen ließ. Nur diesmal ist alles irgendwie anders. Wie immer gibt es ein drei-gängiges Menue für 39 EURO und ein vier-gängiges für 48 EURO, das in normalen Zeiten auch noch angebotene Fünf-Gänge-Menue für gut 70 EURO und das Mini-Menue für gut 30 EURO sind während unseres aktuellen Besuches dem Virus zum Opfer gefallen. Das Vier-Gänge-Menue ist im Zimmerpreis zwangs-inkludiert, Übernachtung nur mit Frühstück wird Auf Schönburg zumindest offiziell nicht angeboten, ich weiß nicht, ob man das separat verhandeln kann; in Gedanken jedenfalls kann man den recht happigen Zimmerpreis von 200 bis 400 EURO pro Nacht um 100 EURO reduzieren, die gehen ja für’s Abendessen drauf. Man speist – wenn das Wetter mitmacht – auf den Terrassen mit Blick ins Rheintal, sonst in den diversen Sälen und Räumen der Burg. Unverändert sind die Tische mit weißem Leinen, Silber, Kerze, handgeschriebenem Namensschild auf Porzellan eingedeckt, das ist stilecht in diesen historischen Gemäuern. Als Amuse-Gueule gibt es eine Vichyssoise, geschmack- und sehr gehaltvoll, lecker, doch fast zu sahnig-schwer als Kleinigkeit vorweg in der warmen Jahreszeit. Der Flusskrebs-Cocktail besteht aus einem Löffelchen Flusskrebsfleisch aus dem Eimer in einem leicht säuerlichen Dressing auf einem Chicorée-Blatt mit einer Spalte Honigmelone und einem gebräunten Brotscheiblein, das laut Speisekarte nach Zitronengras schmecken soll, eine Großtat ist das alles nicht. Die Geflügel-Consommé ist ordentlich, das Gemüse zu weich, die Kräuterflädle wohl selbst gemacht, aber aufgeweicht. Das Mango-Sorbet zwischendurch erinnert mich sehr an die Pürees von La Fruitière du Val Evel aus Naizin, aber mit Sekt für Caro und Vodka für mich darüber ist das ein netter Zwischengang. Das Rinderfilet als Hauptgang ok, Kartoffelgratin dazu trocken, von der Form quadratisch-praktisch-gut, aber ok, Böhnchen ok, Sößchen ok, aber ich würde mal vermuten, dass außer dem Fleisch nichts davon selber zubereitet wurde, sondern alles aus der gehobenen Convenience-Ecke zusammengekauft und erwärmt wurde. Selbiges gilt für das Stücklein Apfel-Creme-Kuchen mit hausgemachtem Eis von gerösteten Mandeln. Das gesamte Dinner erinnert mich sehr, sehr stark an das Catering in  der Business Class auf einem Transatlantik-Flug, da habe ich oft ähnlich gegessen, nicht wirklich schlecht, aber vom Hocker reißt das Niemanden. Schieben wir’s für dieses Mal auf das Virus. Die Weinkarte Auf Schönburg wird dominiert von rheinisch-heimischen Positionen zu bezahlbaren Preisen, es gibt sogar eine Schönburg-Traube die auf eigenen Weinbergen angebaut wird, dazu ein paar Alibi-Franzosen und –Italiener, der Digestiv-Wagen (genau genommen die Digestiv-Vitrine) ist ebenfalls sehr übersichtlich, ein paar Sprit-Freunde haben einen Schönburg-Kräuterschnaps und einen Schönburg-Likör zusammen gebraut, den kein Mensch wirklich braucht. Das Servicepersonal schließlich durchweg sehr freundlich, kompetent, flott, höflich … so wie es halt sein soll, großes Lob. Die Hüttls haben u.a. einen jungen afghanischen Flüchtling als Azubi im Service eingestellt, ausgesprochen höflich, fast schüchtern, sehr aufmerksam, vom Tisch weg bewegt er sich nur rückwärts, jedes Mal mit einer tiefen, einer sehr tiefen Verbeugung, den Oberkörper um fast 90 Grad nach vorne geneigt, bis er einige Schritte entfernt ist, erst dann richtet er sich auf, dreht sich um und schreitet (schreitet, nicht geht) von Dannen. Wieder ein sehr seltsamer Ausschnitt des Lebens.

Noch ein ganz seltsamer Ausschnitt des Lebens erwartet uns am nächsten Morgen beim Frühstück im Burghotel Auf Schönburg. Die Besatzer bemühen sich wirklich auf’s Trefflichste, dem Klischee des hässlichen Imperial-Amerikaners gerecht zu werden. Mit der allergrößten Selbstverständlichkeit ist kein Einziger der Deutschen Sprache auch nur ansatzweise mächtig, mit der allergrößten Selbstverständlichkeit wird das Servicepersonal in verschiedensten Derivaten der Englischen Sprache herumkommandiert. Am Nachbartisch sprechen vier ältere Herrschaften einen ganz grässlichen Texanischen Akzent in einer Lautstärke, die vermuten lässt, dass Hörgeräte in Imperial-Amerika noch nicht erfunden sind; man lästert über eine adoptierte Person, die eigentlich gar nicht zur Familie gehöre und macht reichlich Witze über Lateinamerikanische Bedienstete. An der großen Tafel weiter hinten herrscht dieses betont lässige Westküsten-Sprech vor; der Aufprecher am Tisch lässt sich lautstark darüber aus, dass sein Bad im Hotelzimmer hier viel zu klein sei und dass sein Bruder in Hongkong lebe, wo die Hotels Bäder von richtiger Größe hätten. Die Siebzigjährige in rosa Turnschuhen und kurzer Sporthose, die ihre zellulitischen Beine erst so recht zur Geltung bringt, ist ein ganz entzückender Anblick beim Frühstück im historischen Schlossrestaurant. Ein Mann in Shorts mit Gürtel und zusätzlich breiten Hosenträgern füllt sich am kleinen, aber durchaus feinen Frühstücksbuffet seinen Teller übervoll mit Wurst, Käse, Brötchen, Marmelade, Obst; beim anschließenden Vernichten der Lebensmittel fuchtelt er wild gestikulierend mit dem Messer in der linken Hand, kurz darauf verlässt er den Ort des Geschehens, fast alle Lebensmittel ungegessen noch auf, respektive um seinen Teller verteilt. Eine junge Frau in Jogginghose hat beide Ellenbogen auf dem Tisch, den Rücken krumm und tief gebückt über eine Schale mit Cerealien, die sie mit einer Geschwindigkeit in sich hineinschaufelt, die nur noch von den lauten Schlürf-Geräuschen, die sie dabei produziert, übertroffen wird. Eine ältere Dame im pinken Kostüm und dickem Goldschmuck erinnert frappant an Evelyn Harper aus „Two and a half men“; am Buffet stapelt sie Kuchen, Wurst, Brötchen, Obst und Käse auf einen Teller, dann will sie noch ein Schüsselchen mit Marmelade füllen, kleckert aber geriatrisch die Marmelade über ihren vollen Teller; wie selbstverständlich stellt sie den Teller auf dem Buffet ab, nimmt sich einen neuen und beginnt erneut, ihn zu füllen: ich liebe die Ehrfurcht der Imperial-Amerikaner vor Lebensmitteln.


Burghotel Auf Schönburg
Pächter: Familie Hüttl
D-55430 Oberwesel
Tel.: +49 (67 44) 9 39 30
Fax: +49 (67 44) 16 13
Email: huettl@hotel-schoenburg.com
Online: www.hotel-schoenburg.com/de/

Hauptgerichte von 22,50 € (Gnocchi-Gemüsepfanne) bis 25,50 € (Rinderfilet oder Forelle), Drei-Gänge-Menue 39 € bis 56,50 €

Doppelzimmer Ü/HP 220 € bis 420 € (pro Zimmer pro Nacht; Vier-Gänge-Menue am Abend ist im Zimmerpreis enthalten, kostet für Nicht-Hausgäste 48 € pro Person)

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