Auf der Suche nach der Deutschen Gastronomie: XIII. Gasthof zum Kaiser Friedrich in Bremen

Tag 5: Hamburg – Bremen, 250 Kilometer, 5 Stunden Fahrtzeit, Übernachtung im Parkhotel Bremen, Abendessen im Gasthof zum Kaiser Friedrich


Danach gehen wir eine gute halbe Stunde durch den hübschen Bürgerpark, den wenig erbaulichen Hauptbahnhof, die Altstadt, vorbei an Rathaus, Stadtmusikanten und Dom in’s Schnoorviertel, ein alter, pittoresker Teil Bremens, früher Armeleute-Quartier von Flussfischern, kleinen Handwerker und Prostituierten, von den Zerstörungen des 2. Weltkriegs und der Bauwut der Nachkriegszeit weitgehen verschont, dann Kleinkunst-, Szene- und Studentenviertel, heute sind die winzigen, meist alten Häuschen bis zum Erbrechen aufgehübscht, verkitscht und vermarktet als touristischer Hotspot mit Geschäftlein, Kneiplein, Cafélein, Galerielein, … alles ist nicht nur alt, sondern auch klein und eng im Schnoorviertel, und so hocken Touristen-Abzock-Retorten-Schuppen dicht an dicht, um ihre perverse Retorten-Ware an dummes reisendes Zahlvolk zu verhökern, ich mag sowas nicht. Mir ist kein einziges Geschäft des täglichen Bedarfs aufgefallen, was ja vielleicht notwendig wäre, wenn hier noch Menschen leben würden, ein Bäcker zum Beispiel, aber dieses Schnoorviertel scheint weitgehend tot und der touristischen Vermarktung bzw. Ausbeutung überlassen worden zu sein. Dennoch haben uns die Bremer Freunde hierher zitiert, nicht des pittoresken Quartiers wegen, sondern weil hier eines der ältesten und auch authentischsten Bremer Restaurants zu finden sein soll, der Gasthof zum Kaiser Friedrich (Kaiser Friedrich deshalb, weil er 1888 im Todesjahr des Kaisers eröffnet wurde, wobei es sich mir nicht wirklich erschließt, warum man einen Gasthof nach einem todkranken Hundert-Tage-Kaiser benennt). Das Gebäude aus dem Jahre 1630 gehörte einst der Holsten-Brauerei aus Altona, also heute der Dänischen Bierkrake Carlsberg, entsprechend werden hier Carlsberg Biere ausgeschenkt; Apologeten des vermeintlich heimischen Becks Bieres können dennoch stillschweigen, Becks wurde 2002 für 1,8 Milliarden EURO an die Belgische Bierkrake Anheuser-Bush verhökert: man hat heutzutage in Bremen also die Wahl zwischen Skylla und Charibdis, wenn man nicht auf die tatsächlich noch heimische Freie Brau Union Bremen, die Bremer Braumanufaktur oder ein paar Wirtshaus-Mikro-Brauereien ausweichen kann. Seit 1992 betreibt Curt Uwe Richter den Kaiser Friedrich, nachdem er 13 Jahre lang selber als Smutje zur See gefahren war. Heute steht er in der Küche oder beim Klönsnack mit den Gästen bei reichlich Preussen-Schluck, dem hauseigenen Schnaps, der wohlfeil aus Flaschen ohne Etikett ausgeschenkt wird. Trotz der hohen hellen Sprossenfenster sind die Gaststuben eher düster, mehr Funzeln als Lampen, viel dunkles Holz an den Wänden und der Decke, auch die schweren Wirtshaustische und –stühle aus dunklem Holz, vielleicht 50 Sitzplätze innen, knapp dieselbe Anzahl zur schönen Jahreszeit vor der Tür, Fliesenfußboden, an den Wänden Photos vom glücklosen Kaiser und seiner Familie, von nach ihm benannten Schiffen und andere historische Aufnahmen, aber auch schon mal ein prominenter heutiger Gast, keine Tischwäsche, es geht rustikal zu, im Kaiser Friedrich, auch wenn die ehemaligen Senatoren der Freien und Hansestadt Bremen hier seit 1953 ihren Stammtisch haben, vor ein paar Jahren waren es insgesamt noch stolze 83 Stammtische, die sich regelmäßig im Kaiser Friedrich trafen, heute sind es keine 70 mehr, eine aussterbende Art, von der ein Wirt alleine nicht mehr leben kann, also braucht es touristisches Zahlvolk, das echte Bremer Küche kennenlernen will, also Leute wie uns. Während das Opitz in Hamburg mit dem Claim „Hamburger Küche ohne Gedöns“ für sich wirbt, offeriert der Kaiser Friedrich „Klassiker der norddeutschen Küche“, also selbstverständlich ganz viele Bratkartoffeln, verschiedene Heringe, Labskaus, natürlich Knipp (eine Art Grützwurst aus Schlachteabfällen, ähnlich dem Pinkel, eine Bremer Spezialität, muss man nicht unbedingt haben), Krabben (die werden nach Tagespreis berechnet, sehr vertrauenserweckend), Schollen, sonstiges Meeresgetier, Sauerfleisch, Bockwürste, Mettbrot, Rote Grütze, dazu ein paar jahreszeitlich wechselnde Angebote; die Schweinemadaillons mit Rahmchamignons, die Schweinefilets mit Sauce Hollandaise aus der Tüte und der Toast Hawaii sind dann wohl eher Zugeständnisse wenn schon nicht an den Zeitgeist, so doch an die kulinarische Orientierung mittel- und süddeutscher Touristen, die weder Matjes noch Sauerfleisch goutieren. Und warum jemand, der so gute Bratkartoffeln braten kann, dann zum Schweinefilet Tiefkühl-Röstinchen serviert, entzieht sich meinem Verständnis. Wenigstens gibt es keine Pulled Pork Burger, Flammenkuchen und Dry Aged Tomahawk-Steaks, aber ich befürchte, das kommt über kurz oder lang auch noch. Bereits was heute auf den Tisch kommt im Kaiser Friedrich, ist mehr als durchwachsen. Es fängt an beim Hackepeter-Brot vorab, eigentlich löblich, wenn solche einfachen, fast vergessenen Gerichte auf einer Karte stehen; was dann kommt, ist allerdings kein Hackepeter oder Mett – rohes, leicht entfettetes, gewolftes Schweinefleisch mit Gewürzen –, sondern durch pökeln etwas haltbar gemachtes Zwiebelmett, das Zeug aus den Plastikdärmen, halb so groß wie eine Salatgurke, das man beim Metzger kaufen kann. Hackepeter, das ist eine schwierige und kreuzgefährliche Sache für jeden Wirt, wenn da irgendwas nicht ganz frisch, nicht richtig gekühlt oder nicht richtig gereinigt ist, liegen die Gäste ruck-zuck gleich reihenweise im Krankenhaus; Hackepeter hat was von dem Nervenkitzel von Kugelfisch. Zwiebelmettwurst hingegen ist ein fertiges Produkt vom Händler, bei dem nicht viel passieren kann, wenn man es nicht gerade zwei Stunden in der prallen Sonne liegen lässt. Dass die Tomatencremesuppe wie bei Muttern schmeckt, kann zumindest ich so nicht bestätigen, denn bei meiner Mutter wurde die Tomatencremesuppe aus reifen Tomaten aus dem Garten gekocht und schmeckte sehr lecker. Das Limandesfilet (zu Deutsch Rotzunge) ist wahrscheinlich Tiefkühlware, ordentlich in Eihülle in Butter gebraten, allerdings nicht glasig, sondern faserig-zerfallend, die Kartoffeln stammen aus dem vorgeschälten und vorgegarten 50-kg-Convinience-Beutel, der Sahnesalat dazu ist einfach eine Schüssel voll gehacktem Eisbergsalat mit einem Schuss leicht gewürzter Sahne (Convenience oder nicht Convenience, das ist hier die Frage), bedeckt mit einer Handvoll Dosen-Mandarinen-Stücklein, diese orangen Schnitze ohne Haut und ohne weiße Schale, die zuerst in einem Salzsäure-Bad und dann in einem Natronlauge-Bad weggeätzt werden (und die trotzdem immer noch irgendwelche Menschen essen): alles in allem ein kulinarischer Reinfall. Die Matjes sind hervorragend, bester Fisch, perfekt gereift, die Sahnesauce ist suspekt, die Speckbohnen wieder aus dem Tiefkühlbeutel, wabbelig, ohne Biss, der einzige Geschmack stammt von dem Speck und Zwiebeln, in denen sie kurz geschwenkt wurden, die Bratkartoffeln wären in Bayern gut, in Norddeutschland eher unterer Durchschnitt. Der Spargel ist viel zu weich gekocht, die Rotzunge dazu w.o., die Schweinefilet-Medaillons tatsächlich rosa und zart, da gibt’s nicht zu meckern, die Kartoffeln w.o Und der Apfelstrudel zum Nachtisch Convenience-Scheiße. Für mich macht der Kaiser Friedrich den Eindruck, dass es sich dort jemand, der im Prinzip wahrscheinlich sogar sehr ordentlich kochen könnte, gemütlich und einfach gemacht hat. Nicht jeder mag die Kneipe um 01:00 Uhr Nachts zuschließen, Morgens um 05:00 Uhr auf den Großmarkt einkaufen und dann ab 08:00 Uhr frische Bohnen schnippeln und Kartoffeln schälen, und Beiköche zum Schnippeln und Schälen kosten Geld, Geld, das man wahrscheinlich nicht einfach so auf die Preise umlegen kann; da sind die Conveience-Säcke aus der Metro doch das leichtere Brot, sofern’s die Gäste kritiklos fressen, und das tun sie ja offensichtlich. Bei allem Gemotze, sympathisch an der Speisekarte ist die Reihe kleiner, einfacher, wohlfeiler Gerichte, Bratkartoffeln mit Spiegelei oder mit Brathering, Matjes- oder Schinkenbrot, auch als halbe Portionen, Strammer Max, Bockwürste, sogar eine Saure Gurke oder ein Spiegelei für je 1,80 EURO, genau das Richtige zum Bier für den kleinen Hunger.


Gasthof zum Kaiser Friedrich
Inhaber: Curt Uwe Richter
Lange Wieren 13
D-28195 Bremen
Tel.: +49 (4 21) 32 64 29
Fax: +49 (4 21) 32 31 93
E-Mail: info@kaiserfriedrich.de
Online: www.kaiserfriedrich.de

Hauptgerichte von 8,50 € (Bratkartoffeln mit 2 Spiegeleiern) bis 21,50 € (Rumpsteak mit Kräuterbutter und Salat), Drei-Gänge-Menue von 18,40 € bis 31,40 €


Heimwärts bummeln wir später Weser entlang, auf der lokalen Feiermeile an der Schlachte nehmen wir im Red Rock noch ein paar Drinks und laufen durch das verschlafene und verschuldete Bremen zurück zum Parkhotel. Die Nacht verläuft weitgehend ereignislos, das Frühstück auf der Terrasse ist mäßig, die Abreise erfolgreich.

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One comment

  1. Thomas Donat

    Der Gastrokritiker hat von Küche und Kochen keine Ahnung. Sonst würde er bei Knipp nicht von Schlachteabfällen sprechen. Schlachteabfällen sind vielleicht ausgekochte Knochen und Hufe oder Zähne. Selbst Augen gelten in manchen Kulturen als grosse Delikatesse und werde dem Gast vom Hausherren in den Mund gegeben. Fast überall in nördlichen Gegenden gibt s diese Form von Hafergrützzubereitung.
    Schottland Dänemark Norddeutschland. Im Zuge der Nose to tail Verwertung kommen diese traditionellen Gerichte wieder mehr auf den Teller.

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