Mit der größtmöglichen Brutalität

Da will einer eine Reise tun. Das Reiseziel ergibt sich aus den eigenen Wünschen, Sehnsüchten, Interessen: Karibik mit Sonne und Meer ohne Ende, Athen mit Kultur bis zum Abwinken, Thailand mit kleinen und ganz kleinen Mädchen, New York mit Shoppen bis die Kreditkarte glüht, Lyon mit Fresstempel-Marathon, Westerwald mit strammen Märschen und Jodeln in frischer Frühlingsluft … you name it, jeder hat da so seine eigenen Wünsche, Sehnsüchte, Interessen. Steht die Destination fest, so gilt es, eine Bleibe vor Ort zu finden. Früher, in meiner Jugend, gab es zu diesem Behufe eigentlich nur „Geheimtipps“ von anderen, befreundeten Reisenden, Presseartikel (damals wie heute meist bezahlt von den Hoteliers oder lokalen Tourismusverbänden), das klassische Reisebüro, dann die dicken Prospekte der Reisveranstalter auf billigem Papier, aber immerhin mit Bildchen, kurzen Beschreibungen der Herbergen und den Preisen, oder aber die drei- bis fünfzeilige Kleinanzeigen meist in der überregionalen Presse, so in dem Stil „Nette Frühstückspens. am Wörthers., 5 Min. z. See, alle Zim. fl. w. u. k. Wasser, unbegr. Kaffee zum Frühstk., um 120 S/N, Tel 0043/…“, dann rief man dort an, erkundigte sich nach geeigneten Vakanzen, ließ sich per Post ein Prospektchen schicken (meine Eltern hatten Schubladen voll davon), buchte telephonisch oder per Brief (Auslandstelephonate waren teuer damals, teurer als eine Briefmarke), leistete eine Anzahlung per Auslandsüberweisung (ebenfalls teuer) oder per Verrechnungsscheck, bekam eine Buchungsbestätigung per Post und die konkrete Urlaubsvorfreude konnte beginnen – trotzdem waren alle diese Buchungen weitgehend Blindfüge, man konnte sich nie sicher sein, wo man am Ende tatsächlich landete und was von den Versprechungen über die Ferne tatsächlich stimmte und was nicht.

Heute hat sich das vollends gewandelt. Die Reise-Kleinanzeigen sind weitgehend verschwunden, die gibt es fast nur noch für esoterischen Randgruppen („Deutsch-Nationale Pension in Bayr. Wald bietet unvergessliche Urlaubserlebnisse im Kreise Gleichdenkender …“ oder „Meditations-Urlaub zur Reinigung von Seele und Geist mit streng veganer Ernährung zur inneren Erleuchtung bei Guru Wischi-Waschi-Hatschi in Goa …“, sowas halt). Bezahlte oder nicht bezahlte Medienartikel gibt es nach wie vor, dazu umtriebige regionale Tourismusverbände, die ihre zahlenden Mitglieder wie der Teufel vermarkten, auch Reisebüros gibt es noch, wenngleich die analogen Reisebüros mit der netten, (scheinbar welterfahrenen, polyglotten) Dame hinter dem Counter es verdammt schwer haben angesichts der digitalen, Algorithmus-gesteuerten Konkurrenz im Internet von booking.com über TUI Reisen bis zur hinterfotzigen Affiliate-Vermarktung durch tripadvisor & Co. Und dann ist da natürlich noch die Datenkrake. Ich mag Google nicht, aber ohne ist das moderne Leben und Arbeiten kaum mehr möglich, leider. Der Suchstring „New York Hotel“ liefert heute – nach den bezahlten Platzierungen ganz oben auf der Seite – 1.224 Treffer, zu jedem Hotel kann man sich kostenlos Bilder anschauen, die Preise, die Ausstattung, die Verfügbarkeit, und man bekommt den direkten Link zur Website des Hotels. Man kann die Suche auf Google auch noch weiter einschränken, nach Preis, Sternen, Gästebewertungen, Ausstattungsmerkmalen wie Pool oder Lift usw. Das ist alles schon sehr kommod. Selbst für „Wanne Eickel Hotel“ bietet Google heute 114 Treffer, da muss doch einfach was passendes dabei sein.

Hat man nun ein oder mehrere Hotels in die engere Wahl gezogen, so gilt es, die eigene Entscheidung zu verifizieren. Die erste Quelle dazu ist natürlich die Webpage des Hauses selber. Solche Webpages sind meistens bunt, in den schönsten Farben, mit den größten Versprechungen, mit hübschen Bildchen, meist von professionellen Photographen. Ich würde mal schätzen, wenigstens 75% dieser Pages lügen, übertreiben, verschweigen wie gedruckt, zumindest zum Teil. Ein Korrektiv können die zahllosen Bewertungsportale liefern, auf denen tatsächliche Ex-Gäste oder professionelle Tester (oder „professionelle Tester“) dieser Häuser ihre Eindrücke schildern. Manche davon mögen echt und ehrlich sein, andere Gefälligkeiten für den Hotelier, sei aus Verbundenheit oder sei es gegen „gewisse Vergünstigungen“, wieder andere Rechtfertigungen vor sich selbst, warum man gerade so viel Geld ausgegeben und richtig dolle viel value for the money bekommen zu haben meint (auto-suggeriert man sich zumindest), dann gibt es – überraschend wenige – stocksauere Gäste, die tatsächlich Kakerlaken in der Sockenschublade oder Schimmel im Bad gefunden haben, manches davon ist durchaus gerechtfertigt, anderes ist überzogenes Etepetete-Gehabe, wieder anderes ist erstunken und gelogen, oder es ist pure Rache am Hotel, weil man zum Beispiel kein Zimmer-Upgrade bekommen oder sich beim Einchecken nicht dem eigenen Stand entsprechend zuvorkommend genug behandelt gefühlt hat. Und viele Schreiber auf diesen Bewertungsportalen sind ganz einfach Selbstdarsteller, die vor Allen mit ihren tollen Erlebnissen prahlen wollen (aber was schreibe ich da mit meinem opl.guide?). Wie dem auch sei, ich persönlich glaube den Bewertungsportalen ebenso wenig wie den gedruckten oder online Magazinen (oder den Politikern).

Hier hilft – zum Glück und leider – die Krake. Erstens mit Google Maps. Im Satelliten-Modus lässt sich die Lage eines Hotels genau verifizieren. Ich habe mir z.B. Dutzende Hotels in Italien in „unmittelbarer Strandlage“ (als die Kinder noch klein waren) auf den Satelliten-Bildern angeschaut, und dann war da zwischen Hotel und Strand eine Autobahn oder eine Eisenbahn, oder beides, oder ein Industriegebiet, oder, oder, oder … Solche Lügenmärchen der Webpages und Prospekte deckt Google Maps unbarmherzig auf. Dann ist da Google Street View, mit dem man in den meisten Fällen problemlos virtuell an dem Hotel und seiner Umgebung vorbeispazieren kann, da vermag man oft so einiges zu entdecken, was so nicht in der Hotelbeschreibung steht, Rotlichtviertel oder Partymeilen oder Betonschluchten zum Beispiel. Schließlich bietet Google Unmengen von Photos nahezu jedes Hotels und Restaurants, das einen interessiert, wahrscheinlich mit fragwürdigem Copyright im Netz zusammengeklaubt. Aber diese Photos – einerseits das professionelle, hübsche Material der Hotel- und Restaurantbetreiber und Reiseveranstalter selber, andererseits aber vor allem primitive Funken-Schnappschüsse von Gästen, die diese dann irgendwo im Netz auf irgendwelchen Pages gepostet haben, Google findet sie alle, trägt sie zusammen und macht sie seinen Nutzern kostenlos zentral verfügbar, an dieser Stelle: Danke Google – stellen zugleich die größtmögliche Brutalität in der Hotel- und Gastronomie-Kritik dar. Erzählen und schreiben kann man viel, Papier ist bekannter Maßen geduldig, und elektronische Speichermedien sind da nicht anders. Bilder sind heutzutage im Zeitalter von Photoshop und Instagram natürlich beliebig manipulierbar. Aber diese Funken-Schnappschüsse von Gästen sind gnadenlos, besonders beim Essen, das wird ohne jede Manipulation geknipst was das Zeug hält und hochgeladen ohne Sinn und Verstand, aber mit entwaffnender Ehrlichkeit. Da können die Webpage und die Speisekarte darauf das Blaue vom Himmel herunterlügen. Auf diesen Funken-Schnappschüssen ist jedes Tiefkühl-Röstinchen zu sehen (während die Speisekarte hochtrabend Rösti verspricht), jeder verwelkte Salat, jedes traurige Schnitzel, diese Bilder sagen mehr als tausend Worte, und hier manifestiert sich tatsächlich ein Schwarm-Phänomen, diese Bilder sind schonungslos ehrlich, uneinfangbar und unzensierbar – ein Graus für ganz viele Hotel- und Restaurantbetreiber, ein Segen für Gäste, die eine Speise- oder Nächtigungsstatt nach ihren spezifischen Vorstellungen suchen. „Das Schnitzel war hervorragend.“ ist das eine, eine eigene, subjektive Bewertung, als Leser kann man diese subjektiven Bewertungskriterien teilen oder auch nicht; fünf verschiedene Photos von Schnitzeln in einem Restaurant sagen da mehr, zumindest von der Optik kann ich für mich entscheiden, ob ich dieses Schnitzel mögen würde oder nicht. Was ich dann natürlich noch nicht weiß, ist, ob das Fleisch aus artgerechter Haltung kommt, ob es wässerig oder Sehnen- und Fett-durchzogen ist, ob es in Butterschmalz in der Pfanne gebraten oder in der Fritteuse gequält wurde, usw. usf. Und doch, nach zehn, zwanzig Photos von den Speisen eines Restaurants weiß ich, ob ich dort essen möchte oder nicht. Das gilt natürlich auch für Hotels, ihr Ambiente, ihre Lage, ihre Sauberkeit, ihre Ausstattung usw.

Diese gesammelten Laien-Hotel- und Restaurant-Photos von Schwärmen von Gästen sind für mich die größtmögliche Brutalität und zugleich Ehrlichkeit in der Hotel- und Restaurant-Beurteilung und eine äußerst wertvolle Entscheidungshilfe für mich – Danke, Schwärme.

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