Wenzel Leipzig: ich kapere mir eine wehrlose Regionalküche

Summa summarum: Mini-Restaurant-Kette, durchgestylt, durchgestreamlined, durchorganisiert, ziemlich gutes Personal, ziemlich miese Küche, die mit viel Gedöns behauptet, echt böhmisch zu sein, dabei aber nicht über Kantinen-Niveau, Convenience und Küchen-Klischees hinauskommt

Johannes Anton Vittinghoff, Matthias Pfitzner oder Michael Möckel, man kennt sie ja, diese ur-tschechischen, böhmischen, ja slawischen Namen wie Vittinghoff, Pfitzner oder Möckel, noch vor dem Josef Schwejk, Jára Cimrman oder Pan Tau. Nur wohnen die Herren Vittinghoff, Pfitzner und Möckel nicht in Tschechien, sondern in Dresden bzw. Radebeul, was sie allerdings nicht daran hindert, eine böhmische Restaurant-Kette mit dem hübschen Namen Wenzel Prager Bierstuben (Wenzel, das ist dann tatsächlich ein echter tschechischer Name, Svatý Václav, der Heilige und Hauspatron der Přemysliden, seit 2000 mit einem eigenem staatlichem Feiertag dem 28. September geehrt) mit neun Dependancen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR von Warnemünde bis Zwickau zu betreiben, mit gut 100 Mitarbeitern und gut 7 Millionen EURO Umsatz in 2020. Das ist ja zunächst einmal nichts Verwerfliches.

Die Lokale befinden sich allesamt in allerbesten Innenstadt-Lagen, die Inneneinrichtungen von der Kneipen-Einrichtungs-Stange, auf rustikal getrimmte moderne System-Möbel, wenig Deko-Tinnef, blanke Holztische, aber – klar – weder Patina noch Authentizität, das könnten alles auch stylische Autobahnraststätten sein, dem Federwisch irgendeines Innenarchitekten entsprungen, aber um Amis oder Chinesen „German“ (bzw. „Czech“ – aber ist doch eh alles fast dasselbe, wenn man mit imperialen Blick draufblickt) „Gemutlichkeit“ vorzugaukeln, reicht’s allemal, immer noch gemütlicher als ein McDonalds, und wohlfühlen muss man sich ja nicht zwangsweise. Die Speisekarten der neun Dependancen sind weitgehend identisch. Natürlich gibt es tschechisches Bier – Budweiser, Krušovice, Stratopramen, Bakalář, kein Pilsener. Schon bei den Vorspeisen kommt der Gast, der schon mal in Tschechien war, in’s Grübeln. Topinky und Knoblauchsuppe, von mir aus auch noch Gulaschsuppe würde ich ja als orginäre tschechische Vorspeisen durchgehen lassen; Soljanka und Schopskisalat sind typische Balkan-Gerichte (und zum Balkan gehört die altehrwürde Tschechei bestimmt nicht), die zu UdSSR-Zeiten den ganzen Ostblock überschwemmten, und in 55 Jahren regelmäßiger Karlsbad-Besuche hätte ich noch nie etwas von Karlsbader Talern (Reibekuchen aus Kartoffeln, Möhren, Lauch, gegen Aufpreis von 3,45 EURO mit Räucherlachs) gehört, geschweige denn von Knödelpommes („Pommes“ aus böhmischem Knödelteig mit Ketchup und Tatarensoße – wer erfindet denn sowas, wer kocht das, und – vor allem – wer frisst das?). Das gilt auch für „Plamen“ (zu Deutsch „Flamme“), angeblich böhmischer Flammenkuchen; meine paar Dutzend tschechische / böhmische / sudetendeutsche Kochbücher schweigen sich bei diesem Suchbegriff aus, selbst das allmächtige Google liefert hier keinen einzigen passenden Treffer. Sollte das alles etwa eine freie tschechiisierende Erfindung sein, noch dazu eine, die man wohlfeil als Tiefkühl-Convenience erstehen kann und nur noch kreativ neu benennen muss? Auf der Speisekarte findet sich dazu der vielsagende Hinweis: „Keine Gewähr. Die Geschichte erzählte uns unser tschechischer Koch nach einem geteilten Biermeter.“ Die Hauptspeisen sind dann eine Orgie der derben Fleischeslust: Kasslernacken, zwei verschiedene Schweinshaxen, Schweine- und Rinderrouladen (letztere allerdings ohne das für Böhmen typische Würstel in der Füllung), meine geliebte Svíčková (ein Sahne-Rinderbraten, der ist tatsächlich echt böhmisch), Wildschwein- und Rinderbraten, Ente, Kalbsschnitzel und natürlich den weltberühmten „Wenzelburger“, wer kennt es nicht, dieses typische tschechische Nationalgericht, das schon Wallenstein nach der Überquerung des Rubicon bei der Schlacht gegen die Heere Henry Millers bei Stiklestad aß? Als Beilagen werden vorwiegend Böhmische und Kartoffelknödel, Sauer- und Rotkraut serviert. Für Fleischverachter gibt es gerade mal drei Gerichte (Kräuter-Palatschinken, gebackenen Käse, Käseburger, wieder mit diesen Knödelpommes), und das ist gut so; Fisch findet sich kein einziger auf der Speisekarte. Zum Nachtisch werden dann noch Palatschinken, Quarkknödel, Buchteln und Eis geboten, und wieder eine ganz eine aparte Kreation, Knödelsticks geröstet, in Zucker und Zimt gewälzt, mit Apfelmus und Vanillesauce, hier neckisch „Wenzel-Striezelchen“ geheißen.

Was soll man sagen? Der Laden brummt bei unserem Besuch, die Bedienungen sind flott, gestresst, engagiert, sehr freundlich, dazwischen aktiv unterstützend und tatkräftig mit anfassend der Filial- oder Schichtleiter, solches Personal wünscht sich jeder Gastronom (und jeder Gast, vielleicht mit etwas weniger Stress). Eine nämliche Beobachtung hatten wir bei einem vormaligen Besuch des Wenzels in der Dresdner Königsstraße gemacht: für gutes Personal auf Kneipen-Niveau – ich meine das nicht böse oder abwertend, gute Kneipen-Kellnerei im Stechschritt ist wahrscheinlich anstrengender und anspruchsvoller (und schlechter bezahlt) als so manches Kaviar-Kredenzen in der Hochgastronomie – scheinen die Macher der Wenzel-Kette ein Händchen zu haben. Das Bier ist auch gut, frisch gezapft, schnell serviert, dazu reichlich kalten Becherovka. Aber das Essen erreicht durchweg – höchstens – Kantinen-Niveau. Jeder Teller sieht aus, wie mit Schöpfkelle aus der Gulaschkanone auf’s Geschirr geknallt (quasi die Gericht-gewordene Antithese zum Tellerikebana). Die Knoblauchsuppe ist ein dünnes Hühnersüppchen mit penetrant viel scharfem Knoblauch und zu Brei zerkochtem Gemüse. Die Svíčková ist lauwarm, zwei fasrige, kleine Stückchen vom falschen Filet, die Sauce dubios, die Knödel angetrocknet, wahrscheinlich Convenience. Der Kasslernacken tatsächlich saftig, das Sauerkraut ziemlich gut, die Sauce wieder dubios, und alles lauwarm. Wenn die Palatschinken – wabblige Mehlfladen – zum Dessert tatsächlich frisch gebacken waren, so will ich Eusebius heißen, dazu industrielles Vanillineis, industrielle Schokosauce und ein dicker Klecks Sprühsahne. Wir haben’s nach zwei Bissen stehen lassen.

Es hat keinen Spaß gemacht, in den Wenzel Prager Bierstuben zu essen, weder in Leipzig noch in Dresden. So identisch, wie die Gerichte auf den Speisekarten stehen, so identisch, wie sie angerichtet sind und so identisch, wie sie schmecken (oder auch nicht) ist es schwer vorstellbar, dass in jeder der neun Filialen des Gastronomie-Kettchens ein kreativer, schwitzender, dicker, wohlmeinender, ausgebildeter Koch aus Böhmen oder Tschechien am Herd steht und sein eigenes, kulinarisch individuelles Süppchen voller Herzensblut kocht; eher vorstellbar ist dann schon, dass ein gemeinsames Convenience-Backbone alle Filialen mit dem selben, zentral vorproduzierten Zeugs versorgt. Für mich klingt das so, als ob sich windige, aber clevere Geschäftsleute eine wehrlose Nationalküche gekapert, schöne Geschichtchen erfunden und Schildchen gemalt haben, und das ganze dann unter dem Marketing-Deckmantel der regionalen Authentizität massenhaft ausrollen. Ein Trauerspiel und eine Herabwürdigung der tschechischen / böhmischen Küche. Aber gut tschechisches Bier saufen lässt es sich allemal, in den diversen Wenzel Prager Bierstuben.

Es gibt viele solcher Ethno-Food-Scharlatanerien, allen voran im asiatischen Segment, wo dem europäischen oder imperialen Geschmack angepasste, verfälschte Länderküchen aus Thailand, Vietnam, Korea, Japan und natürlich den vier kulinarischen Groß-Regionen Chinas auf’s übelste vermischt und verhunzt als pauschale „asiatische Küche“ vermarktet werden; und die wenigsten von uns bemerken, welcher kulinarische und kulturelle Affront es ist, wenn man en passant sagt „Geh’n wir heute Abend zum Asiaten?“ oder – ungleich diskriminierender „zum Chinamann?“ Stellen Sie sich einmal vor: ein Restaurant in Singapore, das norwegische bis kroatische Speisen zugleich anbietet: „Geh’n wir heute Abend zum Euromann?“ Im Wenzel hat man sich nun halt die – wehrlose, Länderküchen sind fast immer wehrlos, lässt man das EU-Monster g.g.A. einmal außer Betracht – tschechische / böhmische Küchen herausgegriffen und vermarktet sie gekonnt und industrialisiert. Das macht mir keine Freude.

Trotzdem gibt es sie, die echten tschechischen / böhmischen Restaurants. Wo immer ich dieses Label finde, mache ich mich auf, meine geliebte Svíčková zu essen, meistens werde ich enttäuscht, aber nicht immer. Der quirlige Josef Micek in seinem Hurvinek in Dresden, der stets irgendwie mürrische Jörg Slaschek in seinem Rabenkopf in Ried bei Kochel, mein allzeit hoch geschätzter Erhard Spacek hat ja nun wohl leider das Küchenhandtuch für immer geworfen. Und wer immer einen Tipp für ein herausragendes, traditionelles tschechisches / böhmisches Restaurant hat, gradheraus her damit, ich bin dankbar für jeden Hinweis.


Wenzel Leipzig
Kleine Fleischergasse 8
04109 Leipzig
Deutschland
Tel.: +49 (3 41) 99 99 89 18
Online: www.wenzel-restaurant.de

Wenzel Gastronomie GmbH
Wenzel Prager Bierstuben ist eine unter der Urkundennummer 398 75 393 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingetragene Wort- und Bildmarke.
Geschäftsführer: Michael Möckel, Johannes Vittinghoff
Carolinenstraße 1a
01097 Dresden
Deutschland
Tel.: +49 (3 51) 89 93 20
Fax: +49 (3 51) 8 99 32 1 9

Hauptgerichte von 8,95 € (Kräuterpalatschinken mit Käse, Salat) bis 22,95 € (Wiener Schnitzel mit Kartoffel- und Gurkensalat), Drei-Gänge-Menue von 18,85 € bis 42,85 €

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