Die Karin Kramer, die ist gelernte Hauswirtschaftsmeisterin und Bäuerin in Westoverledingen an der Ems im tiefsten Ostfriesland, und wenn die Rinder sie nicht vollends beschäftigen, schreibt sie dort auch Kochbücher, Kochbücher – so steht es im Klappentext –, die über die Region hinaus bekannt sind, Kochbücher, aus denen die Hingabe zum Kochen und Essen spricht, Kochbücher, die Appetit machen auf Ostfriesland. Soweit der Klappentext. „Ostfriesland kocht. Traditionelle Gerichte in der modernen Küche“ heißt Karin Kramers bisher größtes Buch mit 270 Hochglanz-Seiten, 2016 im Ostfriesland Verlag erschienen und für stolze 36,95 EURO käuflich zu erwerben. Angesichts des sonst eher spärlichen Angebots an lokalen Kochbüchern erwirbt es der Kochbücher sammelnde Reisende natürlich beim Aufenthalt in Ostfriesland. In dem Buch finden sich dann viele Bilder von dem Land und seinen Leuten, dazu Geschichten von Krabbenfischern mit Trotz, von Ziegenkäsern, vom Schweineschlachten, vom Räucherfisch, von Heidelbeerzüchtern (die Autorin behauptet tatsächlich, die riesigen Zucht-Heidelbeeren mit ihrem geschmacklosen weißen Inneren seien kulinarisch von Belang – das ist mehr als ein Armutszeugnis), vom größten Labskausessen der Welt und von 30 Sorten Grünkohl, dazu natürlich Ablichtungen all der Speisen, für die sich Rezepte im Buch finden.
Rezepte in dem Buch … das ist dann so’ne Sache. Gleich das Erste gibt Anweisung, man solle Brokkoli mit Zwiebel, Salz und Zucker in Wasser zerkochen, sodann pürieren, mit Sahne und Mehl binden und mit Muskat und Zitronensaft würzen, um eine Brokkolicremesuppe zu erhalten. Na bravo, für solcherlei Banalität brauche ich kein Ostfriesisches Kochbuch, dazu brauche ich gar kein Kochbuch. Ich wage auch mal massiv zu bezweifeln, dass es ein typisch ostfriesisches Gericht ist, wenn man Hähnchenbrust pfeffert, mit Bacon umwickelt und dann in einer Sauce aus Saurer Sahne, Ketchup, Tomatenmark, Stärke, Zucker, Salz, Paprikapulver und viel Reibekäse überbäckt. Rote Grütze ist zwar typisch Norddeutsch, aber sicherlich nicht in Form eines Glases Sauerkirschen, das mit Sago und Zucker aufgekocht wird. Neben diesen kulinarischen Fragwürdigkeiten gibt es dann viele kulinarische Allgemeinplätze in dem Buch, Rouladen etwa, Hühnerfrikassee, Entenbraten, Petersilien-Pesto, Eier in Senfsauce, Tomatensalat … das ist weder typisch Ostfriesisches noch braucht es dazu ein spezielles Kochbuch. Interessant wird das Buch erst dann, wenn es zu echten Ostfriesischen oder zumindest Norddeutschen Gerichten kommt: Speckendicken (süße, gewürzte Roggenmehl-Waffeln mit Mettwurstscheiben und Speck), Snirtjebraa (geschmortes fettes Schweinefleisch mit typischer Piment-Würzung), Krabbenfrikadellen, Greetsieler Krabbensuppe, Buchweizetorte, natürlich Grünkohl mit Pinkel, … Hier liefert Kramer detaillierte, anschauliche, nachvollziehbare Kochanweisungen, und dazu Bilder, die einen Eindruck von vielleicht noch unbekannten Gerichten geben, die Appetit machen und Hilfestellung beim Kochen geben können. Wenngleich wohl alle diese Gerichte allgemein Norddeutsch sind und kaum typisch und speziell nur für die Region Ostfriesland, so macht es doch Spaß, diese Rezepte und ihre regionalen Besonderheiten – etwa Speckpfannkuchen mit Preiselbeersahne zu servieren oder Hackbraten mit Haferflocken zu verlängern – zu lesen und auch als Anleitung für das nächste Norddeutsche Essen herzunehmen.
Alles in allem, wenn man „Ostfriesland kocht“ auf ein Drittel eindampfen würde, all die kulinarischen Fragwürdigkeiten und die kulinarischen Allgemeinplätze, die weder Ostfriesisch sind, noch die jemand wirklich braucht, einfach in die Tonne träte, dann hätte man in der Tat ein beachtliches Ostfriesisches / Norddeutsches Kochbuch. Aber das könnte man dann wahrscheinlich nicht mehr für 36,95 EURO verkaufen und der ganze Schmonzens würde sich nicht mehr rechnen. Daher wohl das überflüssige Seiten-Füller-Material.
Karin Kramer: Ostfriesland kocht. Traditionelle Gerichte in der modernen Küche. Edition Ostfriesland Magazin. Norden 2016, Ostfriesland Verlag, 36,95 EURO