Ich bremse. Man weiß ja, was sich im Straßenverkehr gehört. In diesen meditativen Augenblicken vor der roten Ampel scheint es, als stünde der Zeiger der Lebensuhr für kurze Zeit still. Der Blick schweift ab.
Rechts neben mir sucht ein tiefer gelegter Schnauzbart mit seinem Zeigefinger die undichte Stelle in seinem Kopf. Er hat sie gefunden. Es ist seine Nase. Zuerst habe ich ihn gar nicht gesehen, weil der Recaro-Sitz so weit nach hinten gestellt war, als würde er rennrodeln und keinen getunten Opel Asthma fahren. Auf dem getönten Heck klebt unter einem riesigen Pit Bull-Aufkleber der Schriftzug „Opel-Kampfgeschwader München Ost“. Sein Auspuff ist bestimmt auch breiter als sein Bücherregal, denke ich mir. Freud hätte seine Freude an der psychologischen Interpretation dieses Auspuffsrohrs. Aus seinen Radio-Lautsprechern brüllt eine schrille Werbestimme irgendetwas von irgendwelchen Aktionswochen in irgendwelchen Möbelcentern. Vielleicht kauft sich Schumi III von nebenan ja dort seinen nächsten tiefer gelegten Fernsehsessel.
Gegenüber auf der Linksabbieger-Spur steigt weißer Rauch aus dem Autofenster-Spalt. Der Fahrer scheint Wert auf frische Luft zu legen – ein umweltbewusster Raucher. Am Heck seines frühkapitalistischen Ladas prangt umrahmt von schillernden Rostflecken ein „Tempo 100 auf Autobahnen“-Aufkleber. Schön, wenn man immer so schnell fahren könnte, denke ich mir.
Währenddessen zieht ein Dackel zwei graue Mephisto-Schuhe inklusive einer stark betagten Dame über den Fußgängerübergang. Das Ampel-Männchen wechselt leider viel zu schnell die Farbe, denn der Dackel-Omi folgt eine bauchfreie Blondine im Minirock. Die Blicke rasten wie die Kupplung eines VW Käfers spürbar ein. Zum Glück gibt´s Sonnenbrillen. Sie wird sich erkälten, sorge ich mich noch, da schaltet die Ampel um.
Plopp – HNO-Schnautzi von rechts zieht den Finger aus der Nase. Der Nikotin-Öko auf der linken Spur überlegt noch kurz, welchen der vier bis fünf Gänge er bei seiner automobilen Gehhilfe einlegen soll, dann geht´s weiter.
Grün.