Nun also das Taj Mahal in Bombay. Bevor ich der political incorrectness gezeiht werde, ein einheimischer Taxifahrer, angesprochen, was denn nun richtig sei, Mumbai oder Bombay, hatte unvermittelt das Zetern und Wettern angefangen, Mumbai, das sei die Erfindung irgendwelcher Indischer Nationalisten, die 1996 die Umbenennung der Stadt durchgesetzt hätten, Bombay sei schon immer eine Portugiesische Siedlung gewesen, Bombay leite sich ab von Portugiesisch bom baía, was so viel wie „Gute Bucht“ bedeute, obwohl Herr Chaves, der Portugiesische Hausmeister meines Vaters sagt, es müsse korrekt boa baía heißen. Ich halte mich da raus. Zum Hotel Taj Mahal gäbe es viel zu sagen. Es geht die Legende (belegt gefunden habe ich sie bisher nirgends), dass Jamshedji Nasarwanji Tata, gebildeter, hoch angesehener und schwerreicher parsischer Begründer der Industrialisierung Indiens und des nach ihm benannten Konzerns Ende des 19. Jahrhunderts an einem Britischen Club in Bombay der Tür verwiesen wurde – „Kein Eintritt für Hunde und für Inder!“, soll es geheißen haben – und er sich daraufhin schwor, das beste Hotel der Welt zu schaffen, um dann seinerseits allen Briten den Eintritt zu verweigern (Briten dürfen heute zwar auch in das Taj Mahl, aber dass Tata 2008 die Britischen Industrie-Ikonen Jaguar und Land Rover übernommen hat, mag eine späte, aber verdiente Genugtuung gewesen sein). Eine Geschichte muss nicht stimmen, Hauptsache, sie ist gut erzählt, und so wurde 1903 das Taj Mahal Hotel in Bombay – benannt nach dem berühmtesten und prunkvollsten Gebäude Indiens, dem Mausoleum der Arjumand Bano Begum in Agra – eröffnet, und – bei Gottfried – bis heute spielt dieses Hotel (das noch immer der Familie Tata gehört, neben Dutzenden anderer Spitzenhotels rund um die Welt) in der absoluten Oberliga mit, und dass Bill Clinton ins Oberoi ging beweist ein um’s andere mal mehr die Kretin-Haftigkeit des imperial-amerikanischen Ostküsten-Establishments. Wie gesagt, zum Hotel Taj Mahal gäbe es viel zu sagen, auch über die tragischen Anschläge vom November 2008, ich beschränke mich jetzt einfach mal auf ein Zitat des hoch geschätzten Ilija Trojanow, deutsch-bulgarischer (oder bulgarisch-deutscher?) Schriftsteller und Verleger, der unlängst in Dresden sehr kluge Dinge über die Selbstzensur sagte (aber ich schweife schon wieder ab): „Wer sich einmal an die Suiten des Taj Hotel in Mumbai gewöhnt hat, dem wird ein normales Hotelzimmer wie ein Obdachlosenasyl vorkommen.“
Wir haben unseren Nachmittags-Tee im Schatten der Arkaden des Innenhofs des Hotels genommen. Nichts Besonderes, das Übliche halt, Scones mit Clotted Cream und Orangen- und Erdbeermarmelade, Lachs-Dill-, Ei-Kresse- und Gurkensandwiches, ein paar quietsche-pink glasierte Törtchen, dazu einen SFTGFOP1 (Special Finest Tippy Golden Flowery Orange Pekoe First Flush), einer der feinsten Darjeeling-Tees, die man für Geld kaufen kann, aus einem Ort, dessen Namen ich nicht mal aussprechen, geschweige denn mir merken kann, dazu ein paar Gläschen verdächtig wohlfeilen Krug-Champagner, alles serviert von „Boys“, jungen, perfekt geschulten indischen Kellnern in schneeweißen Uniformen mit Stehkragen-Jacken, weißen Handschuhen und schwarzen Lackschuhen: würde Queen Victoria (ich weiß, obwohl sie 1877 in Delhi zur Kaiserin von Indien proklamiert wurde, hat sie Indien nie besucht) mit ihrem Gefolge um die Ecke kommen, niemand würde es wundern oder stören, in dieser stillstehenden Zeit im Taj. Mag die Zeit auch stillstehen, meine Magen- und Darmsäfte tuen es nicht, und so erhebe ich mich, um die nächste Toilette in diesem Prunk-Ensemble aufzusuchen. Ich schreite eine breite Marmor-Treppe hinab in die Eingeweide des Gebäudekomplexes, einen kurzen Gang entlang, dann sagt mir eine schwere, mit Intarsien reich verzierte Tür mit der Aufschrift „Gentlemen“, dass ich mich hier der Scones, Clotted Cream, Orangenmarmelade, Erdbeermarmelade, Lachs-Dill-Sandwiches, Ei-Kresse-Sandwiches, Gurkensandwiches, quietsche-pink glasierten Törtchen sowie des SFTGFOP1 und des Krug Champagners verlässlich und gewiss stilvoll entledigen kann. Ich öffne die Türe, und alles, was nicht Marmor, wertvolle Hölzer, teure Metalle, edle Armaturen, ausgetüfteltes Licht, Wohlgerüche trotz der nahen Kloake gewesen wäre, hätte mich verstört, aber kein Problem, alles luxuriöst (sofern es überhaupt einen Superlativ von „luxuriös“ gibt), wie erwartet. Nicht erwartet allerdings war der alte Mann, der auf einem Schemel direkt neben dem Eingang sitzt und wie von der Tarantel gestochen aufspringt, als ich die Tür aufstoße. Er ist vielleicht 70 Jahre alt, halb-langer, gepflegter, weißer Bart, ganz in Weiß gekleidet, dazu ein ebenfalls schneeweißer Turban und Ledersandalen an den baren Füßen. Vor Schreck zucke ich zusammen, der alte Mann kreuzt die Hände über der Brust, macht einen kurzen Diener, geht sodann zügigen Schrittes Richtung der Toiletten-Kabinen, öffnet mir eine Türe und stellt sich, mich freundlich, aber würdevoll anblickend neben die offene Türe. Alles an diesem Manne strahlt Würde und innere Ruhe aus. Er sollte nicht hier, hier unten in diesem Tageslicht-losen Marmor-Fäkalien-Palast sein, denke ich mir. So ein Mann sollte oberster Indischer Verfassungsrichter sein, der Staatpräsidenten vereidigt, oder ein Guru, den seine Jünger verehren und die er weise leitet, oder hoch-geachteter Dorfältester, der seine Leute klug durch die Unbillen der Zeit führt. Aber nein, er ist hier unten und strahlt doch eine Würde aus, die jedem Gericht, Ashram oder Ältestenrat zur Ehre gereichte. Würde hin, Würde her, mich befällt kurze Zeit die Panik, der alte Mann werde jetzt mit mir in nämliche Kabine kommen, um mir dort noch bei meinen intimsten Verrichtungen dienstbar zu sein, aber nein, zum Glück schließt er die Türe von außen, nachdem ich die Kabine betreten habe, und lässt mich mit meinen Geschäften alleine. Als getan worden ist, wonach die Natur verlangte, öffne ich Kabinentüre, der alte Mann steht an der nämlichen Stelle, wo ich ihn verlassen hatte, jetzt allerdings mit einem silbernen Tablett in den Händen, darauf ein zusammengerolltes, kleines, feuchtes, angewärmtes, noch leicht dampfendes weißes Frotteehandtuch, das er mir reicht, um eine erste Reinigung meiner Hände vorzunehmen. Sodann flitzt – „flitzen“ ist das treffende Verb hier, von „würdevoll schreiten“ keine Spur, „Wiesel-gleich flitzen“ trifft es ungleich besser – der Alte zum Waschbecken, wo er mit geübten Händen die Messing-Wasserhähne aufdreht, kurz die Temperatur des Wassers kontrolliert und sodann just in dem Moment beiseitetritt, als ich mit meinem angewärmten, feuchten Frotteehandtuch das Waschbecken erreiche. Er streckt mir das silberne Tablett entgegen, auf das ich instinktiv das Handtuch zurücklege, plötzlich – ich weiß nicht, woher, ist der Kerl etwa Kali mit den zehn Armen, aber nein, er trägt keine Kette aus Totenschädeln – hat er einen ebenfalls silbernen Seifenspender in den Händen und gibt mir wohlriechende Seife auf die Hände, wenigstens waschen darf ich dieselben dann selber. Überflüssig zu sagen, dass der Alte nach erfolgter Waschung wieder mit seinem Silbertablett neben mir steht, auf dem ein weiteres weißes, jetzt trockenes Frotteehandtuch liegt. Als ich mir die Hände abgetrocknet habe spritzt mir der Alte einem weiteren silbernen Spender Handcreme auf die Hände, und als ich diese verrieben habe hat er schon einen altertümlichen Flacon aus Kristall mit Zerstäuber-Ball in den Händen und sprüht mir ein Eau de Cologne über die Hände. Während ich auch dieses auf meinen Händen verreibe stellt er Flacon beiseite, schreitet würdig zur Tür und erwartet mich dort. Auf dem Weg zur Türe überlege ich mir, ob nicht ein üppiges Trinkgeld für die – zumindest für mich – ausgesprochen ungewöhnlichen, aber perfekten Dienste des alten Mannes angebracht wäre; nirgends aber sehe ich – wie auf europäischen Toiletten so oft – einen Teller oder ein Körbchen, worauf man ein paar armselige Münzen wirft. Ich glaube auch, ein paar Münzen, selbst ein paar Scheine würden den alten Mann in seiner Würde kränken, aber ich kann ich irren. Als auch ich die Tür erreiche öffnet er sie für mich mit einer leichten Verbeugung und entlässt mich zurück in die Welt des „normalen“ Hotels, ohne dass wir auch nur ein Wort gesprochen hätten. Beim Verlassen des Toiletten-Palastes bin ich verstört.