Den Gewürzmarkt oder Ägyptenbasar hinter der Yeni Cami Moschee haben wir zügig hinter uns gelassen, Kontrollen an den Eingängen zum Markt, jeweils eine Frau mit Metallscanner, ein junger Mann mit umgehängter martialischer Maschinenpistole, ein anderer mit Pistole blank im Ledergürtel steckend, ohne Halfter, aber alle mit Westen bekleidet, die sie als Polizei identifizieren, wobei ich mich schon frage, was das für eine Polizei sein mag, die über Pistolen verfügt, nicht aber über Halfter dafür. Einerlei, wir fühlen uns sicher und von keiner Seite irgendwie bedroht, sicherer allemal als in manchen Gegenden Berlins oder von Paris. Freundliche Aufforderungen der Verkäufer dort, doch echten Türkischen Safran oder Kaviar zu erwerben (ganz preiswert übrigens, wie die Händler versichern, und von bester Qualität), Zuckerwaren, bei denen die Plomben freiwillig aus den Zähnen kommen, Gewürze in großen Mengen von fragwürdiger Qualität, gefälschte Uhren, Taschen, Textilien … Türkischer Basar halt.
Wir gehen nach Norden, parallel zum Wasser und der Abdülezelpaşa Straße durch kleine Sträßchen und Gässchen, spätestens hinter der Atatürk-Brücke haben wir die allerletzten Touristen hinter uns gelassen, die kleinen Läden und Restaurants noch immer dicht an dicht, man fragt sich, wie diese Händler überleben können, aber offensichtlich können sie es, und es sei ihnen von Herzen gegönnt, zumindest hier scheint der Raubtierkapitalismus noch nicht seine blutigen Spuren zu ziehen. In einem der winzigen Grillrestaurants essen wir zu Mittag, frisch gegrillte Kebab vom Holzkohlegrill, frisches Fladenbrot und Pide aus dem Holzofen, Salat, Tee, Wasser; wir sitzen auf niedrigen Hockern vor dem Restaurant auf der Straße, den Tee bringt auf Zuruf unseres Wirtes der Kollege vom Teehaus auf der anderen Seite der Straße gegenüber, traditionell auf einer großen kupfernen Platte mit reichlichen Verzierungen. Eine quirlige Szenerie von Fußgängern, mal schlendernd, mal zügig schreitend, laut plärrenden Straßenhändlern, Holzkarren in allen Formen und Größen, Mopeds, dann und wann quält sich ein Auto durch die engen Gassen. Aus einem Laden schräg gegenüber schüttet jemand einen Eimer dreckigen Putzwassers auf das ohnehin schon glatte Kopfsteinpflaster der Gasse. Unser Essen wird gebracht, wir essen, es könnte ehrlicher und leckerer und authentischer nicht sein. Ein Mopedfahrer kommt herangeknattert, recht schnell für die enge belebte Gasse, natürlich ohne Helm und Schutzkleidung, hinten auf dem Moped hat er eine offene Kiste mit Textilien, wohl Handelsware für eines der Geschäfte, er kommt auf das nasse Kopfsteinpflaster, verreißt die Lenkung und legt sich mitsamt seinem Moped volle Möhre auf die Schnauze, der Inhalt der Kiste fliegt quer über die Straße, der Fahrer liegt mit einem Bein unter dem Gefährt auf dem Pflaster. In Deutschland hätten die Leute wahrscheinlich erstmal ein Selfie mit verunglücktem Mopedfahrer gemacht, weggeschaut oder bestenfalls per Funke einen für so etwas zuständigen Rettungsdienst mit Kriseninterventionsteam samt Notfallpriester beordert. Nicht so in der Türkei. Unser Wirt springt herbei, andere Passanten ebenso, der eine hebt das Moped vom Bein des Verunglückten, stellt es auf, beginnt, die abgefallenen Plastikteile des Mopeds einzusammeln (jetzt erst realisiere ich, dass das klapprige Teil im Wesentlichen von Paketband zusammengehalten wird) und versucht, diese wieder irgendwie an passender Stelle an das Moped dranzufummeln, unser Wirt hilft dem Fahrer auf die Beine, erkundigt sich wohl nach seinem Zustand, ein Dritter bringt einen dieser niedrigen Hocker aus den Straßenrestaurants, damit sich der noch immer benommene Fahrer setzten kann, ein Vierter beginnt, die über die Straße verteilten Textilen einzusammeln, notdürftig zusammenzulegen und wieder in der Kiste auf dem Moped zu verstauen, die Bedienung aus dem Teeladen bringt einen Tee für den zwischenzeitlich sitzenden und sich sein Bein reibend Mopedfahrer. Nach zwei, drei Minuten sind die meisten abgefallenen Teile wieder an das Moped drangefummelt, die Textilen wieder in der Kiste verstaut, der Tee getrunken, der Mopedfahrer steht auf, bedankt sich höflich bei seinen Helfern, setzt sich auf sein Moped, startet es und fährt in nämlicher flotter, halsbrecherischer Weise, mit der er gekommen war, weiter.
Hilfsbereitschaft auf Türkisch. Chapeau!