Seit Jahren sind die Kritiken für die Hiša Franko bei Kobarid in Slowenien eigentlich immer die gleichen: geniales Essen, unkompliziertes, wunderschönes Ambiente, extrem freundliche Menschen, flotte und kompetente Bedienung, leicht schmuddlige, aber individuelle Herberge, tolle Umgebung. Seit Jahren nehmen wir auf unserem Weg in den Süden regelmäßig den beschwerlichen, gleichwohl landschaftliche sehr reizvollen Weg über den Wurzen- und den Vršič-Pass nach Kobarid, um ein paar Tage bei Ana zu schlemmen, Valters Weine zu genießen und einfach zu relaxen. Nichts hilft besser, vom Berufs-und Alltagsstress herabzukommen als ein paar Tage Hiša Franko.
So weit, so gut. Nun also August 2013. Alles scheint wie immer, das alte Haus in den Wiesen, der freundliche Hof, der offene Wintergarten, die herzliche Begrüßung. Doch halt, etwas hat sich verändert. Nicht nur Illy, der große, schwarze, gutmütige Hund, der wie selbstverständlich freundlich durch den Gastraum streifte ist tot und durch zwei mindestens ebenso freundliche Katzen ersetzt, die im Restaurant auch schon mal auf einem Stuhl am Tisch schlafen; vor allem aber sind die Zimmer deutlich sauberer, keine Spinnweben mehr am Fenster, kein Staub in den Ecken, hier wird zwischenzeitlich ordentlich geputzt: Respekt, Ana und Valter haben sich die reihenweise Kritik zu Herzen genommen, hier ist eine deutliche Besserung eingetreten. Liebevolles Dekor, ordentliche Matratze, Flachbildschirm, Pflegemittel, Bademäntel, der ganze Schnick-Schnack halt, alles da, tadellos. Nun gut, die Lampe über dem Waschtisch funktioniert nicht (aber davon werde ich nicht sterben, es ist hell genug), die Schwalldusche hat drei Hähne mit Beschriftung auf Papieretiketten an der Dusch-Wand (natürlich verschmiert ob der Feuchtigkeit), es dauert fünf Minuten, bis ich eine irgendwie erträgliche Temperatur via trial and error eingestellt habe, aber ebenfalls zeihlich, die Whirl-Badewanne mitten im Raum (sehr schön gemacht, romantisch für Paare) whirlt nicht (ärgerlich, dafür habe ich 20 Euro Aufschlag auf den Zimmerpreis gezahlt). Empfehlenswert übrigens die beiden großen Zimmer unter dem Dach, im Sommer leider sehr heiß, aber eben mit Badewanne mitten im Raum und eigener überdachter Balkon-Lounge-Area mit gemütlichen Sesseln, Hängematte etc. Aber auch dadurch wird aus einem alten Bauernhaus kein Sterne-Hotel: von den Zimmern ist das alles mittlerweile eine ordentliche 3-superior-Kategorie, im – einfacheren, preiswerteren – Nebengebäude vielleicht 2 Sterne.
Aber man fährt nicht zum Schlafen in die Hiša Franko, hierher fährt man vor allem zum Essen und Trinken und vor allem zum Genießen. Ich erinnere mich an einen Besuch hier, ich glaube, es war im 2008er Jahre, wir hatten gebeten, uns eine Rafting-Tour auf der Soca zu organisieren (unbedingt machen, am besten im Frühling, wenn der Fluss noch richtig Wasser hat, im Sommer ist’s vom Kick-Faktor her eher langweilig, aber landschaftlich noch immer herrlich), ein junges amerikanisches Pärchen und Ana und Valter waren samt Kindern spontan mitgekommen; am Nachmittag kamen wir nass, erschöpft, glücklich, hungrig gemeinsam zurück in’s Hotel. Ana und Valter luden uns unvermittelt zu einem Imbiss ein (das war eine herzliche slowenische Einladung, die herzlicher und ehrlicher nicht sein könnte). Wurst, Schinken, Käse, sauer eingelegtes Gemüse, selbst gebackenes Brot, selbst gemachte Butter, ein leichter slowenischer Riesling aus der Maribor-Region. Wir saßen im schönen Innenhof, trockneten langsam in der Sonne, aßen, tranken, redeten, die Kinder spielten zusammen, es war einer der schönsten Hotel-Momente in meinem langen Hotel-Leben. Von jedem Lebensmittel auf dem Tisch kannten Ana und Valter den Produzenten und die Geschichte, sogar von dem Mehl, aus dem das Brot gebacken wurde, vieles kommt aus der eigenen – anscheinend weit verzweigten – Familie. Am Abend aßen wir wie üblich à la carte Anas herrliche Kreationen. Mein damals dreizehnjähriger Sohn verschlang – er ist ein Fleischfresser, ausgehungert von der anstrengenden Rafting-Tour – 5 ½ Portionen von dünnen Roastbeefscheiben, ganz kurz angebraten und dann in bestem Öl mit frischen Kräutern aus dem eigenen Garten mariniert, danach musste die Küche kapitulieren, das Fleisch war alle (alldieweil eben alles ganz frisch ist und nichts auf Vorrat gehortet wird). Hiša Franko war herzlich, unkompliziert mit genialer Küche.
Heute, 2013, ist Hiša Franko nach wie vor herzlich mit genialer Küche, aber nicht mehr unkompliziert. Mittag wie Abends gibt es nur noch Menues, monatlich wechselnd drei an der Zahl, ein drei-gängiges für 38 € sowie zwei fünf-gängige für 55 € und 75 €, und jeder Tisch ist gehalten, sich auf ein Menue pro Tisch zu einigen, Änderungen bei einzelnen Gängen (nicht jeder mag Rindszunge) werden gerne erfüllt. Küchentechnisch verständlich, und doch sehr lästig für den Gast. Preislich ist das alles mehr als OK, aber früher war Anas Küche einfach genial, heute ist sie immer noch genial, aber nicht mehr wirklich einfach, alles ist Kulinarisch mittlerweile das ganz große Theater, ein Feinschmeckertempel, der problemlos in New York oder Berlin reüssieren könnte. Hilft es, Menue-Folgen nachzuerzählen? Mit Bergziegenkitz gefüllte, perfekt al dente Nudeltaschen in Lammsauce unter einer Trüffelemulsion; auf den Punkt gebratene Seebrasse mit einem Zitronen-Kartoffelbrei (sensationell, die Kombination), knackigem, salzigem Queller und dazu ein Hauch von Mandelsauce; gebratenes und geschmortes Lamm mit Kumin und weißer Schokolade; … Für meinen Geschmack etwas zu gewagt und noch nicht ganz trittsicher die innovativen Desserts: Tomate mit Madagascar-Vanille (ich persönlich bevorzuge ja die aus Tahiti – der musste jetzt sein), Melone und Lavendel-Gelee : sicherlich neu, ungewohnt, aber noch nicht wirklich rund, der Lavendel-Gelee kam eher als wabblige, undefinierte Masse unter dem Dessert daher. Das sind jetzt kulinarische Spitzfindigkeiten, aber daran muss sich die Küche zwischenzeitlich messen lassen, dann ganz eindeutig ist das jetzt alles ganz großes Küchen-Theater, to make a long story short: aus meiner Sicht ganz klar zwei Sterne bzw. 17 bis 18 Punkte, sowohl von den Zutaten, der Zubereitung, dem Anrichten, dem Service, dem Ambiente, dem Geschirr, Silberbesteck, Kristallglas, Damast, alles perfekt, dazu ausgesprochen kompetentes, aufmerksames, mehrsprachiges und freundliches Service-Personal, sogar die Schemelchen neben dem Stuhl für die Damenhandtaschen fehlen nicht (ich find‘ die Dinger einfach affig). Valter hat seinen Weinkeller ordentlich aufgestockt, noch immer dominieren heimische Weine zu ausgesprochen akzeptablen Preisen (und ich habe den Eindruck, über die Jahre sind Valters Wahl oder die Qualität slowenischer Weine – oder beides – deutlich besser geworden), daneben finden sich Taittinger, Dom Perignon und Krug ebenso wie die ganzen anderen üblichen Verdächtigen aus dem Burgund, der Toscana und Bordeaux mittlerweile auf Valters Wine List, vielleicht die ungewöhnlichste Weinkarte, die ich jemals gesehen habe, graue, gelochte Pappen, mit grobem Band zusammengebunden, maschinenbeschrieben mit zahlreichen handschriftlichen Anmerkungen (von Valter ebenso wie von Gästen), präsentiert in einer alten Dreier-Weinkiste mit Deckel: schräg, aber liebenswert). Nichtsdestotrotz, die Leichtigkeit des Genusses und des Seins ist weg, früher war es Hunger haben und einfach genial und ungezwungen Essen wonach der Gusto stand, heute gleicht alles mehr dem großen Theaterbesuch mit Karten reservieren, aufbrezeln, schick machen, zur Weihestätte gehen, den vorgeschriebenen Konventionen folgen.
Natürlich, es geht noch anders. Auf Nachfrage und (wahrscheinlich nur für Freunde des Hauses) gibt es noch ein kleines à la carte Menue: hausgemachte Tagliatelle mit frischen schwarzen Trüffeln in einer cremigen, gehaltvollen, aber nicht fettigen Sauce, Spaghetti in Tomatensauce mit Ziegenkäse, Wurst (eine delikate nach Kräutern schmeckende Salami), zarter Schinken, Käse, dazu Anas selbst gebackenes Brot und frische hausgemachte Grissini – mehr brauche ich doch nicht, zum glücklich sein. Und natürlich das Frühstück in der Hiša Franko: selbst gemachte ofenfrische Brötchen, Brot, vier verschiedene Frischkäse, bestes Obst, hausgemachte Marmeladen, Honig vom örtlichen Imker, Eierspeisen, Wurst und Schinken nach Bestellung, frische Kuchen, lokale Säfte: ein Traum, nicht zu vergleichen mit den überladenen Frühstücksbuffets der meisten Sternehotels mit Unmengen von Junk mäßiger Qualität.
Summa summarum: innocent lost. Hiša Franko ist noch immer genial, wahrscheinlich nochmals genialer als in den letzten Jahren, aber die Leichtigkeit des Seins im Soca-Tal hat gelitten, es ist irgendwie komplizierter geworden. Früher waren wir drei, vier, fünf Tage bei Ana und Valter, einfach um zwischen Arbeit und Urlaub runterzukommen, to slow down. In Zukunft werden wir maximal noch ein, zwei Tage kommen, ein geniales Menue essen und wieder verschwinden: die Leichtigkeit des Seins ist dahin, geblieben sind eine liebenswerte Herberge und eine geniale Köchin.