168

Es gibt in unserem hektischen Alltag zwischen vollem Postfach und leerem Akku immer noch Augenblicke, da steht die Zeit still – zum Beispiel auf dem Amt. Perso abgelaufen. Ich muss auf die Behörde.

Schwer geht die Pforte zum Wartesaal auf – drinnen ist die Stimmung riesig, ruckizuckikufsteinlieddastepptderbärdaboxtderpapstimkettenhemdundsoweiter. Ich glaube in der Aussegnungshalle geht´s verglichen mit dem Wartesaal des Bürgerbüros München Haidhausen zu wie im Hofbräuzelt, zweiter Wiesnsamstag 20Uhr30.

Wartenummer ziehen – Aufruf der Wartenummer abwarten – eintreten, wenn Wartenummer aufleuchtet. Je näher meine Nummer kommt, es ist die 168, desto nervöser werde ich. Jetzt bloß die Nerven behalten. Werde ich es schaffen, werde ich die Tür aufbekommen, habe ich alles dabei, was ich brauche oder habe ich umsonst gefühlte zwei Manntage gewartet? Bin ich froh, dass ich die funkschau dabei habe, so kann ich wenigstens was Interessantes lesen. Der Nachdenker vom Plastikstuhl nebenan liest die Zeitung deren Name im schönen Wort Bildung vorkommt. Er sieht aus wie der uneheliche Schwager von Käpt´n Iglo und zählt schon seit einer halben Stunde die Muttermale vom „Mädchen auf Seite 1“ („Freche Trixi schüttelt am liebsten Whiskey“). Er ist wohl seine eigene „bildungsferne Schicht“ und die lebende Antwort auf eine der brennendsten Fragen unserer Zeit: Wer schaut sich so was wie das Promi-Koch-Duell oder das Dschungel-Camp tatsächlich an? ER!

168. Ich bin dran. Aufstehen. Aufgrund meines leicht schleppenden Ganges (Adduktorenzerrung!) hält mich ein ziemlich migrierter Mitwarter für einen Amtsmann und fragt mich aufs Geratewohl: „Was kostet Führungszeugnis?“ Ich schau ihn mir kurz an und erwidere bürgernah, „bei mir kriegen Sie´s umsonst.“

Entgegen den meisten Beamtenwitzen, war mein Betreuer (Ohring und das sogar am Ohr!) sehr freundlich und schon beinahe behände wie er den Scanner über meinem Passfoto zuklappt. Als er im Einfingersuchsystem – das man anscheinend auf jeder Beamtenschule lernt – meinen Nachnamen eingibt, zögert er kurz beamtesk, dann sagt er mit einem Sat1-Comedy-Lächeln „Jacke wie Hose, oder?“ „Ja“, erwidere ich ihm, „Wer ohne Hose unterwegs ist, fällt oft unangenehm auf.“ Und steigere mich in Wortwitzrage als ich seinen Vornamen erfahre – er heißt Wilhelm. Ja, der Willi. „Wo ein Willi ist, da ist auch ein Weg. Oder bist du nicht Willi, dann brauch ich Gewalt,“ scherze ich wortgewandt zurück. Als ich ein paar Namensspiele weiter knapp an der Beamtenbeleidigung vorbeischramme, rettet uns die Staats-IT. „Jetzt stürzt der Scheißrechner schon wieder ab,“ unterbricht der Beamtenpunker meinen humoresken Austausch. Und mit einem schwungvollen „in acht Wochen an der Kasse abholen“ bereitet er mir den Weg ins weitere Leben mit neuem Lichtbildausweis.

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