Thüringer Hof Leipzig: urige, authentische Atmosphäre, enttäuschende Küche, große Portionen

Summa summarum: Uriges, alt scheinendes (tatsächlich aber 1948 aus gegebenem Anlass wieder aufgebautes), gemütliches, einfaches Wirtshaus direkt in der Leipziger Innenstadt und doch abgelegen vom größten Touristenrummel, auffällig viele einheimische Gäste, freundlich-launisch-flottes, unterbesetztes Personal, gut-bürgerliche, rustikale Speisekarte fast ohne zeitgeistige Spinnereien, aber viele kulinarische DDR-Reminiszenzen, sehr einfache, für uns unbefriedigende Küchenleistung mit großen bis riesigen Portionen.

Deutsch Essen gehen in Leipzig, gar nicht mal so einfach. Auerbachs Keller, Zill’s Tunnel, Barthels Hof, Stadt-Augustiner und -Paulaner, Zunftkeller, Bayrischer Bahnhof, in der Vergangenheit überall zum Teil schlechte Erfahrungen gemacht, leider, Rathausstuben, Schaarschmidt, Appels Garten waren ganz OK, Weinstock war uns für den Anlass zu nobel, … es ist ein Kreuz: leiden auf hohem Niveau. Den Thüringer Hof kannten wir tatsächlich noch nicht, angeblich die älteste Gaststätte der Stadt, fast durchgängig bewirtschaftet seit 1466, direkt in der Innenstadt und doch etwas abseits der Touristenströme zwischen Thomaskirche und Neuem Rathaus gelegen, von außen nett anzuschauen, und doch – in Abwandlung des Songs der Prinzen – „Es ist alles neu gebaut,“, denn das alte, historische Gebäudeensemble wurde 1943 komplett plattgebombt, die Kommunisten bauten es ab 1948 gleich wieder auf, historisierend, aber gut gemacht, im Innern ein Tonnengewölbe, mächtige Säulen, viel dunkles Holz, sehr rustikale Wirtshauseinrichtung mit blanken Tischen ohne Tischwäsche, gekonnte Beleuchtung, hohe Sprossenfenster aus Holz, das passt schon irgendwie, richtige, urige Wirtshaus-Atmosphäre, relativ wenige Touristen, viel Einheimische (sobald ein Sachse den Mund aufmacht, kann er nicht mehr verheimlichen, dass er Sachse ist – und nein, ich will mich nicht am kollektiven Sachsen-Bashing beteiligen, ich mag die Sachsen und ihren Dialekt, meine beiden Söhne sind gebürtige Sachsen), gleich zwei Familienfeiern. Das Personal mit nur zwei Kellnern für diese Gästeschar hoffnungslos unterbesetzt, die beiden rennen wirklich unermüdlich und finden dennoch die Zeit für eine kurze Erläuterung der Speisekarte oder ein launisches Schwätzchen mit den Gästen.

Die Speisekarte könnte noch original aus DDR-Zeiten stammen: Soljanka mit Sauerrahm und Zitrone, Würzfleisch, Kartoffelsuppe, als Hauptgerichte Rinderroulade, Tafelspitz, Schafshaxe, Rostbratwurst, Sauerbraten, Schweinsgulasch, Rostbrätl, Eisbeinsülze, fast alles serviert mit Thüringer Klößen, kaum Kurzgebratenes wie Steaks, Burger, Schnitzel, ein paar Salate, drei Mal Lachs, zwei vegetarische Gerichte („Veganes Gemüse-Schnitzel mit gebackenen Süßkartoffel-Sticks, dazu Karotten-Apfelsalat mit Cranberry-Pumpernickel-Topping“ – so etwas hätte es hier früher nicht gegeben, die DDR hatte also auch ihre guten Seiten), eine sehr Eis-lastige Dessertkarte und schließlich ein paar saisonale Pfifferlings-Gerichte. Klingt alles irgendwie authentisch. Signature Dish des Hauses ist das Luthergericht (der wohl niemals hier war), ein gigantisches gepökeltes Eisbein mit hausgemachtem Sauerkraut und – man ahnt es – Thüringer Klößen.

Was dann kommt, macht allerdings weniger Spaß. Die Thüringer Kartoffelsuppe hoffnungslos unterwürzt, Majoran fehlt, die Rinderkraftbrühe mit Eierstich und Fleischklößchen ein dünnes, fettes Süppchen – Rinderschwachbrühe wäre die bessere Bezeichnung – dem auch viel Pfeffer und Salz nicht auf die Sprünge helfen können, Maggi könnte vielleicht Abhilfe schaffen, der Eierstich zerbombt, die Fleischklößchen belanglos, dafür viel grob gehackte frische Petersilie. Schweinegulasch schlecht pariert, zerkocht, belanglos gewürzt, groß portioniert, satt wird man. Die Thüringer Rostbratwurst mit Bratkartoffeln und selbst gemachtem Sauerkraut so la-la, viel falsch kann man da ja beim besten Unwillen nicht machen, schon bessere Würste und weitaus bessere Bratkartoffeln gegessen, das offenbar tatsächlich selbst gemachte Sauerkraut mit Möhrenstreifchen darin ungewohnt vom Geschmack, mein’s wird das nicht. Schließlich die gepökelte Schweinshaxe: ein Riesdendrumm von totem Schweinebein unter einer dicken, wabbligen Schwarten- und Fettschicht, darauf ein absurder Berg von getrocknetem Majoran (gehört das so oder ist dem Koch die Gewürzdose ausgerutscht?), das Fleisch selber reichlich, aber weitgehend geschmacklos (wenn ich ein Eisbein pökele, dann sollte doch Geschmack reinkommen?), die Thüringer Klöße zum Eisbein – naturgemäß ohne Sauce – reichlich deplatziert für meinen Eindruck. Ach ja, die Thüringer Klöße im Thüringer Hof (eigentlich liebe ich Klöße in jedem Aggregatszustand), da wäre ich zu gerne mal dabei, wenn in der Küche tatsächlich Kartoffeln gerieben, gekocht, zerquetscht, geformt, abgekocht werden. Vollends enttäuschend schließlich die Quarkkeulchen zum Dessert, zwei labbrige, kurz abgebacke Scheiben einer undefinierbaren Masse mit industriellem Apfelmus und industriellem Eis. Jedenfalls waren das frisch gezapfte Wernesgrüner Bier und der Nordhäuser Korn lecker, und die Atmosphäre stimmte ebenfalls.


Thüringer Hof zu Leipzig GmbH
Vertreten durch Christian Laube
Burgstrasse 19
D – 04109 Leipzig
Tel.: +49 (3 41) 9 94 49 99
Online: https://thueringer-hof.de/
E-Mail: reservierung@thueringer-hof.de

Hauptgerichte von 18,70 (Rostbrätel, Zwiebel, Bratkartoffeln) bis 31,30 EURO (Schafshaxe, Speckbohnen, Klöße); Drei-Gänge-Menue von 32,70 bis 59,60 EURO

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