Schwarzwurzeln

Ich gestehe:  es gibt wenige Rezepte, bei denen ich die Verwendung von Dosenware bevorzuge, doch Schwarzwurzeln gehören eindeutig dazu.  Früher, in meiner Jugend, da hatten wir hinter dem Haus noch einen eigenen großen Gemüsegarten, und darin pflanzten wir natürlich auch Schwarzwurzeln an, wir nannten sie damals – nordhessisch bzw. Hugenotten-französisch  – Storzieren oder auch Spargel des armen Mannes.  Das Säen der Dinger war ja noch ganz OK und unterschied sich eigentlich gar nicht von dem Säen anderen Gemüses:  Beet umgraben, glatt harken, Furchen ziehen, Samen (wenn ich mich recht entsinne, waren sie länglich und dünn) in regelmäßigen Abständen rein in die Erde, Furchen vorsichtig zumachen und gleich gießen.  Gänzlich unspektakulär.  Weitaus spektakulärer gestaltet sich allerdings das Ernten dieser Bodenmonster, die bis zu 75 cm tief im Boden stecken und auf heftiges Ziehen von oben bestenfalls mit dem Abbrechen reagieren.  Schwarzwurzeln wollen anders geerntet sein:  parallel zur ersten Reihe Schwarzwurzeln gräbt man mit der Spitzhacke einen 50 bis 75 cm tiefen Graben, und von dort arbeitet man sich von Hand zu jeder einzelnen Wurzel vor und buddelt sie vollständig aus, ohne sie abzubrechen.  Dann arbeitet man sich zur zweiten Reihe vorwärts, und so weiter, und so fort.  Auf jeden Fall hat man (hatte ich zumindest) nach dem Ernten eines Beetes Schwarzwurzeln immer Kreuzschmerzen, und zweitens klebten die Hände von dem weißen, milchigen, ungeheuer klebrigen Saft, den das Gemüse absondert, wenn es verletzt wird.

Wie dem auch sei, einmal geerntet ist die Plackerei noch lange nicht vorbei.  Aufgehoben haben wir die Schwarzwurzeln – ebenso wie Möhren –  –  Tiefkühltruhen mag es wohl schon gegeben haben, wir jedenfalls hatten noch längst keine – in großen tönernen Krügen im Keller, in denen die Schwarzwurzeln mit trockenem Sand abgedeckt gelagert wurden.  Schwarzwurzeln kochen war immer die Aufgabe meiner Großmutter (mütterlicherseits, die Mutter meines Vaters hätte so etwas nie gegessen).  Dazu kam sie morgens in unser Haus, holte eine große Schüssel der – mittlerweile etwas verschrumpelten – Wurzeln aus dem Tontopf mit Sand im Keller, setzte sich in die kleine Ecke unserer Küche (in der sie meisten saß, wenn sie bei uns war) und begann ihren dirty job.  Zuerst wurden die Schwarzwurzeln mit Unmengen von Wasser gewaschen, damit Erde und Sand abgingen.  Dann mussten sie von Hand geschält werden, und das war die eigentliche Schweinearbeit, denn – wir gesagt – verletzte Schwarzwurzeln sondern eine weiße, milchige, ungeheuer klebrige Flüssigkeit ab, die beim Schälen an den Händen kleben bleibt, dort Wurzel um Wurzel, Schicht um Schicht wächst und sich ziemlich schnell braunschwarz verfärbt.  Noch unangenehmer ist allerdings die Tatsache, dass diese klebrige Masse an den Fingern jedem Waschversuch, jeder Seife, jeder Wurzelbürste und auch jedem Bimsstein penetrant widersteht und auch nach Tagen noch an den Fingern sichtbar ist.  Die frisch geschälten Schwarzwurzeln werden sofort in mundgerechte Stücke geschnitten und in eine große Schüssel mit Wasser, Essig (damit sie sich nicht ebenfalls braun verfärben) und etwas Mehl (keine Ahnung, wozu das Mehl dienen soll, aber auch alle Kochbücher, die ich dazu gelesen habe, schreiben das Mehl vor) gegeben. 

Erst wenn diese Schweinerei vorbei ist, die dreckigen braunen Schalen entsorgt sind, nur noch appetitliche weiße Gemüsestückchen dem Garen entgegenharren und allein die unvermeidlich ungeheuer dreckigen Hände der Köchin an die Schweinerei erinnern, dann erst beginnt das eigentliche Kochen.  Da ich mir genau diesen Teil ersparen will, und vor allem, da ich nach verschiedenen dreckig-klebrigen Selbstversuchen keinen kulinarischen Grund gefunden habe, der diese Arbeit und diesen Dreck rechtfertigte, habe ich mich entschlossen, förderhin nur noch geschälte, vorgekochte Schwarzwurzeln aus der Dose bzw. dem Glas zu verwenden.  Und die kocht man so:

 

Zutaten:

  • 2 Gläser vorgekochte Schwarzwurzeln im Sud (ca. 500 bis 600 g Gesamtgewicht)
  • 1 großer Eßl. Butter
  • Ca. 2 Eßl. Mehl
  • Nach Geschmack 100 ml trockener Weißwein
  • Salz, weißer Pfeffer aus der Mühle, viel frisch geriebenes Muskatnuss, Zucker
  • Essig nach Geschmack
  • 750 g Schweinemett
  • 1 kleines Ei

Zubereitung:

  • Aus Butter und Mehl eine helle Mehlschwitze zubereiten, gut durchrühren, aber nicht braun werden lassen
  • Mehlschwitze mit dem Sud aus den Schwarzwurzelkonserven (keinesfalls jetzt schon die Schwarzwurzeln selber dazu geben:  sie würden verkochen) ablöschen, gut verrühren, wenn nötig mit etwas Wasser oder Wein verdünnen;  auf kleinster Flamme unter ständigem Rühren gut durchkochen lassen, die Sauce soll sämig sein;  mit Salz, Pfeffer, viel Muskatnuss und etwas Zucker würzen, nach Geschmack mit Essig säuern
  • Während dessen Schweinemett (hilfsweise Gehacktes halb und halb), mit dem Ei, Salz, Pfeffer und wieder Muskatnuss gut vermengen und dann kleine Klößchen daraus formen (der geduldige Koch formt viele Klößchen groß die Haselnüsse (in der Schale), der ungeduldige Koch formt weniger Klößchen groß wie Walnüsse (ebenfalls in der Schale)).
  • Mettklößchen in der Mehlschwitze ca. 10 Minuten gar ziehen (Vorsicht, auf der einen Seite brennt die Pampe verdammt leicht an, wenn man nicht genug rührt;  auf der anderen Seite lösen sich die Klößchen leicht auf, wenn man zu viel und zu unbedacht rührt:  viel Spaß mit Skylla und Charibdis).
  • Nach 10 Minuten die Schwarzwurzeln dazu geben, ebenfalls warm ziehen lassen, Sauce nochmals abschmecken, sofort mit Salzkartoffeln servieren

Dieses Essen ist übrigens nur bedingt für einen ersten Abend mit einer neuen Flamme geeignet, alldieweil Schwarzwurzeln schlicht und ergreifend blähen.  Entweder sollte man dieses Essen zu sich nehmen, wenn man danach mindestens zwölf Stunden alleine ist, oder man sollte eine Gesellschaft wählen, die den Wert eines gesunden Furzes (oder auch mehrerer) zu würdigen weiß …

Und noch eine Bemerkung:  klar kenne ich all die Bannsprüche, die Altvater Siebeck und Konsorten gegen die Mehlschwitze als Innbegriff spießiger, plumper, nur sattmachender, phantasieloser Nachkriegsküche geschleudert haben.  Oft hatten sie hier sicherlich Recht, die Altvorderen, nichtsdestotrotz ist die Mehlschwitze hier gerechtfertigt, und nichts anderes gehört zu diesen Schwarzwurzeln.

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