Es war neulich im Badischen, in einem dieser nicht ur- so doch mittelalten Gasthäuser, vielleicht gerade mal ein-, zweihundert Jahre, erst in der vierten oder sechsten Generation im Familienbesitz, also keine sonderlich große Tradition, nichts Außergewöhnliches, aber doch schon beachtlich alt, sehr beachtlich sogar verglichen etwa mit muselmanischen Schabefleischbratereien, die noch vor Jahresfrist nach der Eröffnung vom Gesundheitsamt wieder geschlossen werden oder verglichen mit kalabrischen Fladenbrotbäckereien, deren Betreiber noch vor der ersten Bilanz im Hochsicherheitstrakt des regionalen Gefängnisses verschwinden, oder verglichen mit den Convenience-aufwärmenden Wer-nichts-wird-wird-Wirt-Etablissements, über denen bereits bei der zig-sten Wieder-Eröffnung schon erneut der Pleitegeier kreist, gewiss keine über-große, über-kandidelte, abgehobene Kochkunst, noch keinen Guide Michelin Stern, gediegene 14, 15 Gault Millau Punkte, 6 bis 7, selten 8 Gusto-Pfannen, alles in allem solide gehobene gut-bürgerliche Küche mit handgeschabten Spätzle, ordentlicher selbst gemachter Foie Gras mit gutem Sauternes Gelee, leckeren Schnecken, gelungenen kurzen Sößchen, auf den Punkt gegarten, glasigen Fischen, butterzarten Ragouts, dieses Wesen der badischen und dieses unbewusste, viel zu selten wahrgenommene Rückgrat der deutschen Küche, dort also begab sich neulich Folgendes.
Ich hatte mich gezielt mit Caro in dieses Etablissement begeben, um es uns ein Wochenende lang einfach ohne Hochleistungs-Kulinarik-Stress ganz entspannt und wohlig gut gehen zu lassen. Zum Abendessen am Freitag hatten wir ein Tischlein im Nebenraum des Restaurants ergattert, Auslastungsprobleme hat solch ein Haus nicht. An der Kopfseite des Raumes waren drei Tische zu einer großen Tafel zusammen geschoben, dort saßen aber nicht etwa eine Familie zu Opas Siebzigstem, auch keine Spesenritter zum wohlschmeckenden Steuerbetrug, auch nicht der örtliche Jodelverein zum Vereinsjubiläum – all die üblichen Verdächtigen, die man an einer langen Tafel in einem gehobenen gut bürgerlichen Restaurant vermuten würde – dort saßen vielmehr 14 junge Frauen, eher noch Mädchen, alle so um die 18, 20 schätzten wir, nicht aufgebrezelt, aber in gepflegter Alltagskleidung, weder von gehobenem Stande noch Gossenkinder, ganz normale junge Frauen aus der Mitte des Volkes, es war ein Reden und Schnattern und Lachen und Glucksen, Themen, über die man/frau in diesem Alter wohl spricht, es ging um Schule, Ausbildung, Job, Familie, Autos, Stars, Jungs, natürlich auch um Jungs, Partys, Bekannte, Musik, Fernsehsendungen, weniger um Sport, das ganze thematische Spektrum, das man hier klischeehaft auch erwarten würde, wurde vollumfänglich bedient, und die jungen Damen hatten sichtlich Spaß dabei, das Benehmen war ausgelassen, vielleicht auch sehr ausgelassen, aber manierlich, und auch die Tischsitten legten Zeugnis ab von einer gewissen abendländisch-christlichen Sozialisation. An dem Tisch war keine „Oberglucke“ oder „Obergluckerich“, etwa ein Chef, der seine Lehrlinge (ach ja, Azubis heißt das ja heute politisch korrekt erbrochen) zum Essen ausführt oder eine wohlhabendere Mutter, die keinen Bock hat, für die Freundinnen ihrer Tochter zur Geburtstagsfeier zu kochen, was meine erste Vermutung war. Tatsächlich zahlte jedes der Mädchen am Ende für sich selber, das war keine Einladung, sondern ein gemeinsames Tafeln auf eigene Rechnung. Aber was für ein Tafeln … Austern schlürften die Mädels wie die Großen, Foie Gras, Oxtail mit Sherry, Schnecken, Wild mit handgeschabten Spätzle, blutige Steaks, Skrei, dann Nachtische – unter fünf Gängen dürfte dort niemand aufgestanden sein, eher mehr. Die meisten tranken dazu Weine, zwar nur glasweise, aber dafür viele Gläser, die Selbstbewussteren orderten auch Bier, nur eine Einzige trank Limonade, und nach dem Essen wurde der Digestif-Wagen kollektiv geplündert, nicht etwa nur die Liköre, auch und vor allem die harten Schnäpse, und auch das reichlich.
Warum ich das schreibe? Die Feministinnen mögen ihr Messer getrost in der Tasche lassen, ich schreibe das nicht weil ich etwa etwas dagegen hätte, dass sich junge Frauen unter sich beim Schmausen und Saufen vergnügen. Ich schreibe das vielmehr, weil es mich kolossal gefreut hat. Junge Menschen – das Geschlecht tut nichts zur Sache – die in vertrauter, lustiger Runde genießen – genießen! – bewusst und ausgiebig Speis und Trank, gute Speisen und guten Trank, geben der Küche ihrer Heimat die Ehre, haben Spaß wie Bolle, verstehen sich dennoch zu benehmen und greifen dafür tief in die eigenen Taschen, statt sich mit imperialen industriellen Fleischklopsen in Labberbrötchen vollzustopfen oder sich von Lieferservices Drecks-Junk-Food im Pappkarton vor die Glotze nach Hause liefern zu lassen oder sich von esoterischen Veganismus-Gurus energetische Rohkostrunkelrüben andrehen zu lassen. Solche Szenen machen Mut, Mut, dass es vielleicht doch noch nicht vollends zu Ende ist mit der guten Deutschen Küche. Zumindest zuweilen. Zumindest im Badischen. Zumindest zuweilen im Badischen.